1
Der Abt, der würdig ist, einem Kloster vorzustehen, muss immer bedenken,
wie man ihn anredet, und er verwirkliche durch sein Tun, was diese Anrede
für einen Oberen bedeutet.
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Der Glaube sagt ja: Er vertritt im Kloster die Stelle Christi; wird er
doch mit dessen Namen angeredet
3
nach dem Wort des Apostels (Röm 8,15): "Ihr habt den Geist
empfangen, der euch zu Söhnen macht, den Geist, in dem wir rufen: Abba,
Vater!"
4
Deshalb darf der Abt nur lehren und bestimmen, was der Weisung des Herrn
entspricht.
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Sein Befehl und seine Lehre sollen wie Sauerteig göttlicher
Heilsgerechtigkeit die Herzen seiner Jünger durchdringen.
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Der Abt denke immer daran, dass in gleicher Weise über seine Lehre und
über den Gehorsam seiner Jünger beim erschreckenden Gericht Gottes
entschieden wird.
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So wisse der Abt: Die Schuld trifft den Hirten, wenn der Hausvater an
seinen Schafen zu wenig Ertrag feststellen kann.
8
Andererseits gilt ebenso: Hat ein Hirt einer unruhigen und ungehorsamen
Herde all seine Aufmerksamkeit geschenkt und ihrem verdorbenen Treiben
jede nur mögliche Sorge zugewandt,
9
wird er im Gericht des Herrn freigesprochen. Er darf mit dem Propheten zum
Herrn sagen: "Deine Gerechtigkeit habe ich nicht in meinem Herzen
verborgen, ich habe von deiner Treue und Hilfe gesprochen, sie aber haben
mich verhöhnt und verachtet." (Ps 40,11; Jes 1,2)
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Dann kommt über die Schafe, die sich seiner Hirtensorge im Ungehorsam
widersetzt haben, als Strafe der allgewaltige Tod.
11
Wer also den Namen "Abt" annimmt, muss seinen Jüngern in
zweifacher Weise als Lehrer vorstehen.
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Er macht alles Gute und Heilige mehr durch sein Leben als durch sein Reden
sichtbar. Einsichtigen Jüngern wird er die Gebote des Herrn mit Worten
darlegen, hartherzigen aber und einfältigeren wird er die Weisung Gottes
durch sein Beispiel veranschaulichen.
13
In seinem Handeln zeige er, was er seine Jünger lehrt, da man nicht tun
darf, was mit dem Gebot Gottes unvereinbar ist. Sonst würde er anderen
predigen und dabei selbst verworfen werden. (vgl.1Kor 9,27)
14
Gott könnte ihm eines Tages sein Versagen vorwerfen: "Was zählst du
meine Gebote auf und nimmst meinen Bund in deinen Mund? Dabei ist Zucht
dir verhasst, meine Worte wirfst du hinter dich." (Ps 50,16-17)
15
Auch gilt: "Du sahst im Auge deines Bruders den Splitter, in deinem
hast du den Balken nicht bemerkt." (Mt 7,3)
16
Der Abt bevorzuge in Kloster keinen wegen seines Ansehens.
17
Den einen liebe er nicht mehr als den anderen, es sei denn, er finde
einen, der eifriger ist in guten Werken und im Gehorsam.
18
Er ziehe nicht den Freigeborenen einem vor, der als Sklave ins Kloster
eintritt, wenn es dafür keinen vernünftigen Grund gibt.
19
Der Abt kann aber jede Rangänderung vornehmen, wenn er es aus Gründen der
Gerechtigkeit für gut hält. Sonst sollen die Brüder den Platz einnehmen,
der ihnen zukommt.
20
Denn ob Sklave oder Freier, in Christus sind wir alle eins, und unter dem
einen Herrn tragen wir die Last des gleichen Dienstes. Denn bei Gott gibt
es kein Ansehen der Person. (vgl. Gal 3,28; Röm 2,11)
21
Nur dann unterscheiden wir uns in seinen Augen, wenn wir in guten Werken
und in der Demut eifriger sind als andere.
22
Der Abt soll also alle in gleicher Weise lieben, ein und dieselbe Ordnung
lasse er für alle gelten - wie es jeder verdient,
23
Wenn der Abt lehrt, halte er sich immer an das Beispiel der Apostel, der
sagt: "Tadle, ermutige, weise streng zurecht." (2Tim 4,2)
24
Das bedeutet für ihn: Er lasse sich vom Gespür für den rechten Augenblick
leiten und verbinde Strenge mit gutem Zureden. Er zeige den entschlossenen
Ernst des Meisters und die liebe Güte des Vaters.
25
Härter tadeln muss er solche, die keine Zucht kennen und keine Ruhe geben;
zum Fortschritt im Guten ermutige er alle, die gehorsam, willig und
geduldig sind; streng zurechtweisen und bestrafen soll er jene, die
nachlässig und widerspenstig sind.
26
Auf keinen Fall darf er darüber hinwegsehen, wenn sich jemand verfehlt;
vielmehr schneide er die Sünden schon beim Entstehen mit der Wurzel aus,
so gut er kann. Er soll daran denken, da ihm sonst das Schicksal des
Priesters Heli von Schilo droht. (1Sam 2,22-4,18)
27
Rechtschaffene und Einsichtige weise er einmal und ein zweites Mal mit
mahnenden Worten zurecht.
28
Boshafte aber, Hartherzige, Stolze und Ungehorsame soll er beim ersten
Anzeichen eines Vergehens durch Schläge und körperliche Züchtigung im Zaum
halten. Er kennt doch das Wort der Schrift: "Ein Tor lässt sich durch
Worte nicht bessern." (Spr 29,19)
29
Und auch dieses: "Schlage deinen Sohn mit der Rute, so rettest du
sein Leben vor dem Tod." (Spr 23,14)
30
Der Abt muss bedenken was er ist, und bedenken, wie man ihn anredet. Er
wisse: Wem mehr anvertraut ist, von dem wird mehr verlangt. (Lk 12,28)
31
Er muss wissen, welch schwierige und mühevolle Aufgabe er auf sich nimmt:
Menschen zu führen und der Eigenart vieler zu dienen . Muss er doch dem
einen mit gewinnenden, dem anderen mit tadelnden, dem dritten mit
überzeugenden Worten begegnen.
32
Nach der Eigenart und Fassungskraft jedes einzelnen soll er sich auf alle
einstellen und auf sie eingehen. So wird er an der ihm anvertrauten Herde
keinen Schaden erleiden, vielmehr kann er sich am Wachsen einer guten
Herde freuen.
33
Vor allem darf er über das Heil der ihm Anvertrauten nicht hinwegsehen
oder geringschätzen und sich größere Sorgen machen um vergängliche,
irdische und hinfällige Dinge.
34
Stets denke er daran: Er hat die Aufgabe übernommen, Menschen zu führen,
für die er einmal Rechenschaft ablegen muss.
35
Wegen des vielleicht allzu geringen Klostervermögens soll er sich nicht
beunruhigen; vielmehr bedenke er das Wort der Schrift: (Mt 6,33)
"Sucht zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, und dies
alles wird euch dazu gegeben."
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Ein anderes Schriftwort sagt: (Ps 34,10) "Wer ihn fürchtet,
leidet keinen Mangel."
37
Der Abt muss wissen: Wer es auf sich nimmt, Menschen zu führen, muss sich
bereithalten, Rechenschaft abzulegen.
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Er sei sich darüber ganz im klaren: Wie groß auch die Zahl der Brüder sein
mag, für die er Verantwortung trägt, am Tag des Gerichts muss er für sie
alle dem Herrn Rechenschaft ablegen, dazu ohne Zweifel auch für sich
selbst.
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Immer in Furcht vor der bevorstehenden Untersuchung des Hirten über die
ihm anvertrauten Schafe, sorgt er für seine eigene Rechenschaft, wenn er
sich um die der anderen kümmert.
40
Wenn er mit seinen Ermahnungen anderen zur Besserung verhilft, wird er
selbst von seinen Fehlern geläutert.
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