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Friedrich Wilhelm Nietzsche
Die Geburt der Tragödie
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Vorwort an Richard Wagner.
13.
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13.
Dass
Sokrates
eine
enge
Beziehung
der
Tendenz
zu
Euripides
habe,
entging
dem
gleichzeitigen
Alterthume
nicht; und der
beredteste
Ausdruck
für
diesen
glücklichen
Spürsinn
ist
jene
in
Athen
umlaufende
Sage
,
Sokrates
pflege
dem
Euripides
im
Dichten
zu
helfen
.
Beide
Namen
wurden
von den
Anhängern
der "
guten
alten
Zeit
" in einem
Athem
genannt
, wenn es
galt
, die
Volksverführer
der
Gegenwart
aufzuzählen
: von deren
Einflusse
es
herrühre
,
dass
die
alte
marathonische
vierschrötige
Tüchtigkeit
an
Leib
und
Seele
immer mehr einer
zweifelhaften
Aufklärung
, bei
fortschreitender
Verkümmerung
der
leiblichen
und
seelischen
Kräfte
, zum
Opfer
falle
. In dieser
Tonart
,
halb
mit
Entrüstung
,
halb
mit
Verachtung
,
pflegt
die
aristophanische
Komödie
von
jenen
Männern
zu
reden
, zum
Schrecken
der
Neueren
,
welche
zwar
Euripides
gerne
preisgeben
, aber sich nicht genug
darüber
wundern
können
,
dass
Sokrates
als der
erste
und
oberste
Sophist
, als der
Spiegel
und
Inbegriff
aller
sophistischen
Bestrebungen
bei
Aristophanes
erscheine
:
wobei
es
einzig
einen
Trost
gewährt
, den
Aristophanes
selbst als einen
lüderlich
lügenhaften
Alcibiades
der
Poesie
an den
Pranger
zu
stellen
. Ohne an dieser
Stelle
die
tiefen
Instincte
des
Aristophanes
gegen solche
Angriffe
in
Schutz
zu
nehmen
,
fahre
ich
fort
, die
enge
Zusammengehörigkeit
des
Sokrates
und des
Euripides
aus der
antiken
Empfindung
heraus
zu
erweisen
; in
welchem
Sinne
namentlich
daran zu
erinnern
ist,
dass
Sokrates
als
Gegner
der
tragischen
Kunst
sich des
Besuchs
der
Tragödie
enthielt
, und nur, wenn ein
neues
Stück
des
Euripides
aufgeführt
wurde
, sich unter den
Zuschauern
einstellte
. Am
berühmtesten
ist aber die
nahe
Zusammenstellung
beider
Namen
in dem
delphischen
Orakelspruche
,
welcher
Sokrates
als den
Weisesten
unter den
Menschen
bezeichnet
,
zugleich
aber das
Urtheil
abgab
,
dass
dem
Euripides
der
zweite
Preis
im
Wettkampfe
der
Weisheit
gebühre
.
Als der
dritte
in dieser
Stufenleiter
war
Sophokles
genannt
; er, der sich gegen
Aeschylus
rühmen
durfte
, er
thue
das
Rechte
und zwar, weil er
wisse
, was das
Rechte
sei
.
Offenbar
ist
gerade
der
Grad
der
Helligkeit
dieses
Wissens
dasjenige
, was
jene
drei
Männer
gemeinsam
als die drei "
Wissenden
" ihrer
Zeit
auszeichnet
.
Das
schärfste
Wort
aber
für
jene
neue
und
unerhörte
Hochschätzung
des
Wissens
und der
Einsicht
sprach
Sokrates
, als er sich als den
Einzigen
vorfand
, der sich
eingestehe
, nichts zu
wissen
;
während
er, auf seiner
kritischen
Wanderung
durch
Athen
, bei den
grössten
Staatsmännern
,
Rednern
,
Dichtern
und
Künstlern
vorsprechend
,
überall
die
Einbildung
des
Wissens
antraf
. Mit
Staunen
erkannte
er,
dass
alle
jene
Berühmtheiten
selbst über ihren
Beruf
ohne
richtige
und
sichere
Einsicht
seien
und
denselben
nur aus
Instinct
trieben
. "Nur aus
Instinct
": mit diesem
Ausdruck
berühren
wir
Herz
und
Mittelpunkt
der
sokratischen
Tendenz
. Mit
ihm
verurtheilt
der
Sokratismus
eben
so die
bestehende
Kunst
wie die
bestehende
Ethik
:
wohin
er seine
prüfenden
Blicke
richtet
,
sieht
er den
Mangel
der
Einsicht
und die
Macht
des
Wahns
und
schliesst
aus diesem
Mangel
auf die
innerliche
Verkehrtheit
und
Verwerflichkeit
des
Vorhandenen
. Von diesem einen
Punkte
aus
glaubte
Sokrates
das
Dasein
corrigieren
zu
müssen
: er, der
Einzelne
,
tritt
mit der
Miene
der
Nichtachtung
und der
Ueberlegenheit
, als der
Vorläufer
einer
ganz
anders
gearteten
Cultur
,
Kunst
und
Moral
, in eine
Welt
hinein, deren
Zipfel
mit
Ehrfurcht
zu
erhaschen
wir uns zum
grössten
Glücke
rechnen
würden
.
Dies ist die
ungeheuere
Bedenklichkeit
, die uns
jedesmal
,
Angesichts
des
Sokrates
,
ergreift
und die uns immer und immer wieder
anreizt
,
Sinn
und
Absicht
dieser
fragwürdigsten
Erscheinung
des
Alterthums
zu
erkennen
. Wer ist das, der es
wagen
darf
, als ein
Einzelner
das
griechische
Wesen
zu
verneinen
, das als
Homer
,
Pindar
und
Aeschylus
, als
Phidias
, als
Perikles
, als
Pythia
und
Dionysus
, als der
tiefste
Abgrund
und die
höchste
Höhe
unserer
staunenden
Anbetung
gewiss
ist?
Welche
dämonische
Kraft
ist es, die diesen
Zaubertrank
in den
Staub
zu
schütten
sich
erkühnen
darf
?
Welcher
Halbgott
ist es, dem der
Geisterchor
der
Edelsten
der
Menschheit
zurufen
muss
: "
Weh
!
Weh
! Du hast sie
zerstört
, die
schöne
Welt
, mit
mächtiger
Faust
; sie
stürzt
, sie
zerfällt
!"
Einen
Schlüssel
zu dem
Wesen
des
Sokrates
bietet
uns
jene
wunderbare
Erscheinung
, die als "
Dämonion
des
Sokrates
"
bezeichnet
wird. In
besonderen
Lagen
, in denen
sein
ungeheurer
Verstand
in'
s
Schwanken
gerieth
,
gewann
er einen
festen
Anhalt
durch eine in
solchen
Momenten
sich
äussernde
göttliche
Stimme
. Diese
Stimme
mahnt
, wenn sie
kommt
, immer ab. Die
instinctive
Weisheit
zeigt
sich bei dieser
gänzlich
abnormen
Natur
nur, um dem
bewussten
Erkennen
hier und
da
hindernd
entgegenzutreten
.
Während
doch bei
allen
productiven
Menschen
der
Instinct
gerade
die
schöpferisch-affirmative
Kraft
ist, und das
Bewusstsein
kritisch
und
abmahnend
sich
gebärdet
: wird bei
Sokrates
der
Instinct
zum
Kritiker
, das
Bewusstsein
zum
Schöpfer
- eine
wahre
Monstrosität
per
defectum
! Und zwar
nehmen
wir hier einen
monstrosen
defectus
jeder
mystischen
Anlage
wahr
, so
dass
Sokrates
als der
specifische
Nicht-Mystiker
zu
bezeichnen
wäre
, in dem die
logische
Natur
durch eine
Superfötation
eben
so
excessiv
entwickelt
ist wie im
Mystiker
jene
instinctive
Weisheit
.
Andrerseits
aber war es jenem in
Sokrates
erscheinenden
logischen
Triebe
völlig
versagt
, sich gegen sich selbst zu
kehren
; in diesem
fessellosen
Dahinströmen
zeigt
er eine
Naturgewalt
, wie wir sie nur bei den
allergrössten
instinctiven
Kräften
zu
unsrer
schaudervollen
Ueberraschung
antreffen
. Wer nur einen
Hauch
von
jener
göttlichen
Naivetät
und
Sicherheit
der
sokratischen
Lebensrichtung
aus den
platonischen
Schriften
gespürt
hat, der
fühlt
auch, wie das
ungeheure
Triebrad
des
logischen
Sokratismus
gleichsam
hinter
Sokrates
in
Bewegung
ist, und wie dies durch
Sokrates
wie durch einen
Schatten
hindurch
angeschaut
werden
muss
.
Dass
er aber selbst von diesem
Verhältniss
eine
Ahnung
hatte, das
drückt
sich in dem
würdevollen
Ernste
aus, mit dem er seine
göttliche
Berufung
überall
und noch
vor
seinen
Richtern
geltend
machte
.
Ihn
darin zu
widerlegen
war im
Grunde
eben
so
unmöglich
als seinen die
Instincte
auflösenden
Einfluss
gut
zu
heissen
. Bei diesem
unlösbaren
Conflicte
war, als er
einmal
vor
das
Forum
des
griechischen
Staates
gezogen
war, nur eine
einzige
Form
der
Verurtheilung
geboten
, die
Verbannung
; als etwas
durchaus
Räthselhaftes
,
Unrubricirbares
,
Unaufklärbares
hätte man
ihn
über die
Grenze
weisen
dürfen
, ohne
dass
irgend
eine
Nachwelt
im
Recht
gewesen
wäre
, die
Athener
einer
schmählichen
That
zu
zeihen
.
Dass
aber der
Tod
und nicht nur die
Verbannung
über
ihn
ausgesprochen
wurde
, das
scheint
Sokrates
selbst, mit
völliger
Klarheit
und ohne den
natürlichen
Schauder
vor
dem
Tode
,
durchgesetzt
zu haben: er
ging
in den
Tod
, mit
jener
Ruhe
, mit der er nach
Plato
'
s
Schilderung
als der
letzte
der
Zecher
im
frühen
Tagesgrauen
das
Symposion
verlässt
, um einen
neuen
Tag
zu
beginnen
;
indess
hinter
ihm
, auf den
Bänken
und auf der
Erde
, die
verschlafenen
Tischgenossen
zurückbleiben
, um von
Sokrates
, dem
wahrhaften
Erotiker
, zu
träumen
. Der
sterbende
Sokrates
wurde
das
neue
, noch
nie
sonst
geschaute
Ideal
der
edlen
griechischen
Jugend
:
vor
allen
hat sich der
typische
hellenische
Jüngling
,
Plato
, mit aller
inbrünstigen
Hingebung
seiner
Schwärmerseele
vor
diesem
Bilde
niedergeworfen
.
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