VI. DIE
KIRCHE UND DIE RELIGIONEN IM HINBLICK AUS DAS HEIL
20.
Von dem, was oben in Erinnerung gerufen wurde, ergeben sich auch einige
notwendige Punkte für die Richtung, welche die theologische Reflexion
einschlagen muss, um die Beziehung der Kirche und der Religionen mit dem Heil
zu vertiefen.
Es ist vor
allem fest zu glauben, dass die"pilgernde Kirche zum Heile notwendig ist.
Der eine Christus ist Mittler und Weg zum Heil, der in seinem Leib, der Kirche,
uns gegenwärtig wird; indem er aber selbst mit ausdrücklichen Worten die
Notwendigkeit des Glaubens und der Taufe betont hat (vgl. Mk 16,16; Joh 3,5),
hat er zugleich die Notwendigkeit der Kirche, in die die Menschen durch die
Taufe wie durch eine Türe eintreten, bekräftigt".77 Diese Lehre
darf nicht dem allgemeinen Heilswillen Gottes entgegengesetzt werden (vgl. 1
Tim 2,4); deswegen"muss man diese beiden Wahrheiten zusammen gegenwärtig
haben, die tatsächlich gegebene Möglichkeit des Heiles in Christus für alle
Menschen und die Notwendigkeit der Kirche für dieses Heil".78
Die Kirche
ist das"allumfassende Heilssakrament".79 Sie ist immer auf
geheimnisvolle Weise mit dem Retter Jesus Christus, ihrem Haupt, verbunden und
ihm untergeordnet, und hat deshalb im Plan Gottes eine unumgängliche Beziehung
zum Heil eines jeden Menschen. 80 Für jene, die nicht formell und
sichtbar Glieder der Kirche sind,"ist das Heil in Christus zugänglich
kraft der Gnade, die sie zwar nicht förmlich in die Kirche eingliedert —
obschon sie geheimnisvoll mit ihr verbunden sind —, aber ihnen in angemessener
Weise innerlich und äußerlich Licht bringt. Diese Gnade kommt von Christus, sie
ist Frucht seines Opfers und wird vom Heiligen Geist geschenkt".81
Sie steht in Beziehung zur Kirche, die"ihren Ursprung aus der Sendung des
Sohnes und der Sendung des Heiligen Geistes herleitet gemäß dem Plan Gottes des
Vaters".82
21.
Bezüglich der Weise, in der die heilbringende Gnade Gottes, die immer durch
Christus im Heiligen Geist geschenkt wird und in geheimnisvoller Beziehung zur
Kirche steht, die einzelnen Nichtchristen erreicht, stellt das Zweite
Vatikanische Konzil lediglich fest, dass Gott sie schenkt"auf Wegen, die
er weiß".83 Die Theologie ist damit beschäftigt, dieses Thema zu
vertiefen. Diese theologische Arbeit ist zu ermutigen, denn sie ist zweifellos
nützlich für ein wachsendes Verständnis der Heilspläne Gottes und der Wege
ihrer Verwirklichung. Doch aus dem bisher Gesagten über die Mittlerschaft Jesu
Christi und über die"besondere und einzigartige Beziehung"84
zwischen der Kirche und dem Reich Gottes unter den Menschen — das im
Wesentlichen das Reich des universalen Retters Jesus Christus ist —, geht klar
hervor, dass es dem katholischen Glauben widerspräche, die Kirche als einen
Heilsweg neben jenen in den anderen Religionen zu betrachten, die komplementär
zur Kirche, ja im Grunde ihr gleichwertig wären, insofern sie mit dieser zum
eschatologischen Reich Gottes konvergierten.
Gewiss
enthalten und bieten die verschiedenen religiösen Traditionen Elemente der
Religiosität, die von Gott kommen85 und zu dem gehören, was"der
Geist im Herzen der Menschen und in der Geschichte der Völker, in den Kulturen
und Religionen bewirkt".86 Einige Gebete und Riten der anderen
Religionen können tatsächlich die Annahme des Evangeliums vorbereiten, insofern
sie Gelegenheiten bieten und dazu erziehen, dass die Herzen der Menschen
angetrieben werden, sich dem Wirken Gottes zu öffnen. 87 Man kann ihnen
aber nicht einen göttlichen Ursprung oder eine Heilswirksamkeit ex opere
operato zuerkennen, die den christlichen Sakramenten eigen ist. 88 Es
kann auch nicht geleugnet werden, dass andere Riten, insofern sie von
abergläubischen Praktiken oder anderen Irrtümern abhängig sind (vgl. 1 Kor
10,20-21), eher ein Hindernis für das Heil darstellen. 89
22.
Mit dem Kommen Jesu Christi, des Retters, hat Gott die Kirche für das Heil
aller Menschen eingesetzt (vgl. Apg 17,30-31). 90 Diese
Glaubenswahrheit nimmt nichts von der Tatsache weg, dass die Kirche die
Religionen der Welt mit aufrichtiger Ehrfurcht betrachtet, schließt aber
zugleich radikal jene Mentalität des Indifferentismus aus,
die"durchdrungen ist von einem religiösen Relativismus, der zur Annahme
führt, dass "eine Religion gleich viel gilt wie die
andere"".91 Wenn es auch wahr ist, dass die Nichtchristen die
göttliche Gnade empfangen können, so ist doch gewiss, dass sie sich objektiv in
einer schwer defizitären Situation befinden im Vergleich zu jenen, die in der
Kirche die Fülle der Heilsmittel besitzen. 92"Alle Söhne der
Kirche sollen aber dessen eingedenk sein, dass ihre ausgezeichnete Stellung
nicht den eigenen Verdiensten, sondern der besonderen Gnade Christi
zuzuschreiben ist; wenn sie ihr im Denken, Reden und Handeln nicht entsprechen,
wird ihnen statt Heil strengeres Gericht zuteil".93 Man versteht
also, dass die Kirche in Treue zum Auftrag des Herrn (vgl. Mt 28,19-20) und als
Forderung der Liebe zu allen Menschen"unablässig verkündet und verkündigen
muss Christus, der ist "der Weg und die Wahrheit und das Leben" (Joh
14,6), in dem die Menschen die Fülle des religiösen Lebens finden, in dem Gott
alles mit sich versöhnt hat".94
Auch im
interreligiösen Dialog behält die Sendung ad gentes"heute und immer...
ihre ungeschmälerte Bedeutung und Notwendigkeit".95"Gott will
ja, "dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit
gelangen" (1 Tim 2,4). Gott will, dass alle durch die Erkenntnis der
Wahrheit das Heil erlangen. Das Heil liegt in der Wahrheit. Wer dem Antrieb des
Geistes der Wahrheit gehorcht, ist schon auf dem Weg zum Heil; die Kirche aber,
der diese Wahrheit anvertraut worden ist, muss dem Verlangen des Menschen
entgegengehen und sie ihm bringen. Weil die Kirche an den allumfassenden
Heilsratschluss Gottes glaubt, muss sie missionarisch sein".96
Deswegen ist der Dialog, der zum Evangelisierungsauftrag gehört, nur eine der
Tätigkeiten der Kirche in ihrer Sendung ad gentes. 97 Die Parität, die
Voraussetzung für den Dialog ist, bezieht sich auf die gleiche personale Würde
der Partner, nicht auf die Lehrinhalte und noch weniger auf Jesus Christus, den
menschgewordenen Sohn Gottes, im Vergleich zu den Gründern der anderen
Religionen. Geführt von der Liebe und von der Achtung vor der Freiheit,
98 muss sich die Kirche vorrangig darum bemühen, allen Menschen die
Wahrheit, die durch den Herrn endgültig geoffenbart wurde, zu verkünden und sie
aufzurufen, dass die Bekehrung zu Jesus Christus und die Zugehörigkeit zur
Kirche durch die Taufe und die anderen Sakramente notwendig sind, um in voller
Weise an der Gemeinschaft mit Gott dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist
teilzuhaben. Die Pflicht und die Dringlichkeit, das Heil und die Bekehrung zum
Herrn Jesus Christus zu verkünden, wird durch die Gewissheit des universalen
Heilswillens Gottes nicht gelockert, sondern verstärkt.
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