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Internationale Theologische Kommission
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  • Zweites Kapitel BIBLISCHE ZUGÄNGE ZUR FRAGE: HEILIGES GOTTESVOLK UND SCHULD
    • 2.1 Altes Testament
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2.1 Altes Testament 

Sündenbekenntnisse und Vergebungsbitten finden sich in der ganzen Heiligen Schrift, in den Geschichtserzählungen des Alten Testaments ebenso wie in den Psalmen, den Propheten und in den Evangelien. Das gilt gleichfalls, wenn auch eher sporadisch, für die Weisheitsliteratur und die neutestamentlichen Briefe. Angesichts der Überfülle der Zeugnisse stellt sich die Frage, wie man die sprechendsten Zeugnisse auswählen und inhaltlich ordnen soll.

Man kann die biblischen Zeugnisse in Bezug auf das Sündenbekenntnis mit der Leitfrage untersuchen: Wer bekennt wem welche Sünde? 

Anhand dieser Fragestellung ergeben sich zwei Hauptkategorien der Sündenbekenntnisse, wozu natürlich diverse Unterkategorien gehören: a) Texte des Bekenntnisses individueller Sünden, und b) Texte mit dem Bekenntnis der Sünden des ganzen Volkes (und der Vorfahren).

Angesichts der aktuellen kirchlichen Praxis, der diese Untersuchung dient, empfiehlt sich eine Beschränkung der Analyse auf die zweite Kategorie.

In dieser Kategorie des Sündenbekenntnisses des ganzen Volkes lassen sich verschiedene Möglichkeiten unterscheiden: Wer spricht das Bekenntnis der Sünden des Volkes, wer ist miteinbezogen und wer nicht, noch ganz abgesehen davon, ob und inwieweit sich ein Bewusstsein persönlicher Verantwortlichkeit erkennen lässt, das sich erst nach und nach ausgebildet hat (vgl. Ez 14,12-23;18,1-32; 33,10-20).

Anhand dieser Kriterien sind folgende Fälle zu unterscheiden, die aber durchaus fließende Übergänge aufweisen:

- Eine erste Reihe von Texten zeigt das ganze Volk (das manchmal in einem einzelnen "Ich" personifiziert ist), wie es in einem besonderen Moment seiner Geschichte seine Sünden vor Gott bekennt oder auf sie hinweist, ohne dass irgendein (expliziter) Bezug auf die Sünden und Fehler vorangegangener Generationen hergestellt wird31

- Eine zweite Gruppe von Texten legt das Bekenntnis der Sünden des Volkes vor Gott auf die Lippen einzelner oder mehrerer (religiöser) Autoritäten, die sich ausdrücklich in das Volk, für das sie bitten, miteinschließen können (oder auch nicht)32
- Eine dritte Textgruppe stellt das Volk oder einen seiner Repräsentanten vor, wie diese die Sünden der Vorfahren ins Gedächtnis rufen, ohne dabei jedoch die Sünden der gegenwärtigen Generation zu erwähnen33.
- Sehr häufig werden die Sündenbekenntnisse, die die Schuld der Vorfahren erwähnen, ausdrücklich auf die Irrtümer der gegenwärtigen Generation bezogen und mit ihnen in Verbindung gebracht34.

Aus den angeführten Zeugnissen ergibt sich: In allen Fällen, in denen die "Sünden der Väter" erwähnt werden, richtet sich das Bekenntnis ausschließlich an Gott. Alle Sünden, die das Volk bekennt oder die in seinem Namen bekannt werden, sind immer Sünden, die sich unmittelbar gegen Gott gerichtet haben, eher als die Sünden, die man gegenüber anderen Menschen beging (nur im Sündenbekenntnis von Num 21,7 ist eine Auflehnung erwähnt, die sich gegen einen Menschen richtet, nämlich gegen Mose)35.

Somit erhebt sich die Frage nach dem Grund, warum die biblischen Schriftsteller nicht die Notwendigkeit einer an die gegenwärtigen Partner gerichteten Vergebungsbitte für die von den Vätern begangenen Sünden gesehen haben. Dies ist um so bemerkenswerter angesichts des klaren Bewusstseins der generationenübergreifenden Solidarität im Guten wie im Bösen (man denke nur an die Vorstellung der "korporativen Persönlichkeit"). Die verschiedensten Hypothesen wurden als Antwort auf diese Fragen aufgestellt

Als allerwichtigster Umstand ist hier die biblische Theozentrik zu beachten. Sie bestimmt die gesamte  Schrift, sie stellt alle individuellen Sünden und Verfehlungen des Volkes in den Horizont Gottes. Darüber hinaus ist zu beachten, dass Gewalttätigkeiten Israels gegen andere Völker, für die man eine Vergebungsbitte Israels an diese Völker und ihre Nachkommen erwarten sollte, als Ausführung des göttlichen Heilsplans mit Israel verstanden wurden (insofern sich diese Völker der Führung Israels durch Gott entgegengestellt hatten). Die Interpretation der kriegerischen Konflikte Israels im Licht der Führungsgeschichte Jahwes findet man etwa im Zusammenhang der Ausrottung der Kanaanäer (Jos 2-11; Dtn 7,2) oder der Vernichtung der Amalekiter (1 Sam 15; Dtn 25,19). In solchen Fällen scheint die Ausführung eines von Gott erhaltenen Auftrags von vornherein jede mögliche Vergebungsbitte auszuschließen36.

Die üblen Erfahrungen mit der Gewalttätigkeit anderer Völker dürften die Idee einer Bitte um Vergebung an diese Völker für das ihnen zugefügte Böse nicht gerade gefördert haben".37 

Aufs ganze gesehen darf aber der bedeutende Beitrag des Alten Testaments zum Thema in der Vergebungsbitte für Unrecht aus der Vergangenheit bestehen. Es ist das Bewusstsein der Solidarität in der Sünde wie auch in der Gnade, die es unter den Generationen gibt, die in der Aufeinanderfolge ein Volk zu einem geschichtlichen Subjekt machen. Es findet seinen Ausdruck im Bekenntnis der "Sünden der Väter vor Gott". Daher konnte Johannes Paul II. die tiefgründigen Worte aus dem Lobgesang Asarjas im Feuerofen aufgreifen und im Blick auf die Gegenwart bekennen: "<Gepriesen bist du, Herr Gott unserer Väter... wir haben gesündigt und durch Treubruch gefrevelt und haben in allem gefehlt. Wir haben deinen Geboten nicht gehorcht> (Dan 3,26.29). Auf diese Weise beteten die Juden nach dem Exil (vgl. auch Bar 2,11-13), indem sie bewusst die Last der Sünden auf sich nahmen, die ihre Väter begangen hatten. Die Kirche ahmt ihr Beispiel nach und bittet um Vergebung für die vergangenen Sünden auch ihrer Söhne und Töchter."38




31 Aus dieser Reihe von Texten sind als Beispiele zu nennen Dtn 1,41: Die Wüstengeneration bekennt, gesündigt zu haben durch die Weigerung, in das verheißene Land hinaufzuziehen; Ri 10,10. 12: Zur Zeit der Richter sagt das Volk zweimal "wir haben gesündigt" gegen den Herrn, da sie den Baalen gedient haben; 1 Sam 7,6: Das Volk zur Zeit des Samuel bekennt: "Wir haben gegen den Herrn gesündigt!"; Num 21,7: Dieser Text unterscheidet sich insofern, als das Volk der Mosegeneration hier zugibt, sich mit seiner Klage über "die elende Speise" der "Sünde" schuldig gemacht zu haben, weil es gegen den Herrn und auch gegen seinen menschlichen Führer, Mose, gemurrt hatte; 1 Sam 12,19: Die Israeliten der Samuelepoche erkennen an, dass sie, indem sie einen König forderten, dies "zu all ihren Sünden hinzugefügt haben"; Esra 10,13: Das Volk erkennt vor Esra, schwer gesündigt zu haben, da man sich mit fremden Frauen verheiratet hatte; vgl, auch Ps 65,2; 90,8;103,10 (107,10-11.17); Jes 59,9-15; 64,5-9; Jer 8,14;14,7; Klgl 1,14.18a. 22 (das "Ich" ist hier die Personifikation Jerusalems); 3,42 (4,13); Bar 4,12-13: Zion ruft die Sünden seiner Söhne wach, die zu seiner Verwüstung beigetragen haben; Ez 33,10; Mi 7,9 ("Ich").18-19.


32 Zum Beispiel Ex 9,27, wo der Pharao zu Mose und Aaron sagt: "Diesmal bekenne ich mich schuldig. Jahwe ist im Recht; ich aber und mein Volk, wir sind im Unrecht."; Ex 34,9: Mose bittet: "Vergib uns unsere Schuld und Sünde"; Lev 16,21: Der Hohepriester bekennt am großen Versöhnungstag die Sünden des Volkes, während er seine Hände auf den Kopf des "Sündenbocks" legt und diesem so die Sünden auflädt; Ex 32,11-13 (vgl. Dtn 9,26-29: Mose); Ex 32,31 (Mose); 1 Kön 8,33ff. (vgl. 2 Chr 6,22ff.): Salomon bittet, dass Gott mögliche zukünftige Sünden vergebe; 2 Chr 28,13: Die Führer Israels beteuern: "Unsere Schuld ist schon groß genug; Esra 10,2. Schechanja sagt zu Esra: "Ja, wir haben unserem Gott die Treue gebrochen; wir haben fremde Frauen aus der Bevölkerung des Landes geheiratet; Neh 1,5-11: Nehemia bekennt die vom Volk Israel begangenen Sünden, sowohl seine eigenen wie auch die des Hauses seines Vaters; Est 4,17n: Esther bekennt: "Wir haben gesündigt gegen dich und du hast uns unseren Feinden ausgeliefert, weil wir ihre Götter verehrt haben"; 2 Makk 7,18. 32: Die jüdischen Märtyrer bekennen, dass sie zu leiden haben wegen "unserer Sünden" gegen Gott. -


33  Als Beispiele kann man anführen 2 Kön 22,13 (vgl. 2 Chr 34,21): Joschija fürchtet den Zorn des Herrn, "weil unsere Väter auf die Worte dieses Buches nicht gehört haben; 2 Chr 29,5-7: Der König Hiskija sagt zu den Priestern und Leviten: "Heiligt euch jetzt, und heiligt das Haus des Herrn. Schafft alles Unreine aus dem Heiligtum. Unsere Väter haben treulos gehandelt und getan, was dem Herrn missfiel"; Ps 78,8ff.: Der Beter spricht in Ich-Form: "... damit sie nicht werden wie ihre Väter, jenes Geschlecht voll Trotz und Empörung; zu beachten ist aber auch die sprichwörtliche Rede Jer 31,29f. und Ez 18,2: "In jenen Tagen sagt man nicht mehr: Die Väter haben saure Trauben gegessen, und den Söhnen werden die Zähne stumpf. Nein, jeder stirbt nur für seine eigene Schuld: nur dem, der die sauren Trauben isst, werden die Zähne stumpf.


34 Dies ist etwa der Fall Lev 26,40: Die Exilierten sollen "ihre und ihrer Väter Treulosigkeit eingestehen"; Esra 9,56-15, das Bußgebet des Esra, V. 7: "Seit den Tagen unserer Väter bis heute sind wir in großer Schuld"; vgl. Neh 9,6-37; Tob 3,1-5: In seinem Gebet ruft Tobit zu Gott: "Strafe mich nicht für die Sünden und Fehler, die ich und meine Väter dir gegenüber begangen haben (V. 3). In V. 5 stellt er fortfahrend fest: "denn wir haben deine Gebote nicht gehaltene"; Ps 79,8-9: In diesem Volksklagelied wird Gott angefleht: "Rechne uns die Schuld der Vorfahren nicht an ... Reiß uns heraus und vergib uns die Sünden!"; Ps 106,6: "wir haben gesündigt wie unsere Väter"; Jer 3,25: "Wir haben gesündigt gegen den Herrn unseren Gott ... wir und unsere Väter"; Jer 14,19-22: "Wir erkennen, Herr, unser Unrecht und die Schuld unserer Väter" (V. 20); Klgl 5,7: "Unsere Väter sündigten; sie sind nicht mehr. Wir müssen ihre Schuld tragen"; Klgl 5,16 b: "Weh uns, wir haben gesündigt; Bar 1,15-3,18; Bar 1,17: "wir haben gesündigt vor dem Herrn; vgl. Bar 1,19. 21; 2,5. 24; Bar 3,5: "gedenke nicht der Treulosigkeit unserer Väter; vgl. 2,23; 3,4.7; Dan 3,26-45: Asarja betet: "Ja, nach Wahrheit und Recht hast du all dies wegen unserer Sünden herbeigeführte (V. 28); Dan 9,4-19: "Wegen unserer Sünden und der bösen Taten unserer Väter sind Jerusalem und das ganze Volk zum Gespött für alle geworden, die rings um uns wohnen" (V.16).


35 Das schließt den Mangel an Vertrauen Gott gegenüber ein (wie zum Beispiel Dtn 1,41; Num 14,10), die Idolatrie (wie in Ri 10, 10-15), das Verlangen nach einem Menschen als König (1 Sam 12,9), die Eheschließung mit fremden Frauen im Widerspruch zum Gesetz Gottes (Esra 9-10). In Jes 59,13 b sagt das Volk von sich: "Wir reden von Gewalt und Aufruhr, wir haben Lügen im Herzen und sprechen sie aus."


36  Einen vergleichbaren Fall stellt die Verstoßung der fremden Frauen durch die Juden nach Esra 9-10 dar. Die Frage nach einer Bitte um Vergebung für die negativen Konsequenzen, die das für diese Frauen und ihre Nachkommen hatte, stellt sich nicht, da diese Verstoßung als Ausführung des Gesetzes Gottes aufgefasst wurde (vgl. Dtn 7,3).


37 Man kann hier an die ständig gespannten Beziehungen zwischen Israel und Edom denken. Obwohl Edom eigentlich ein "Brudervolk" Israels war, nahm es begeistert an der Zerstörung Jerusalems durch die Babylonier teil (vgl. Obd 10-14). Angesichts dieser schändlichen Behandlung sah Israel keine Notwendigkeit, für das Blutbad an unbewaffneten edomitischen Gefangenen unter dem König Amazja um Vergebung zu bitten (vgl. 2 Chr 25,12).


38 Johannes Paul II., Ansprache am 1. September 1999, in: L`Osservatore Romano, 2. September 1999, 4 (L`Osservatore Romano dt. vom 10. September 1999, 2).





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