5.3 Am Beispiel: Anwendung von Gewalt im Dienst an der Wahrheit
Zu diesem Gegenzeugnis der Spaltungen unter den Christen sind verschiedene
Vorkommnisse im vergangenen Jahrtausend hinzuzufügen, bei denen zweifelhafte
Mittel angewandt worden sind, um gerechte Ziele zu erreichen. Mit diesen
rechten Zielen sind gemeint die Verkündigung des Evangeliums und die
Verteidigung der Einheit des Glaubens. In Tertio Millennio Adveniente
umschreibt der Papst das Problem: "Ein anderes schmerzliches Kapitel, auf
das die Kinder der Kirche mit reuebereitem Herzen zurückkommen müssen, stellt
die besonders in manchen Jahrhunderten an den Tag gelegte Nachgiebigkeit
angesichts von Methoden der Intoleranz oder sogar der Gewalt im Dienst
an der Wahrheit dar."78
Es geht also um Formen der Evangelisierung, die ungeeignet sind zur Verkündigung
der geoffenbarten Wahrheit. Dazu sind auch Methoden zu rechnen, die das
Evangelium ohne Gespür für die kulturellen Werte der Völker propagiert und
dabei die innere Hinordnung dieser Werte auf das Evangelium übersehen haben. Zu
bedauern ist auch mangelnder Respekt vor dem Gewissen der Personen, denen man
den Glauben vorgelegt hat. Verwerflich war jede Form der Gewaltausübung im
Kampf gegen Irrtümer.
Eine ebenso große Aufmerksamkeit erfordern die möglichen Unterlassungen der
Anklage von Ungerechtigkeit und Gewalt, derer sich die Glieder der Kirche in
verschiedenen historischen Situationen schuldig gemacht haben können. "Da
ist der Mangel an Wahrnehmungsfähigkeit vieler Christen angesichts
fundamentaler Verletzungen der Menschenrechte. Die Bitte um Vergebung gilt auch
für das Schweigen aus Feigheit oder falscher Lagebeurteilung und für das,
was unentschlossen und in wenig geeigneter Weise getan und gesagt
wurde."79
Wie in allen Fällen geht es auch hier darum, die historische Wahrheit durch
eine historisch-kritische Untersuchung herauszufinden.
Wenn die Fakten gesichert sind, ist die geistliche und moralische Auswertung
möglich. Dann kann man ihre objektive Bedeutung erhellen. Nur mit Hilfe
historischer Forschung kann Mythenbildung verhindert werden. Nur ein von
historisch-kritischem Bewusstsein geprägtes geschichtliches Gedächtnis ist
fähig, im Lichte des Glaubens die Früchte der Umkehr und der Erneuerung zu
tragen: "Aus jenen schmerzlichen Zügen der Vergangenheit ergibt sich eine
Lektion für die Zukunft, die jeden Christen veranlassen muss, sich ganz fest an
das vom Konzil geltend gemachte goldene Prinzip zu halten: <Die Wahrheit
erhebt nicht anders Anspruch als kraft der Wahrheit selbst, die sanft und
zugleich stark den Geist durchdringt>."80
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