Index | Wörter: alphabetisch - Frequenz - rückläufig - Länge - Statistik | Hilfe | IntraText-Bibliothek |
Internationale Theologische Kommission Erinnern und Versohnen IntraText CT - Text |
|
|
5.2 Am Beispiel: Spaltung der Christenheit Die Einheit ist das Lebensgesetz des dreifaltigen Gottes, das er der Welt durch den Sohn geoffenbart hat (vgl. Joh 17,21), der in der Kraft des Heiligen Geistes die Seinen liebte bis zur Vollendung (Joh 13,1) und sie dieses Lebens teilhaftig machte. Diese Einheit ist auch Quelle und Formgesetz der Lebensgemeinschaft der Menschheit mit dem dreifaltigen Gott. Wenn die Christen das Gesetz der wechselseitigen Liebe verwirklichen, sind sie eins, "wie der Vater und der Sohn eins sind", "damit die Welt glaubt, dass der Sohn vom Vater gesandt ist" (Joh 17,21) und "damit die Welt erkennt, dass sie seine Jünger sind" (Joh 13,35). Leider hat sich dies nicht so ereignet, vor allem in dem nun zu Ende gehenden Jahrtausend, in dem große Spaltungen unter den Christen entstanden sind. Diese stehen in offensichtlichem Widerspruch zum ausdrücklichen Willen Christi, so als ob er selbst gleichsam geteilt wäre (vgl. l Kor 1,13). Das II. Vatikanische Konzil beurteilt diesen Tatbestand so: "Eine solche Spaltung widerspricht aber ganz offenbar dem Willen Christi, sie ist ein Ärgernis für die Welt und ein Schaden für die heilige Sache der Verkündigung des Evangeliums vor allen Geschöpfen."70 Die hauptsächlichen Spaltungen, die im vergangenen Jahrtausend "den nahtlosen Leibrock Christi getroffen"71 haben sind das Schisma zwischen den Kirchen des Orients und des Okzidents am Anfang des 2. Jahrtausends und dann im Abendland 400 Jahre später der Riss "aufgrund von Ereignissen, die man die Reformation nennt"'72. Zu beachten ist aber auch: "Indessen sind diese einzelnen Trennungen untereinander sehr verschieden, nicht allein bedingt durch ihre Entstehung und durch die Umstände von Raum und Zeit, sondern vor allem nach Art und Bedeutsamkeit der Probleme, die sich auf den Glauben und die kirchliche Struktur beziehen."73 Im Schisma des 11. Jahrhunderts haben kulturelle und historische Faktoren eine sehr große Rolle gespielt. Die Lehre von der Autorität des Bischofs von Rom hatte zu dieser Zeit noch nicht die spätere lehrmäßige Abklärung und Ausformulierung gefunden. In der Zeit der protestantischen Reformation wurden dann allerdings Fragen des Verständnisses der Offenbarung und ihre Formulierung in der kirchlichen Lehre zum Gegenstand der Kontroverse. Der Weg, der sich auftut, um diese Differenzen zu überwinden, ist der Dialog über Lehrfragen in wechselseitiger Liebe und Achtung. Beiden Spaltungen scheint ein Mangel an übernatürlicher Liebe (der agape) anzuhaften. Dieser Mangel an Liebe, "ohne die alles andere nur dröhnendes Erz und lärmende Pauke ist" (1 Kor 13,1), muss in allem Ernst vor dem auferstandenen Herrn der Kirche, der auch der Herr der Geschichte ist, gesehen und bekannt werden. In Anerkenntnis dieses schweren Mangels an Liebe hat Paul VI. Gott und die "getrennten Brüder", die sich "von uns" (der katholischen Kirche) beleidigt sehen, um Verzeihung gebeten74. Im Jahre 1965, in einem Klima, das mit dem II. Vatikanischen Konzil gewachsen war, hat Patriarch Athenagoras in seinem Dialog mit Papst Paul VI. das Thema einer Wiederherstellung (apokatástasis) der wechselseitigen Liebe in den Mittelpunkt gestellt. Es ist eine Geschichte, die belastet ist von Widersprüchen, wechselseitigem Misstrauen und Gegensätzen75. Was sich in der Geschichte abspielte, wirkt durch das Gedächtnis bis in die Gegenwart fort: die Ereignisse des Jahres 1965, die am 7. Dezember 1965 mit der Aufhebung der Anathemata zwischen West und Ost aus dem Jahre 1054 ihren Höhepunkt fanden, stellen ein Schuldbekenntnis für den vorangehenden wechselseitigen Ausschluss dar, aber in einer Weise, dass das Gedächtnis gereinigt wird und ein neues Gedächtnis entstehen kann. Das Fundament dieses neuen Gedächtnisses kann nichts anderes sein als die gegenseitige Liebe, oder besser gesagt, die Verpflichtung, sie zu leben. Dies ist das vordringliche Gebot, das über allem steht (1 Petr 4,8) und das die Kirche im Osten und im Westen verpflichtet. So befreit sich das Gedächtnis von der Gefangenschaft der Vergangenheit. Die Katholiken und Orthodoxen, wie auch die Katholiken und Protestanten sind in diesem Geist eingeladen, Architekten einer neuen Zukunft zu werden, die mit dem neuen Gebot, der Liebe, mehr konform geht. Das Zeugnis Papst Pauls VI. und des Patriarchen Athenagoras für dieses neue Gedächtnis ist exemplarisch. Beim Weg zur Einheit der Christen darf man auf keinen Fall der Versuchung erliegen, sich von kulturellen Faktoren, historischen Konstellationen oder Vorurteilen führen oder gar beherrschen zu lassen, die immer wieder der Trennung und dem wechselseitigen Misstrauen Nahrung geben, obwohl sie gar nichts mit dem eigentlichen Inhalt unseres christlichen Glaubens zu tun haben. Die Glieder der Kirche müssen ihr Gewissen sorgfältig erforschen, ob sie sich vom Gebot zur "inneren Bekehrung" bestimmen lassen, "denn aus dem Neuwerden des Geistes, aus der Selbstverleugnung und aus dem freien Strömen der Liebe erwächst und reift das Verlangen nach Einheit"76. Der Widerstand gegen diese Botschaft seit dem Abschluss des Konzils bis zum heutigen Tag hat sicher "den Heiligen Geist beleidigt" (Eph 4,30). Die Weise, wie sich einige Katholiken im Verharren in den Spaltungen aus der Vergangenheit gefallen und nicht die geringsten Anstalten machen, die Hindernisse der Einheit aus dem Weg zu räumen, rechtfertigt fast den Vorwurf der "Solidarität in der Sünde der Spaltung" (vgl. 1 Kor 1,10-16). Angesichts dieser Haltungen sind die Worte des Konzils im Ökumenismus-Dekret aktueller denn je: "In Demut bitten wir also Gott und die getrennten Brüder um Verzeihung, wie auch wir unseren Schuldigem vergeben."77
|
70 Unitatis redintegratio, l. 71 Ebd. 13. In T'MA, 34 heißt es: "Mehr noch als im ersten Jahrtausend hat die kirchliche Gemeinschaft im Verlauf des nun zu Ende gehenden Jahrtausends <oft nicht ohne Schuld der Menschen auf beiden Seiten> schmerzliche Trennungen erlebt, die offenkundig dem Willen Christi widersprechen und der Welt ein Ärgernis sind." 72 Ebd. 13 73 Unitatis redintegratio, 13. 74 Siehe die Eröffnungsansprache zur II. Konzilssession am 29. September 1964 (Enchiridion Vaticanum 1, 106, n.176). 75 Vgl. die Dokumentation des Dialoges der Liebe zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Patriarchal von Konstantinopel im Tómos Agápes: Vatican-Phanar (1958-1970), Rom / Istanbul 1971 76 Unitaus redintegratio, 7. 77 Ebd. 7. |
Index | Wörter: alphabetisch - Frequenz - rückläufig - Länge - Statistik | Hilfe | IntraText-Bibliothek |
Best viewed with any browser at 800x600 or 768x1024 on Tablet PC IntraText® (V89) - Some rights reserved by EuloTech SRL - 1996-2007. Content in this page is licensed under a Creative Commons License |