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Friedrich Wilhelm Nietzsche
Die Geburt der Tragödie
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Vorwort an Richard Wagner.
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19.
Man kann den
innersten
Gehalt
dieser
sokratischen
Cultur
nicht
schärfer
bezeichnen
, als wenn man sie die
Cultur
der
Oper
nennt
:
denn
auf diesem
Gebiete
hat sich diese
Cultur
mit eigener
Naivetät
über ihr
Wollen
und
Erkennen
ausgesprochen
, zu unserer
Verwunderung
, wenn wir die
Genesis
der
Oper
und die
Thatsachen
der
Opernentwicklung
mit den
ewigen
Wahrheiten
des
Apollinischen
und des
Dionysischen
zusammenhalten
. Ich
erinnere
zunächst
an die
Entstehung
des
stilo
rappresentativo
und des
Recitativs
. Ist es
glaublich
,
dass
diese
gänzlich
veräusserlichte
, der
Andacht
unfähige
Musik
der
Oper
von einer
Zeit
mit
schwärmerischer
Gunst
,
gleichsam
als die
Wiedergeburt
aller
wahren
Musik
,
empfangen
und
gehegt
werden konnte, aus der sich
soeben
die
unaussprechbar
erhabene
und
heilige
Musik
Palestrina
'
s
erhoben
hatte? Und wer
möchte
andrerseits
nur die
zerstreuungssüchtige
Üppigkeit
jener
Florentiner
Kreise
und die
Eitelkeit
ihrer
dramatischen
Sänger
für
die so
ungestüm
sich
verbreitende
Lust
an der
Oper
verantwortlich
machen
?
Dass
in
derselben
Zeit
, ja in demselben
Volke
neben dem
Gewölbebau
Palestrinischer
Harmonien
, an dem das
gesammte
christliche
Mittelalter
gebaut
hatte,
jene
Leidenschaft
für
eine
halbmusikalisch
Sprechart
erwachte
,
vermag
ich mir nur aus einer im
Wesen
des
Recitativs
mitwirkenden
ausserkünstlerischen
Tendenz
zu
erklären
.
Dem
Zuhörer
, der das
Wort
unter dem
Gesange
deutlich
vernehmen
will,
entspricht
der
Sänger
dadurch
,
dass
er mehr
spricht
als
singt
und
dass
er den
pathetischen
Wortausdruck
in diesem
Halbgesange
verschärft
: durch diese
Verschärfung
des
Pathos
erleichtert
er das
Verständniss
des
Wortes
und
überwindet
jene
übrig
gebliebene
Hälfte
der
Musik
. Die
eigentliche
Gefahr
, die
ihm
jetzt
droht
, ist die,
dass
er der
Musik
einmal
zur
Unzeit
das
Obergewicht
ertheilt
,
wodurch
sofort
Pathos
der
Rede
und
Deutlichkeit
des
Wortes
zu
Grunde
gehen
müsste
:
während
er
andrerseits
immer den
Trieb
zu
musikalischer
Entladung
und zu
virtuosenhafter
Präsentation
seiner
Stimme
fühlt
. Hier
kommt
ihm
der "
Dichter
" zu
Hülfe
, der
ihm
genug
Gelegenheiten
zu
lyrischen
Interjectionen
,
Wort-
und
Sentenzenwiederholungen
u
.
s
.
w
. zu
bieten
weiss
: an
welchen
Stellen
der
Sänger
jetzt in dem
rein
musikalischen
Elemente
, ohne
Rücksicht
auf das
Wort
,
ausruhen
kann. Dieser
Wechsel
affectvoll
eindringlicher
, doch nur
halb
gesungener
Rede
und
ganz
gesungener
Interjection
, der im
Wesen
des
stilo
rappresentativo
liegt
, dies
rasch
wechselnde
Bemühen
,
bald
auf den
Begriff
und die
Vorstellung
,
bald
auf den
musikalischen
Grund
des
Zuhörers
zu
wirken
, ist etwas so
gänzlich
Unnatürliches
und den
Kunsttrieben
des
Dionysischen
und des
Apollinischen
in
gleicher
Weise
so
innerlich
Widersprechendes
,
dass
man auf einen
Ursprung
des
Recitativs
zu
schliessen
hat, der ausserhalb aller
künstlerischen
Instincte
liegt
. Das
Recitativ
ist nach dieser
Schilderung
zu
definiren
als die
Vermischung
des
epischen
und des
lyrischen
Vortrags
und zwar
keinesfalls
die
innerlich
beständige
Mischung
, die bei so
gänzlich
disparaten
Dingen
nicht
erreicht
werden konnte,
sondern
die
äusserlichste
mosaikartige
Conglutination
, wie etwas
Derartiges
im
Bereich
der
Natur
und der
Erfahrung
gänzlich
vorbildlos
ist. Dies war aber nicht die
Meinung
jener
Erfinder
des
Recitativs
:
vielmehr
glauben
sie selbst und mit ihnen ihr
Zeitalter
,
dass
durch
jenen
stilo
rappresentativo
das
Geheimniss
der
antiken
Musik
gelöst
sei
, aus dem sich allein die
ungeheure
Wirkung
eines
Orpheus
,
Amphion
, ja auch der
griechischen
Tragödie
erklären
lasse
. Der
neue
Stil
galt
als die
Wiedererweckung
der
wirkungsvollsten
Musik
, der
altgriechischen
: ja man
durfte
sich, bei der
allgemeinen
und
ganz
volksthümlichen
Auffassung
der
homerischen
Welt
als der
Urwelt
, dem
Traume
überlassen
, jetzt wieder in die
paradiesischen
Anfänge
der
Menschheit
hinabgestiegen
zu
sein
, in der
nothwendig
auch die
Musik
jene
unübertroffne
Reinheit
,
Macht
und
Unschuld
gehabt
haben
müsste
, von der die
Dichter
in ihren
Schäferspielen
so
rührend
zu
erzählen
wussten
. Hier
sehen
wir in das
innerlichste
Werden dieser
recht
eigentlich
modernen
Kunstgattung
, der
Oper
: ein
mächtiges
Bedürfniss
erzwingt
sich hier eine
Kunst
, aber ein
Bedürfniss
unaesthetischer
Art
: die
Sehnsucht
zum
Idyll
, der
Glaube
an eine
urvorzeitliche
Existenz
des
künstlerischen
und
guten
Menschen
. Das
Recitativ
galt
als die
wiederentdeckte
Sprache
jenes
Urmenschen
; die
Oper
als das
wiederaufgefundene
Land
jenes
idyllisch
oder
heroisch
guten
Wesens
, das
zugleich
in
allen
seinen
Handlungen
einem
natürlichen
Kunsttriebe
folgt
, das bei allem, was es zu
sagen
hat,
wenigstens
etwas
singt
, um, bei der
leisesten
Gefühlserregung
,
sofort
mit
voller
Stimme
zu
singen
. Es ist
für
uns jetzt
gleichgültig
,
dass
mit diesem
neugeschaffnen
Bilde
des
paradiesischen
Künstlers
die
damaligen
Humanisten
gegen die
alte
kirchliche
Vorstellung
vom an sich
verderbten
und
verlornen
Menschen
ankämpften
: so
dass
die
Oper
als das
Oppositionsdogma
vom
guten
Menschen
zu
verstehen
ist, mit dem aber
zugleich
ein
Trostmittel
gegen
jenen
Pessimismus
gefunden
war, zu dem
gerade
die
Ernstgesinnten
jener
Zeit
, bei der
grauenhaften
Unsicherheit
aller
Zustände
, am
stärksten
gereizt
waren
. Genug, wenn wir
erkannt
haben, wie der
eigentliche
Zauber
und damit die
Genesis
dieser
neuen
Kunstform
in der
Befriedigung
eines
gänzlich
unaesthetischen
Bedürfnisses
liegt
, in der
optimistischen
Verherrlichung
des
Menschen
an sich, in der
Auffassung
des
Urmenschen
als des von
Natur
guten
und
künstlerischen
Menschen
:
welches
Princip
der
Oper
sich
allmählich
in eine
drohende
und
entsetzliche
Forderung
umgewandelt
hat, die wir, im
Angesicht
der
socialistischen
Bewegungen
der
Gegenwart
, nicht mehr
überhören
können
. Der "
gute
Urmensch
" will seine
Rechte
:
welche
paradiesischen
Aussichten
!
Ich
stelle
daneben
noch eine
eben
so
deutliche
Bestätigung
meiner
Ansicht
,
dass
die
Oper
auf den
gleichen
Principien
mit unserer
alexandrinischen
Cultur
aufgebaut
ist. Die
Oper
ist die
Geburt
des
theoretischen
Menschen
, des
kritischen
Laien
, nicht des
Künstlers
: eine der
befremdlichsten
Thatsachen
in der
Geschichte
aller
Künste
. Es war die
Forderung
recht
eigentlich
unmusikalischer
Zuhörer
,
dass
man
vor
allem das
Wort
verstehen
müsse
: so
dass
eine
Wiedergeburt
der
Tonkunst
nur zu
erwarten
sei
, wenn man
irgend
eine
Gesangesweise
entdecken
werde
, bei
welcher
das
Textwort
über den
Contrapunkt
wie der
Herr
über den
Diener
herrsche
.
Denn
die
Worte
seien
um so viel
edler
als das
begleitende
harmonische
System
, um wie viel die
Seele
edler
als der
Körper
sei
. Mit der
laienhaft
unmusikalischen
Rohheit
dieser
Ansichten
wurde
in den
Anfängen
der
Oper
die
Verbindung
von
Musik
,
Bild
und
Wort
behandelt
; im
Sinne
dieser
Aesthetik
kam
es auch in den
vornehmen
Laienkreisen
von
Florenz
, durch hier
patronisirte
Dichter
und
Sänger
, zu den
ersten
Experimenten
. Der
kunstohnmächtige
Mensch
erzeugt
sich eine
Art
von
Kunst
,
gerade
dadurch
,
dass
er der
unkünstlerische
Mensch
an sich ist. Weil er die
dionysische
Tiefe
der
Musik
nicht
ahnt
,
verwandelt
er sich den
Musikgenuss
zur
verstandesmässigen
Wort-
und
Tonrhetorik
der
Leidenschaft
im
stilo
rappresentativo
und zur
Wohllust
der
Gesangeskünste
; weil er keine
Vision
zu
schauen
vermag
,
zwingt
er den
Maschinisten
und
Decorationskünstler
in seinen
Dienst
; weil er das
wahre
Wesen
des
Künstlers
nicht zu
erfassen
weiss
,
zaubert
er
vor
sich den "
künstlerischen
Urmenschen
" nach seinem
Geschmack
hin
d
.
h
. den
Menschen
, der in der
Leidenschaft
singt
und
Verse
spricht
. Er
träumt
sich in eine
Zeit
hinein, in der die
Leidenschaft
ausreicht
, um
Gesänge
und
Dichtungen
zu
erzeugen
: als ob jeder
Affect
im
Stande
gewesen
sei
, etwas
Künstlerisches
zu
schaffen
. Die
Voraussetzung
der
Oper
ist ein
falscher
Glaube
über den
künstlerischen
Prozess
und zwar
jener
idyllische
Glaube
,
dass
eigentlich
jeder
empfindende
Mensch
Künstler
sei
. Im
Sinne
dieses
Glaubens
ist die
Oper
der
Ausdruck
des
Laienthums
in der
Kunst
, das seine
Gesetze
mit dem
heitern
Optimismus
des
theoretischen
Menschen
dictirt
.
Sollten
wir
wünschen
, die
beiden
eben
geschilderten
, bei der
Entstehung
der
Oper
wirksamen
Vorstellungen
unter einen
Begriff
zu
vereinigen
, so
würde
uns nur
übrig
bleiben
, von einer
idyllischen
Tendenz
der
Oper
zu
sprechen
:
wobei
wir uns allein der
Ausdrucksweise
und
Erklärung
Schillers
zu
bedienen
hätten
. Entweder,
sagt
dieser, ist die
Natur
und das
Ideal
ein
Gegenstand
der
Trauer
, wenn
jene
als
verloren
, dieses als
unerreicht
dargestellt
wird. Oder
beide
sind ein
Gegenstand
der
Freude
,
indem
sie als
wirklich
vorgestellt
werden. Das
erste
giebt
die
Elegie
in
engerer
, das
andere
die
Idylle
in
weitester
Bedeutung
. Hier ist nun
sofort
auf das
gemeinsame
Merkmal
jener
beiden
Vorstellungen
in der
Operngenesis
aufmerksam
zu
machen
,
dass
in ihnen das
Ideal
nicht als
unerreicht
, die
Natur
nicht als
verloren
empfunden
wird. Es
gab
nach dieser
Empfindung
eine
Urzeit
des
Menschen
, in der er am
Herzen
der
Natur
lag
und bei dieser
Natürlichkeit
zugleich
das
Ideal
der
Menschheit
, in einer
paradiesischen
Güte
und
Künstlerschaft
,
erreicht
hatte: von
welchem
vollkommnen
Urmenschen
wir alle
abstammen
sollten
, ja dessen
getreues
Ebenbild
wir noch
wären
: nur
müssten
wir
Einiges
von uns
werfen
, um uns selbst wieder als diesen
Urmenschen
zu
erkennen
,
vermöge
einer
freiwilligen
Entäusserung
von
überflüssiger
Gelehrsamkeit
, von
überreicher
Cultur
. Der
Bildungsmensch
der
Renaissance
liess
sich durch seine
opernhafte
Imitation
der
griechischen
Tragödie
zu einem
solchen
Zusammenklang
von
Natur
und
Ideal
, zu einer
idyllischen
Wirklichkeit
zurückgeleiten
, er
benutzte
diese
Tragödie
, wie
Dante
den
Virgil
benutzte
, um bis an die
Pforten
des
Paradieses
geführt
zu werden:
während
er von hier aus
selbständig
noch weiter
schritt
und von einer
Imitation
der
höchsten
griechischen
Kunstform
zu einer "
Wiederbringung
aller
Dinge
", zu einer
Nachbildung
der
ursprünglichen
Kunstwelt
des
Menschen
überging
.
Welche
zuversichtliche
Gutmüthigkeit
dieser
verwegenen
Bestrebungen
,
mitten
im
Schoosse
der
theoretischen
Cultur
! -
einzig
nur aus dem
tröstenden
Glauben
zu
erklären
,
dass
"der
Mensch
an sich" der
ewig
tugendhafte
Opernheld
, der
ewig
flötende
oder
singende
Schäfer
sei
, der sich
endlich
immer als
solchen
wiederfinden
müsse
,
falls
er sich selbst
irgendwann
einmal
wirklich
auf einige
Zeit
verloren
habe,
einzig
die
Frucht
jenes
Optimismus
, der aus der
Tiefe
der
sokratischen
Weltbetrachtung
hier wie eine
süsslich
verführerische
Duftsäule
emporsteigt
.
Es
liegt
also auf den
Zügen
der
Oper
keinesfalls
jener
elegische
Schmerz
eines
ewigen
Verlustes
,
vielmehr
die
Heiterkeit
des
ewigen
Wiederfindens
, die
bequeme
Lust
an einer
idyllischen
Wirklichkeit
, die man
wenigstens
sich als
wirklich
in jedem
Augenblicke
vorstellen
kann:
wobei
man vielleicht
einmal
ahnt
,
dass
diese
vermeinte
Wirklichkeit
nichts als ein
phantastisch
läppisches
Getändel
ist, dem jeder, der es an dem
furchtbaren
Ernst
der
wahren
Natur
zu
messen
und mit den
eigentlichen
Urscenen
der
Menschheitsanfänge
zu
vergleichen
vermöchte
, mit
Ekel
zurufen
müsste
:
Weg
mit dem
Phantom
! Trotzdem
würde
man sich
täuschen
, wenn man
glaubte
, ein
solches
tändelndes
Wesen
, wie die
Oper
ist,
einfach
durch einen
kräftigen
Anruf
, wie ein
Gespenst
,
verscheuchen
zu
können
. Wer die
Oper
vernichten
will,
muss
den
Kampf
gegen
jene
alexandrinische
Heiterkeit
aufnehmen
, die sich in ihr so
naiv
über ihre
Lieblingsvorstellung
ausspricht
, ja deren
eigentliche
Kunstform
sie ist. Was ist aber
für
die
Kunst
selbst von dem
Wirken
einer
Kunstform
zu
erwarten
, deren
Ursprünge
überhaupt
nicht im
aesthetischen
Bereiche
liegen
, die sich
vielmehr
aus einer
halb
moralischen
Sphäre
auf das
künstlerische
Gebiet
hinübergestohlen
hat und über diese
hybride
Entstehung
nur hier und
da
einmal
hinwegzutäuschen
vermochte
? Von
welchen
Säften
nährt
sich dieses
parasitische
Opernwesen
, wenn nicht von denen der
wahren
Kunst
? Wird nicht zu
muthmaassen
sein
,
dass
, unter seinen
idyllischen
Verführungen
, unter seinen
alexandrinischen
Schmeichelkünsten
, die
höchste
und
wahrhaftig
ernst
zu
nennende
Aufgabe
der
Kunst
- das
Auge
vom
Blick
in'
s
Grauen
der
Nacht
zu
erlösen
und das
Subject
durch den
heilenden
Balsam
des
Scheins
aus dem
Krampfe
der
Willensregungen
zu
retten
- zu einer
leeren
und
zerstreuenden
Ergetzlichkeitstendenz
entarten
werde
? Was wird aus den
ewigen
Wahrheiten
des
Dionysischen
und des
Apollinischen
, bei einer
solchen
Stilvermischung
, wie ich sie am
Wesen
des
stilo
rappresentativo
dargelegt
habe? wo die
Musik
als
Diener
, das
Textwort
als
Herr
betrachtet
, die
Musik
mit dem
Körper
, das
Textwort
mit der
Seele
verglichen
wird? wo das
höchste
Ziel
bestenfalls
auf eine
umschreibende
Tonmalerei
gerichtet
sein
wird,
ähnlich
wie
ehedem
im
neuen
attischen
Dithyrambus
? wo der
Musik
ihre
wahre
Würde
,
dionysischer
Weltspiegel
zu
sein
,
völlig
entfremdet
ist, so
dass
ihr nur
übrig
bleibt
, als
Sclavin
der
Erscheinung
, das
Formenwesen
der
Erscheinung
nachzuahmen
und in dem
Spiele
der
Linien
und
Proportionen
eine
äusserliche
Ergetzung
zu
erregen
. Einer
strengen
Betrachtung
fällt
dieser
verhängnissvolle
Einfluss
der
Oper
auf die
Musik
geradezu
mit der
gesammten
modernen
Musikentwicklung
zusammen
; dem in der
Genesis
der
Oper
und im
Wesen
der durch sie
repräsentirten
Cultur
lauernden
Optimismus
ist es in
beängstigender
Schnelligkeit
gelungen
, die
Musik
ihrer
dionysischen
Weltbestimmung
zu
entkleiden
und ihr einen
formenspielerischen
,
vergnüglichen
Charakter
aufzuprägen
: mit
welcher
Veränderung
nur etwa die
Metamorphose
des
aeschyleischen
Menschen
in den
alexandrinischen
Heiterkeitsmenschen
verglichen
werden
dürfte
.
Wenn wir aber mit
Recht
in der hiermit
angedeuteten
Exemplification
das
Entschwinden
des
dionysischen
Geistes
mit einer
höchst
auffälligen
, aber
bisher
unerklärten
Umwandlung
und
Degeneration
des
griechischen
Menschen
in
Zusammenhang
gebracht
haben -
welche
Hoffnungen
müssen
in uns
aufleben
, wenn uns die
allersichersten
Auspicien
den
umgekehrten
Prozess
, das
allmähliche
Erwachen
des
dionysischen
Geistes
in unserer
gegenwärtigen
Welt
,
verbürgen
! Es ist nicht
möglich
,
dass
die
göttliche
Kraft
des
Herakles
ewig
im
üppigen
Frohndienste
der
Omphale
erschlafft
. Aus dem
dionysischen
Grunde
des
deutschen
Geistes
ist eine
Macht
emporgestiegen
, die mit den
Urbedingungen
der
sokratischen
Cultur
nichts
gemein
hat und aus ihnen weder zu
erklären
noch zu
entschuldigen
ist,
vielmehr
von dieser
Cultur
als das
Schrecklich
Unerklärliche
, als das
Uebermächtig-Feindselige
empfunden
wird, die
deutsche
Musik
, wie wir sie
vornehmlich
in ihrem
mächtigen
Sonnenlaufe
von
Bach
zu
Beethoven
, von
Beethoven
zu
Wagner
zu
verstehen
haben. Was
vermag
die
erkenntnisslüsterne
Sokratik
unserer
Tage
günstigsten
Falls
mit diesem aus
unerschöpflichen
Tiefen
emporsteigenden
Dämon
zu
beginnen
? Weder von dem
Zacken-
und
Arabeskenwerk
der
Opernmelodie
aus, noch mit
Hülfe
des
arithmetischen
Rechenbretts
der
Fuge
und der
contrapunktischen
Dialektik
will sich die
Formel
finden
lassen
, in deren
dreimal
gewaltigem
Licht
man
jenen
Dämon
sich
unterwürfig
zu
machen
und zum
Reden
zu
zwingen
vermöchte
.
Welches
Schauspiel
, wenn jetzt
unsere
Aesthetiker
, mit dem
Fangnetz
einer ihnen
eignen
"
Schönheit
", nach dem
vor
ihnen mit
unbegreiflichem
Leben
sich
tummelnden
Musikgenius
schlagen
und
haschen
, unter
Bewegungen
, die nach der
ewigen
Schönheit
ebensowenig
als nach dem
Erhabenen
beurtheilt
werden
wollen
. Man
mag
sich nur diese
Musikgönner
einmal
leibhaft
und in der
Nähe
besehen
, wenn sie so
unermüdlich
Schönheit
!
Schönheit
!
rufen
, ob sie sich dabei wie die im
Schoosse
des
Schönen
gebildeten
und
verwöhnten
Lieblingskinder
der
Natur
ausnehmen
oder ob sie nicht
vielmehr
für
die
eigne
Rohheit
eine
lügnerisch
verhüllende
Form
,
für
die
eigne
empfindungsarme
Nüchternheit
einen
aesthetischen
Vorwand
suchen
:
wobei
ich
z
.
B
. an
Otto
Jahn
denke
.
Vor
der
deutschen
Musik
aber
mag
sich der
Lügner
und
Heuchler
in Acht
nehmen
:
denn
gerade
sie ist,
inmitten
aller unserer
Cultur
, der
einzig
reine
,
lautere
und
läuternde
Feuergeist
, von dem aus und zu dem hin, wie in der
Lehre
des
grossen
Heraklit
von
Ephesus
, sich alle
Dinge
in
doppelter
Kreisbahn
bewegen
: alles, was wir jetzt
Cultur
,
Bildung
,
Civilisation
nennen
, wird
einmal
vor
dem
untrüglichen
Richter
Dionysus
erscheinen
müssen
.
Erinnern
wir uns
sodann
, wie dem aus
gleichen
Quellen
strömenden
Geiste
der
deutschen
Philosophie
, durch
Kant
und
Schopenhauer
, es
ermöglicht
war, die
zufriedne
Daseinslust
der
wissenschaftlichen
Sokratik
, durch den
Nachweis
ihrer
Grenzen
, zu
vernichten
, wie durch diesen
Nachweis
eine
unendlich
tiefere
und
ernstere
Betrachtung
der
ethischen
Fragen
und der
Kunst
eingeleitet
wurde
, die wir
geradezu
als die in
Begriffe
gefasste
dionysische
Weisheit
bezeichnen
können
:
wohin
weist
uns das
Mysterium
dieser
Einheit
zwischen der
deutschen
Musik
und der
deutschen
Philosophie
, wenn nicht auf eine
neue
Daseinsform
, über deren
Inhalt
wir uns nur aus
hellenischen
Analogien
ahnend
unterrichten
können
?
Denn
diesen
unausmessbaren
Werth
behält
für
uns, die wir an der
Grenzscheide
zweier
verschiedener
Daseinsformen
stehen
, das
hellenische
Vorbild
,
dass
in
ihm
auch alle
jene
Uebergänge
und
Kämpfe
zu einer
classisch-belehrenden
Form
ausgeprägt
sind: nur
dass
wir
gleichsam
in
umgekehrter
Ordnung
die
grossen
Hauptepochen
des
hellenischen
Wesens
analogisch
durcherleben
und zum
Beispiel
jetzt aus dem
alexandrinischen
Zeitalter
rückwärts
zur
Periode
der
Tragödie
zu
schreiten
scheinen
. Dabei
lebt
in uns die
Empfindung
, als ob die
Geburt
eines
tragischen
Zeitalters
für
den
deutschen
Geist
nur eine
Rückkehr
zu sich selbst, ein
seliges
Sichwiederfinden
zu
bedeuten
habe, nachdem
für
eine
lange
Zeit
ungeheure
von
aussen
her
eindringende
Mächte
den in
hülfloser
Barbarei
der
Form
dahinlebenden
zu einer
Knechtschaft
unter ihrer
Form
gezwungen
hatten. Jetzt
endlich
darf
er, nach seiner
Heimkehr
zum
Urquell
seines
Wesens
,
vor
allen
Völkern
kühn
und
frei
, ohne das
Gängelband
einer
romanischen
Civilisation
,
einherzuschreiten
wagen
: wenn er nur von einem
Volke
unentwegt
zu
lernen
versteht
, von dem
überhaupt
lernen
zu
können
schon ein
hoher
Ruhm
und eine
auszeichnende
Seltenheit
ist, von den
Griechen
. Und wann
brauchten
wir diese
allerhöchsten
Lehrmeister
mehr als jetzt, wo wir die
Wiedergeburt
der
Tragödie
erleben
und in
Gefahr
sind, weder zu
wissen
, woher sie
kommt
, noch uns
deuten
zu
können
,
wohin
sie will?
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