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Internationale Theologische Kommission
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  • Drittes Kapitel SYSTEMATISCHE DARSTELLUNG
    • 3.4 Die Kirche Gottes ist unser aller Mutter im Glauben
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3.4 Die Kirche Gottes ist unser aller Mutter im Glauben 

Die Überzeugung, dass die Kirche sich die Verantwortung für die Sünde ihrer Glieder aufladen kann, ist in einprägsamer Weise ausgedrückt im Gedanken von der "Kirche als Mutter". Dieses Konzept der Ecclesia Mater ist sicher das Herzstück der frühpatristischen Ekklesiologie56. Mit diesem Bildwort bringen die Väter die Raum und Zeit durchziehende Solidarität aller Glaubenden und Getauften zum Ausdruck, die in der Inkorporation der Kirche in Christus und der einzelnen in der Taufe in der Kirche Christi und im Wirken des Heiligen Geistes begründet ist. 

Das II. Vatikanum erklärte das Geheimnis der Mutterschaft der Kirche mit Hinweis auf das Geheimnis Marias als Mutter und Jungfrau: "Nun aber wird die Kirche, indem sie Marias geheimnisvolle Heiligkeit betrachtet, ihre Liebe nachahmt und den Willen des Vaters getreu erfüllt, durch die gläubige Annahme des Wortes Gottes auch selbst Mutter: Durch Predigt und Taufe nämlich gebiert sie die vom Heiligen Geist empfangenen und aus Gott geborenen Kinder zum neuen und unsterblichen Leben. Auch ist sie Jungfrau, da sie das Treuewort, das sie dem Bräutigam gegeben hat, unversehrt und rein bewahrt und in Nachahmung der Mutter ihres Herrn in der Kraft des Heiligen Geistes jungfräulich einen unversehrten Glauben, eine feste Hoffnung und eine aufrichtige Liebe bewahrt."57

Der hl. Augustinus fasste diese reiche Tradition der Idee Ecclesia Mater in die prägnante Formulierung: "Diese heilige Mutter, die aller Verehrung wert ist, die Kirche, gleicht Maria, die geboren hat und Jungfrau geblieben ist, von ihr seid ihr geboren. Sie brachte Christus hervor, denn ihr seid Christi Glieder."58

Der hl. Cyprian von Karthago sagt es ohne Umschweife: "Der kann Gott nicht zum Vater haben, der die Kirche nicht zur Mutter hat."59 Und der hl. Paulinus von Nola besingt die Kirche in seinen geistlichen Gedichten: "Wie die Mutter empfängt sie den Samen des ewigen Wortes, sie trägt die Völker in ihrem Schoß und bringt sie in der Geburt zur Welt."60

Nach dieser Vision verwirklicht sich die Kirche kontinuierlich in der Gemeinschaft des Geistes und im geistlichen Austausch der Glaubenden untereinander. Die Kirche bietet so ein förderndes Umfeld des Glaubens und der Heiligkeit in brüderlicher Gemeinschaft, in der Einmütigkeit des Betens, in der solidarischen Teilnahme an Kreuz und Leiden und im gemeinsamen Zeugnis. Gestärkt von dieser lebensaufbauenden Gemeinschaft kann sich jeder einzelne Getaufte zur gleichen Zeit begreifen als Glied der Kirche, insofern er aus ihr geboren worden ist, und als Mutter Kirche, insofern er mit seinem Glauben und seiner Liebe mitwirkt, neue Söhne und Töchter Gottes hervorzubringen. Er ist um so mehr Mutter Kirche, je größer seine Heiligkeit und je brennender sein Eifer ist, die empfangene Gabe an andere weiter zu verschenken.

Andererseits aber bleibt er Glied der Kirche, wenn er sich auch durch die Sünde dem Herzen nach von der Kirche getrennt hat. Denn er kann immer von neuem zu den Quellen der Gnade hinzutreten und sich von der Last seiner Schuld befreien lassen, die seine Gemeinschaft mit der Kirche beschädigt hat. Es ist klar, dass sich die Kirche als wahre Mutter von den Sünden ihrer Söhne und Töchter gestern und heute verletzt fühlen muss, aber ebenso klar ist, dass sie wie eine Mutter auch nie aufhören kann, sie zu lieben und die Auswirkungen der Schuld ihrer Kinder mitzutragen. Den Kirchenvätern erschien die Kirche wie eine Schmerzensmutter, nicht allein wegen der äußeren Verfolgung der Christen, sondern in einem noch viel tieferen Sinn wegen des Verrats, des Scheiterns, des Zurückbleibens, der Fehler und Mängel ihrer Glieder.

Heiligkeit und Sünde bleiben nie ohne erhebliche Auswirkungen auf díe Kirche als ganze, wenn auch vom Glauben her feststeht, dass die Heiligkeit als Frucht der göttlichen Gnade sich immer als stärker erweist als die Sünde der Menschen. Ein Beweis dafür sind die überzeugenden Gestalten der Heiligen, die ihre Heiligkeit bis zum Tod bewahrt haben und die die Kirche als Beispiel und Hilfe für alle empfiehlt. Zwischen Gnade und Sünde gibt es keine Parallelität, Symmetrie oder gar ein dialektisches Verhältnis, denn der Einfluss des Bösen wird die Macht der Gnade nie besiegen und die Ausstrahlung, die vom oft noch so verborgenen Guten ausgeht, verdunkeln können. 

In dieser Hinsicht weiß sich die Kirche existentiell heilig in ihren heiligen Männern und Frauen. Während sie sich dieser Heiligkeit erfreut und aus den Wohltaten Gottes Kraft schöpft, bekennt sich die Kirche aber nicht minder als Sünderin. Aber in welchem Sinn versteht sie sich als Sünderin? Sie ist nicht Sünderin in dem Sinn, dass sie selber Subjekt und Täterin der Sünde ist. Die Kirche versteht sich als Sünderin, insofern sie sich in mütterlicher Solidarität die Last der Sünden ihrer Glieder selber auflädt, denn sie möchte in ihrer mütterlichen Liebe mitwirken an der Überwindung der Sünde und dem daraus entstandenen Schaden für den einzelnen und die Gemeinschaft. Darum gewährt die Kirche in der Vollmacht Christi nicht nur die Vergebung der Sünden und die Wiederversöhnung mit der Gemeinschaft. Die Kirche geht selbst den Weg der Buße und Umkehr zur Erneuerung des Lebens in der Gnade mit. Deswegen erkennt es die Kirche als ihre Pflicht, "zutiefst die Schwachheit so vieler ihrer Söhne zu bedauern, die das Antlitz der Kirche dadurch entstellten, dass sie sie hinderten, das Abbild ihres gekreuzigten Herrn als eines unübertrefflichen Zeugen geduldiger Liebe und demütiger Sanftheit widerzuspiegeln".61

Schuldeingeständnis und Übernahme der Verantwortung können in geeigneter Weise geschehen seitens derer, die durch ihr Charisma und ihr Amt die Gemeinschaft des Gottesvolkes in besonders deutlicher Weise repräsentieren. Im Namen der Ortskirchen können die verantwortlichen Oberhirten ein Schuldbekenntnis und eine Bitte um Vergebung ausdrücken. Im Namen der Gesamtkirche, die eine ist in der Geschichte zu allen Zeiten und an allen Orten, kann dies der Bischof von Rom, der Papst, tun, da er das Amt der universalen Einheit ausübt und der Kirche "vorsteht in der Liebe"62.

Es ist ein besonders eindrückliches Zeichen, dass gerade vom Heiligen Vater diese Einladung an die Kirche ausgesprochen wurde, "sich erneut und vertieft die Sünden ihrer Söhne und Töchter bewusst zu machen" und die Notwendigkeit von Buße und Wiedergutmachung zu erkennen, "indem Christus inständig um Vergebung angerufen wird"63




56 Vgl. K. Delahaye, La Comunità. Madre dei credenti, Cassano M. (Bari) 1974, 110. Vgl. auch Hugo Rahner, Mater Ecclesia. Lobpreis der Kirche aus dem ersten Jahrtausend christlicher Literatur, Einsiedeln 1944.


57 Lumen gentium, 64.


58 Augustinus, Sermo 25, 8 (PL 46,938): "Mater ista sancta, honorata, Mariae similis, et parit et Virgo est. Ex illa nati estis et Christum parit: nam membra Christi estis."


59 Cyprian von Karthago, De Ecclesiae Catholicae unitate, 6 (CCL 3,253): "Habere iam non potest Deum patrem qui ecclesiam non habet matrem"; ders., Ep. 74,7 (CCL 3C,572): "Ut habere quis possit Deum Patrem, habeat ante ecclesiam matrem"; Augustinus, In Ps. 88, sermo 2,14 (CCL 39,1244): "Tenete ergo carissimi, tenente omnes unanimiter Deum patrem, et matrem Ecclesiam."


60 Paulinus von Nola, Carmen 25,171f. (CSEL 30,243): "Inde manet mater aeterni semine verbi / concipiens populos et pariter pariens."


61 T'MA, 35.


62 Vgl. Ignatius von Antiochien, An die Römer, Proem. (SCh 10,124; Th. Camelot, Paris (2 1958). 


63 Vgl. TMA, 33 und 34.





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