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Friedrich Wilhelm Nietzsche
Die Geburt der Tragödie
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Vorwort an Richard Wagner.
6.
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6.
In
Betreff
des
Archilochus
hat die
gelehrte
Forschung
entdeckt
,
dass
er das
Volkslied
in die
Litteratur
eingeführt
habe, und
dass
ihm
, dieser
That
halber
,
jene
einzige
Stellung
neben
Homer
, in der
allgemeinen
Schätzung
der
Griechen
zukomme
. Was aber ist das
Volkslied
im
Gegensatz
zu dem
völlig
apollinischen
Epos
? Was anders als das
perpetuum
vestigium
einer
Vereinigung
des
Apollinischen
und des
Dionysischen
; seine
ungeheure
, über alle
Völker
sich
erstreckende
und in immer
neuen
Geburten
sich
steigernde
Verbreitung
ist uns ein
Zeugniss
dafür, wie
stark
jener
künstlerische
Doppeltrieb
der
Natur
ist: der in
analoger
Weise
seine
Spuren
im
Volkslied
hinterlässt
, wie die
orgiastischen
Bewegungen
eines
Volkes
sich in seiner
Musik
verewigen
. Ja es
müsste
auch
historisch
nachweisbar
sein
, wie jede an
Volksliedern
reich
productive
Periode
zugleich
auf das
Stärkste
durch
dionysische
Strömungen
erregt
worden
ist,
welche
wir immer als
Untergrund
und
Voraussetzung
des
Volksliedes
zu
betrachten
haben.
Das
Volkslied
aber
gilt
uns zu
allernächst
als
musikalischer
Weltspiegel
, als
ursprüngliche
Melodie
, die sich jetzt eine
parallele
Traumerscheinung
sucht
und diese in der
Dichtung
ausspricht
. Die
Melodie
ist also das
Erste
und
Allgemeine
, das deshalb auch mehrere
Objectivationen
, in
mehreren
Texten
, an sich
erleiden
kann. Sie ist auch das bei
weitem
wichtigere
und
nothwendigere
in der
naiven
Schätzung
des
Volkes
. Die
Melodie
gebiert
die
Dichtung
aus sich und zwar immer wieder von
Neuem
; nichts
Anderes
will uns die
Strophenform
des
Volksliedes
sagen
:
welches
Phänomen
ich immer mit
Erstaunen
betrachtet
habe, bis ich
endlich
diese
Erklärung
fand
. Wer eine
Sammlung
von
Volksliedern
z
.
B
. des
Knaben
Wunderhorn
auf diese
Theorie
hin
ansieht
, der wird
unzählige
Beispiele
finden
, wie die
fortwährend
gebärende
Melodie
Bilderfunken
um sich
aussprüht
: die in ihrer
Buntheit
, ihrem
jähen
Wechsel
, ja ihrem
tollen
Sichüberstürzen
eine dem
epischen
Scheine
und seinem
ruhigen
Fortströmen
wildfremde
Kraft
offenbaren
. Vom
Standpunkte
des
Epos
ist diese
ungleiche
und
unregelmässige
Bilderwelt
der
Lyrik
einfach
zu
verurtheilen
: und dies haben
gewiss
die
feierlichen
epischen
Rhapsoden
der
apollinischen
Feste
im
Zeitalter
des
Terpander
gethan
.
In der
Dichtung
des
Volksliedes
sehen
wir also die
Sprache
auf das
Stärkste
angespannt
, die
Musik
nachzuahmen
: deshalb
beginnt
mit
Archilochus
eine
neue
Welt
der
Poesie
, die der
homerischen
in ihrem
tiefsten
Grunde
widerspricht
. Hiermit haben wir das
einzig
mögliche
Verhältniss
zwischen
Poesie
und
Musik
,
Wort
und
Ton
bezeichnet
: das
Wort
, das
Bild
, der
Begriff
sucht
einen der
Musik
analogen
Ausdruck
und
erleidet
jetzt die
Gewalt
der
Musik
an sich. In diesem
Sinne
dürfen
wir in der
Sprachgeschichte
des
griechischen
Volkes
zwei
Hauptströmungen
unterscheiden
,
jenachdem
die
Sprache
die
Erscheinungs-
und
Bilderwelt
oder die
Musikwelt
nachahmte
. Man
denke
nur
einmal
tiefer
über die
sprachliche
Differenz
der
Farbe
, des
syntaktischen
Bau
'
s
, des
Wortmaterial
'
s
bei
Homer
und
Pindar
nach, um die
Bedeutung
dieses
Gegensatzes
zu
begreifen
; ja es wird Einem dabei
handgreiflich
deutlich
,
dass
zwischen
Homer
und
Pindar
die
orgiastischen
Flötenweisen
des
Olympus
erklungen
sein
müssen
, die noch im
Zeitalter
des
Aristoteles
,
inmitten
einer
unendlich
entwickelteren
Musik
, zu
trunkner
Begeisterung
hinrissen
und
gewiss
in ihrer
ursprünglichen
Wirkung
alle
dichterischen
Ausdrucksmittel
der
gleichzeitigen
Menschen
zur
Nachahmung
aufgereizt
haben. Ich
erinnere
hier an ein
bekanntes
, unserer
Aesthetik
nur
anstössig
dünkendes
Phänomen
unserer
Tage
. Wir
erleben
es immer wieder, wie eine
Beethoven
'
sche
Symphonie
die
einzelnen
Zuhörer
zu einer
Bilderrede
nöthigt
,
sei
es auch
dass
eine
Zusammenstellung
der
verschiedenen
, durch ein
Tonstück
erzeugten
Bilderwelten
sich
recht
phantastisch
bunt
, ja
widersprechend
ausnimmt
: an
solchen
Zusammenstellungen
ihren
armen
Witz
zu
üben
und das doch
wahrlich
erklärenswerthe
Phänomen
zu
übersehen
, ist
recht
in der
Art
jener
Aesthetik
. Ja selbst wenn der
Tondichter
in
Bildern
über eine
Composition
geredet
hat, etwa wenn er eine
Symphonie
als
pastorale
und einen
Satz
als "
Scene
am
Bach
", einen
anderen
als "
lustiges
Zusammensein
der
Landleute
"
bezeichnet
, so sind das
ebenfalls
nur
gleichnissartige
, aus der
Musik
geborne
Vorstellungen
- und nicht etwa die
nachgeahmten
Gegenstände
der
Musik
-
Vorstellungen
, die über den
dionysischen
Inhalt
der
Musik
uns nach keiner
Seite
hin
belehren
können
, ja die
keinen
ausschliesslichen
Werth
neben
anderen
Bildern
haben. Diesen
Prozess
einer
Entladung
der
Musik
in
Bildern
haben wir uns nun auf eine
jugendfrische
,
sprachlich
schöpferische
Volksmenge
zu
übertragen
, um zur
Ahnung
zu
kommen
, wie das
strophische
Volkslied
entsteht
, und wie das
ganze
Sprachvermögen
durch das
neue
Princip
der
Nachahmung
der
Musik
aufgeregt
wird.
Dürfen
wir also die
lyrische
Dichtung
als die
nachahmende
Effulguration
der
Musik
in
Bildern
und
Begriffen
betrachten
, so
können
wir jetzt
fragen
: "als was
erscheint
die
Musik
im
Spiegel
der
Bildlichkeit
und der
Begriffe
?" Sie
erscheint
als
Wille
, das
Wort
im
Schopenhauerischen
Sinne
genommen
,
d
.
h
. als
Gegensatz
der
aesthetischen
,
rein
beschaulichen
willenlosen
Stimmung
. Hier
unterscheide
man nun so
scharf
als
möglich
den
Begriff
des
Wesens
von dem der
Erscheinung
:
denn
die
Musik
kann, ihrem
Wesen
nach,
unmöglich
Wille
sein
, weil sie als
solcher
gänzlich
aus dem
Bereich
der
Kunst
zu
bannen
wäre
-
denn
der
Wille
ist das an sich
Unaesthetische
-; aber sie
erscheint
als
Wille
.
Denn
um ihre
Erscheinung
in
Bildern
auszudrücken
,
braucht
der
Lyriker
alle
Regungen
der
Leidenschaft
, vom
Flüstern
der
Neigung
bis zum
Grollen
des
Wahnsinns
; unter dem
Triebe
, in
apollinischen
Gleichnissen
von der
Musik
zu
reden
,
versteht
er die
ganze
Natur
und sich in ihr nur als das
ewig
Wollende
,
Begehrende
,
Sehnende
.
Insofern
er aber die
Musik
in
Bildern
deutet
,
ruht
er selbst in der
stillen
Meeresruhe
der
apollinischen
Betrachtung
, so sehr auch alles, was er durch das
Medium
der
Musik
anschaut
, um
ihn
herum
in
drängender
und
treibender
Bewegung
ist. Ja wenn er sich selbst durch
dasselbe
Medium
erblickt
, so
zeigt
sich
ihm
sein
eignes
Bild
im
Zustande
des
unbefriedigten
Gefühls
:
sein
eignes
Wollen
,
Sehnen
,
Stöhnen
,
Jauchzen
ist
ihm
ein
Gleichniss
, mit dem er die
Musik
sich
deutet
. Dies ist das
Phänomen
des
Lyrikers
: als
apollinischer
Genius
interpretirt
er die
Musik
durch das
Bild
des
Willens
,
während
er selbst,
völlig
losgelöst
von der
Gier
des
Willens
,
reines
ungetrübtes
Sonnenauge
ist.
Diese
ganze
Erörterung
hält
daran
fest
,
dass
die
Lyrik
eben
so
abhängig
ist vom
Geiste
der
Musik
als die
Musik
selbst, in ihrer
völligen
Unumschränktheit
, das
Bild
und den
Begriff
nicht
braucht
,
sondern
ihn
nur neben sich
erträgt
. Die
Dichtung
des
Lyrikers
kann nichts
aussagen
, was nicht in der
ungeheuersten
Allgemeinheit
und
Allgültigkeit
bereits
in der
Musik
lag
, die
ihn
zur
Bilderrede
nöthigte
. Der
Weltsymbolik
der
Musik
ist
eben
deshalb mit der
Sprache
auf keine
Weise
erschöpfend
beizukommen
, weil sie sich auf den
Urwiderspruch
und
Urschmerz
im
Herzen
des
Ur-Einen
symbolisch
bezieht
,
somit
eine
Sphäre
symbolisirt
, die über alle
Erscheinung
und
vor
aller
Erscheinung
ist. Ihr
gegenüber
ist
vielmehr
jede
Erscheinung
nur
Gleichniss
: daher kann die
Sprache
, als
Organ
und
Symbol
der
Erscheinungen
,
nie
und nirgends das
tiefste
Innere
der
Musik
nach
Aussen
kehren
,
sondern
bleibt
immer,
sobald
sie sich auf
Nachahmung
der
Musik
einlässt
, nur in einer
äusserlichen
Berührung
mit der
Musik
,
während
deren
tiefster
Sinn
, durch alle
lyrische
Beredsamkeit
, uns auch
keinen
Schritt
näher
gebracht
werden kann.
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