Ich seufzte nicht mehr betend
nach deiner Hilfe, sondern mein Geist strengte sich an zu forschen und sehnte
sich unruhig nach Besprechung mit anderen. Den Ambrosius hielt ich nach
weltlichem Maßstabe für einen glücklichen Mann, da ihm selbst Leute von der
höchsten Machtbefugnis ihre Ehrenbezeigungen erwiesen, nur seine Ehelosigkeit
schien mir schwer durchführbar. Was für Hoffnungen er in sich trug, wie er
gegen die Versuchungen seiner eigenen Vortrefflichkeit kämpfte, welchen Trost
er hatte in den Widerwärtigkeiten und weich köstliche Freude seines Herzens
verborgener Mund von deinem Brote kostete, das konnte ich nicht ahnen, denn ich
hatte es selbst nicht erfahren. Auch wußte er nichts von meinen Unruhen noch
von dem Abgrunde meiner Gefahr, weil ich ihn nicht nach Wunsch fragen konnte,
da die Scharen geschäftiger Leute, deren Schwachheit er aufhalf, von seinem Ohr
und Munde mich trennten. Die wenige Zeit, die er nicht mit ihnen zusammen war,
erfrischte er den Körper mit der nötigen Nahrung oder labte am Lesen den Geist.
Und wenn er las, schweiften die Augen über die Seiten und das Herz erforschte
den Sinn, er selbst aber schwieg. oft, wenn wir gegenwärtig waren, denn jeder
hatte Zutritt, auch pflegte der Kommende nicht angemeldet zu werden, sahen wir
ihn schweigend lesen, und nie anders; lange Zeit saßen wir schweigend da - denn
wer hätte es gewagt, eine solche Vertiefung zu stören? -, dann gingen wir in
der Vermutung, daß er die kurze Spanne Zeit, die ihm zu seiner geistigen
Erholung zu Gebote stand, feiernd von dem Lärmen der Unruhe fremder
Angelegenheiten ungestört verbringen wolle. Auch vermied er vielleicht die
Lautlosen deshalb, damit er nicht genötigt wäre, den in höchster Aufmerksamkeit
in Spannung befindlichen Zuhörern ein minder klar -geschriebenes Buch
auszulegen oder sich auf schwierige Fragen einzulassen und durch diese
Verwendung seiner Zeit mehr, als er wollte, von seinen Büchern abgezogen zu
werden, obgleich wohl noch außerdem der Umstand hinzukam, daß er seine Stimme
schonen mußte, die sehr leicht heißer wurde, und er schon deshalb mit vollem
Rechte still für sich las. In welcher Absicht aber er es auch tat, er tat wohl
daran.
Soviel aber stand fest, daß ich
niemals Gelegenheit fand, von seinem Herzen, deinem heiligen Orakel, zu
erfahren, was ich wünschte; ein kurzes Gehör erlangte ich zuweilen. Meine
innere Aufregung aber verlangte nach einer ruhigen Aussprache mit ihm, nie aber
fand sich Zeit dazu. An jedem Sonntage aber hörte ich ihn das Wort der Wahrheit
lauter auslegen, und ich überzeugte mich mehr und mehr, daß alle jene Knoten
schlauer Verleumdungen, die jene unsere Betrüger gegen die heiligen Schriften
knüpften, gelöst werden konnten. Als ich nun vollends erfuhr, daß die Lehre,
wie der Mensch von dir nach deinem Bilde geschaffen sei, von den geistlichen
Söhnen, die du aus Gnade durch der Mutter Kirche wiedergeboren werden ließest,
nicht so verstanden werden dürfe, als ob du nach ihrer Vorstellung in ihren
Gedanken von menschlicher Gestalt begrenzt seiest, obgleich ich kaum dunkel
ahnte, wie das Wesen des Geistes beschaffen sei, da errötete ich vor Freude,
daß ich nicht den echten Kirchenglauben, sondern Hirngespinste fleischlicher
Gedanken angebetet hatte. Verwegen und gottlos aber war ich darin, daß ich das,
was ich hätte durch Forschen erst zu beurteilen lernen sollen, angeklagt hatte.
Du aber, Erhabenster und Nächster, Verborgenster und Gegenwärtigster, der du
keine Glieder, weder größere noch kleinere, hast, sondern der du überall ganz
und unbegrenzt bist, du bist freilich nicht jene Körperform, die ich mir
einbildete; dennoch schufst du den Menschen nach deinem Bilde, und siehe, er
ist vom Raume begrenzt vom Kopf bis zu den Füßen.
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