3.1 Die Kirche: Zeichen und Werkzeug des universalen Heilswillens
Gottes
"Die Kirche steht inmitten der Geschichte, gleichzeitig aber
überschreitet sie auch die Dimension des geschichtlich Greifbaren. Nur <mit
den Augen des Glaubens> (Catechismus Romanus 1,10,20) vermag man in
ihrer sichtbaren Wirklichkeit auch eine geistige Realität wahrzunehmen, die
Trägerin göttlichen Lebens ist."43 Diese innere Vermittlung des
sichtbaren und geschichtlich wahrnehmbaren Aspektes zur unsichtbaren Dimension,
insofern die Kirche Gabe Gottes an die Menschen ist, kann in Analogie gesehen
werden zum gott-menschlichen Geheimnis Jesu Christi. Im fleischgewordenen
ewigen Wort Gottes ist die von der Person des Logos angenommene menschliche Natur
Christi Zeichen und Instrument des Heilswirkens des Sohnes Gottes in der Welt.
Die beiden Dimensionen des Seins und Wesens der Kirche "bilden eine
einzige komplexe Wirklichkeit, die aus menschlichem und göttlichem Element
zusammenwächst."44 Es ist eine Communio, die teilhat am Leben des
dreieinigen Gottes. Sie bewirkt, dass sich die Getauften untereinander vereint
wissen trotz der Verschiedenheit der Zeiten und Orte ihrer geschichtlichen
Existenz.
In der Kraft dieser alle Zeiten und Geschichtsräume umspannenden
Gemeinschaft versteht sich die Kirche als ein einziges Handlungssubjekt und
stellt sich als eine einzige Wirklichkeit in der Geschichte der Menschheit dar.
So ist sie Trägerin der Gaben Gottes, aber auch der Verdienste und der Sünden
ihrer Glieder gestern und heute.
Um Missverständnisse zu vermeiden, darf bei der Erwähnung der nicht
"unwesentlichen Analogie des Mysteriums der Kirche mit dem Geheimnis des
fleischgewordenen Wortes" der Hinweis auf die tiefreichende Grenze dieser
Analogie nicht unterbleiben. "Während aber Christus heilig, schuldlos,
unbefleckt war (Hehr 7,26) und die Sünde nicht kannte (2 Kor
5,21), sondern allein die Sünden des Volkes zu sühnen gekommen ist (vgl. Hebr
2,17), umfasst die Kirche Sünder in ihrem eigenen Schoß. Sie ist zugleich
heilig und stets der Reinigung bedürftig, sie geht immerfort den Weg der Buße
und der Erneuerung."45 Das Fehlen jeder Sünde bei Christus, dem
fleischgewordenen Wort, kann nicht unmittelbar auf seinen Leib, der die Kirche
ist, übertragen werden. Wenn auch jeder einzelne, insofern er Glied ist am
ekklesialen Leib Christi und an der von Gott geschenkten Gnade teilhat, so muss
er doch stets wachsam sein und bedarf einer lebenslang währenden Buße und
Erneuerung. Darin muss er sich auch verbunden wissen mit der Schwachheit seiner
Mitchristen. "Alle Glieder der Kirche, auch ihre Diener, müssen bekennen,
dass sie Sünder sind (vgl.1 Joh l,8ff.). In allen wächst zwischen der
guten Saat des Evangeliums bis zum Ende der Zeiten auch das Unkraut der Sünde
(vgl. Mt 13,24-30). Die Kirche vereint sündige Menschen, die zwar vom
Heil Christi erfasst, aber noch immer erst auf dem Weg zur Heiligkeit
sind."46
Schon Paul VI. hatte feierlich bekräftigt, dass "die Kirche heilig ist,
obwohl sich in ihrer Mitte auch Sünder befinden; denn sie lebt kein anderes
Leben als das der Gnade... Darum leidet die Kirche und büßt für die Sünden
ihrer Söhne und Töchter. Sie hat jedoch aus dem Blute Christi und aus der Gabe
des Heiligen Geistes auch die Vollmacht erhalten, ihre Kinder von den Wunden,
welche die Sünde geschlagen hat, zu heilen"47. In ihrem Geheimnis
ist die Kirche also ein ständiges Aufeinandertreffen von Heiligkeit und
Schwachheit, von Erlösung und Versagen. Die Kirche bedarf darum immer neu der Erlösungsmacht
der Gnade. Die liturgische Praxis weist uns auf eine innere Gesetzmäßigkeit des
Glaubens ("lex credendi") hin. Der einzelne Gläubige und die Kirche
als ganze flehen Gott an, dass er nicht auf die Sünden der einzelnen schauen
möge, sondern auf den Glauben seiner Kirche, denn die Sünden sind eine Negation
dieses Glaubens: "Ne respicias peccata nostra, sed fidem Ecclesiae
tuae".
Nimmt man die Einheit der Kirche in den Blick, die ihr Mysterium in dem
einen Raum der menschlichen Geschichtszeit vergegenwärtigt, treten die drei
wesentlichen Aspekte ihres Geheimnisses deutlich hervor: Der Aspekt der
Heiligkeit, der Aspekt der beständig notwendigen Buße und Reform sowie der
Aspekt, wie sich dies im Wirken der Kirche als unserer Mutter ausformt.
Diese drei Aspekte sollen im folgenden näher beleuchtet werden.
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