Index
|
Wörter
:
alphabetisch
-
Frequenz
-
rückläufig
-
Länge
-
Statistik
|
Hilfe
|
IntraText-Bibliothek
Friedrich Wilhelm Nietzsche
Die Geburt der Tragödie
IntraText CT - Text
Vorwort an Richard Wagner.
20.
zurück
-
vor
Hier klicken um die Links zu den Konkordanzen auszublenden
20.
Es
möchte
einmal
, unter den
Augen
eines
unbestochenen
Richters
,
abgewogen
werden, in
welcher
Zeit
und in
welchen
Männern
bisher
der
deutsche
Geist
von den
Griechen
zu
lernen
am
kräftigsten
gerungen
hat; und wenn wir mit
Zuversicht
annehmen
,
dass
dem
edelsten
Bildungskampfe
Goethe
'
s
,
Schiller
'
s
und
Winckelmann
'
s
dieses
einzige
Lob
zugesprochen
werden
müsste
, so
wäre
jedenfalls
hinzuzufügen
,
dass
seit
jener
Zeit
und den
nächsten
Einwirkungen
jenes
Kampfes
, das
Streben
auf einer
gleichen
Bahn
zur
Bildung
und zu den
Griechen
zu
kommen
, in
unbegreiflicher
Weise
schwächer
und
schwächer
geworden
ist.
Sollten
wir, um nicht
ganz
an dem
deutschen
Geist
verzweifeln
zu
müssen
, nicht daraus den
Schluss
ziehen
dürfen
,
dass
in
irgend
welchem
Hauptpunkte
es auch
jenen
Kämpfern
nicht
gelungen
sein
möchte
, in den
Kern
des
hellenischen
Wesens
einzudringen
und einen
dauernden
Liebesbund
zwischen der
deutschen
und der
griechischen
Cultur
herzustellen
? So
dass
vielleicht ein
unbewusstes
Erkennen
jenes
Mangels
auch in den
ernsteren
Naturen
den
verzagten
Zweifel
erregte
, ob sie, nach
solchen
Vorgängern
, auf diesem
Bildungswege
noch weiter wie
jene
und
überhaupt
zum
Ziele
kommen
würden
. Deshalb
sehen
wir seit
jener
Zeit
das
Urtheil
über den
Werth
der
Griechen
für
die
Bildung
in der
bedenklichsten
Weise
entarten
; der
Ausdruck
mitleidiger
Ueberlegenheit
ist in den
verschiedensten
Feldlagern
des
Geistes
und des
Ungeistes
zu
hören
;
anderwärts
tändelt
eine
gänzlich
wirkungslose
Schönrednerei
mit der "
griechischen
Harmonie
", der "
griechischen
Schönheit
", der "
griechischen
Heiterkeit
". Und
gerade
in den
Kreisen
, deren
Würde
es
sein
könnte
, aus dem
griechischen
Strombett
unermüdet
, zum
Heile
deutscher
Bildung
, zu
schöpfen
, in den
Kreisen
der
Lehrer
an den
höheren
Bildungsanstalten
hat man am
besten
gelernt
, sich mit den
Griechen
zeitig
und in
bequemer
Weise
abzufinden
, nicht
selten
bis zu einem
sceptischen
Preisgeben
des
hellenischen
Ideals
und bis zu einer
gänzlichen
Verkehrung
der
wahren
Absicht
aller
Alterthumsstudien
. Wer
überhaupt
in
jenen
Kreisen
sich nicht
völlig
in dem
Bemühen
, ein
zuverlässiger
Corrector
von
alten
Texten
oder ein
naturhistorischer
Sprachmikroskopiker
zu
sein
,
erschöpft
hat, der
sucht
vielleicht auch das
griechische
Alterthum
, neben
anderen
Alterthümern
, sich "
historisch
"
anzueignen
, aber
jedenfalls
nach der
Methode
und mit den
überlegenen
Mienen
unserer
jetzigen
gebildeten
Geschichtsschreibung
. Wenn
demnach
die
eigentliche
Bildungskraft
der
höheren
Lehranstalten
wohl
noch
niemals
niedriger
und
schwächlicher
gewesen
ist, wie in der
Gegenwart
, wenn der "
Journalist
", der
papierne
Sclave
des
Tages
, in jeder
Rücksicht
auf
Bildung
den
Sieg
über den
höheren
Lehrer
davongetragen
hat, und
Letzterem
nur noch die
bereits
oft
erlebte
Metamorphose
übrig
bleibt
, sich jetzt nun auch in der
Sprechweise
des
Journalisten
, mit der "
leichten
Eleganz
" dieser
Sphäre
, als
heiterer
gebildeter
Schmetterling
zu
bewegen
- in
welcher
peinlichen
Verwirrung
müssen
die
derartig
Gebildeten
einer
solchen
Gegenwart
jenes
Phänomen
anstarren
, das nur etwa aus dem
tiefsten
Grunde
des
bisher
unbegriffnen
hellenischen
Genius
analogisch
zu
begreifen
wäre
, das
Wiedererwachen
des
dionysischen
Geistes
und die
Wiedergeburt
der
Tragödie
? Es
giebt
keine
andere
Kunstperiode
, in der sich die
sogenannte
Bildung
und die
eigentliche
Kunst
so
befremdet
und
abgeneigt
gegenübergestanden
hätten
, als wir das in der
Gegenwart
mit
Augen
sehn
. Wir
verstehen
es, warum eine so
schwächliche
Bildung
die
wahre
Kunst
hasst
;
denn
sie
fürchtet
durch sie ihren
Untergang
. Aber
sollte
nicht eine
ganze
Art
der
Cultur
,
nämlich
jene
sokratisch-alexandrinische
, sich
ausgelebt
haben, nachdem sie in eine so
zierlich-schmächtige
Spitze
, wie die
gegenwärtige
Bildung
ist,
auslaufen
konnte! Wenn es
solchen
Helden
, wie
Schiller
und
Goethe
, nicht
gelingen
durfte
,
jene
verzauberte
Pforte
zu
erbrechen
, die in den
hellenischen
Zauberberg
führt
, wenn es bei ihrem
muthigsten
Ringen
nicht weiter
gekommen
ist als bis zu jenem
sehnsüchtigen
Blick
, den die
Goethische
Iphigenie
vom
barbarischen
Tauris
aus nach der
Heimat
über das
Meer
hin
sendet
, was
bliebe
den
Epigonen
solcher
Helden
zu
hoffen
, wenn sich ihnen nicht
plötzlich
, an einer
ganz
anderen
, von
allen
Bemühungen
der
bisherigen
Cultur
unberührten
Seite
die
Pforte
von selbst
aufthäte
- unter dem
mystischen
Klange
der
wiedererweckten
Tragödienmusik
.
Möge
uns Niemand unsern
Glauben
an eine noch
bevorstehende
Wiedergeburt
des
hellenischen
Alterthums
zu
verkümmern
suchen
;
denn
in
ihm
finden
wir allein unsre
Hoffnung
für
eine
Erneuerung
und
Läuterung
des
deutschen
Geistes
durch den
Feuerzauber
der
Musik
. Was
wüssten
wir sonst zu
nennen
, was in der
Verödung
und
Ermattung
der
jetzigen
Cultur
irgend
welche
tröstliche
Erwartung
für
die
Zukunft
erwecken
könnte
?
Vergebens
spähen
wir nach einer
einzigen
kräftig
geästeten
Wurzel
, nach einem
Fleck
fruchtbaren
und
gesunden
Erdbodens
:
überall
Staub
,
Sand
,
Erstarrung
,
Verschmachten
.
Da
möchte
sich ein
trostlos
Vereinsamter
kein
besseres
Symbol
wählen
können
, als den
Ritter
mit
Tod
und
Teufel
, wie
ihn
uns
Dürer
gezeichnet
hat, den
geharnischten
Ritter
mit dem
erzenen
,
harten
Blicke
, der seinen
Schreckensweg
,
unbeirrt
durch seine
grausen
Gefährten
, und doch
hoffnungslos
, allein mit
Ross
und
Hund
zu
nehmen
weiss
. Ein
solcher
Dürerscher
Ritter
war unser
Schopenhauer
:
ihm
fehlte
jede
Hoffnung
, aber er
wollte
die
Wahrheit
. Es
giebt
nicht
Seinesgleichen
. -
Aber wie
verändert
sich
plötzlich
jene
eben
so
düster
geschilderte
Wildniss
unserer
ermüdeten
Cultur
, wenn sie der
dionysische
Zauber
berührt
! Ein
Sturmwind
packt
alles
Abgelebte
,
Morsche
,
Zerbrochne
,
Verkümmerte
,
hüllt
es
wirbelnd
in eine
rothe
Staubwolke
und
trägt
es wie ein
Geier
in die
Lüfte
.
Verwirrt
suchen
unsere
Blicke
nach dem
Entschwundenen
:
denn
was sie
sehen
, ist wie aus einer
Versenkung
an'
s
goldne
Licht
gestiegen
, so
voll
und
grün
, so
üppig
lebendig
, so
sehnsuchtsvoll
unermesslich
. Die
Tragödie
sitzt
inmitten
dieses
Ueberflusses
an
Leben
,
Leid
und
Lust
, in
erhabener
Entzückung
, sie
horcht
einem
fernen
schwermüthigen
Gesange
- er
erzählt
von den
Müttern
des
Seins
, deren
Namen
lauten
:
Wahn
,
Wille
,
Wehe
. - Ja, meine
Freunde
,
glaubt
mit mir an das
dionysische
Leben
und an die
Wiedergeburt
der
Tragödie
. Die
Zeit
des
sokratischen
Menschen
ist
vorüber
:
kränzt
euch
mit
Epheu
,
nehmt
den
Thyrsusstab
zur
Hand
und
wundert
euch
nicht, wenn
Tiger
und
Panther
sich
schmeichelnd
zu euren
Knien
niederlegen
. Jetzt
wagt
es nur,
tragische
Menschen
zu
sein
:
denn
ihr
sollt
erlöst
werden. Ihr
sollt
den
dionysischen
Festzug
von
Indien
nach
Griechenland
geleiten
!
Rüstet
euch
zu
hartem
Streite
, aber
glaubt
an die
Wunder
eures
Gottes
!
zurück
-
vor
Index
|
Wörter
:
alphabetisch
-
Frequenz
-
rückläufig
-
Länge
-
Statistik
|
Hilfe
|
IntraText-Bibliothek
Best viewed with any browser at 800x600 or 768x1024 on Tablet PC
IntraText®
(V89) - Some rights reserved by
EuloTech SRL
- 1996-2007. Content in this page is licensed under a
Creative Commons License