6. Kapitel: Die Kirchenmusik
112.
Die überlieferte Musik der Gesamtkirche stellt einen Reichtum von unschätzbarem
Wert dar, ausgezeichnet unter allen übrigen künstlerischen Ausdrucksformen vor
allem deshalb, weil sie als der mit dem Wort verbundene gottesdienstliche
Gesang einen notwendigen und integrierenden Bestandteil der feierlichen
Liturgie ausmacht. In der Tat haben sowohl die Heilige Schrift42 wie die heiligen Väter den gottesdienstlichen Gesängen
hohes Lob gespendet; desgleichen die römischen Päpste, die in der neueren Zeit
im Gefolge des heiligen Pius X. die dienende Aufgabe der Kirchenmusik im
Gottesdienst mit größerer Eindringlichkeit herausgestellt haben. So wird denn
die Kirchenmusik um so heiliger sein, je enger sie mit der liturgischen
Handlung verbunden ist, sei es, daß sie das Gebet inniger zum Ausdruck bringt
oder die Einmütigkeit fördert, sei es, daß sie die heiligen Riten mit größerer
Feierlichkeit umgibt, Dabei billigt die Kirche alle Formen wahrer Kunst, welche
die erforderlichen Eigenschaften besitzen, und läßt sie zur Liturgie zu. Unter
Wahrung der Richtlinien und Vorschriften der kirchlichen Tradition und Ordnung
sowie im Hinblick auf das Ziel der Kirchenmusik, nämlich die Ehre Gottes und
die Heiligung der Gläubigen, verfügt das Heilige Konzil das Folgende.
113.
Ihre vornehmste Form nimmt die liturgische Handlung an, wenn der Gottesdienst
feierlich mit Gesang gehalten wird und dabei Leviten mitwirken und das Volk
tätig teilnimmt. Was die zu verwendende Sprache betrifft, so gelten die
Vorschriften von Art. 36; für die Messe von Art. 54, für die Sakramente von Art.
63, für das Stundengebet von Art. 101.
114.
Der Schatz der Kirchenmusik möge mit größter Sorge bewahrt und gepflegt werden.
Die Sängerchöre sollen nachdrücklich gefördert werden, besonders an den
Kathedralkirchen. Dabei mögen aber die Bischöfe und die übrigen Seelsorger
eifrig dafür Sorge tragen, daß in jeder liturgischen Feier mit Gesang die
gesamte Gemeinde der Gläubigen die ihr zukommende tätige Teilnahme auch zu
leisten vermag, im Sinne von Art. 28 und 30.
115.
In den Seminarien, in den Noviziaten und Studienhäusern der Ordensleute
beiderlei Geschlechts sowie auch in den übrigen katholischen Instituten und
Schulen soll auf die musikalische Ausbildung und Praxis großes Gewicht gelegt
werden. Um diese Ausbildung zu erreichen, sollen die Dozenten der Kirchenmusik
sorgfältig vorgebildet werden. Darüber hinaus wird empfohlen, wo es angebracht
erscheint, höhere Kirchenmusik-Institute zu errichten. Die Kirchenmusiker aber,
die Sänger und besonders die Sängerknaben sollen auch eine gediegene Ausbildung
erhalten.
116.
Die Kirche betrachtet den Gregorianischen Choral als den der römischen Liturgie
eigenen Gesang; demgemäß soll er in ihren liturgischen Handlungen, wenn im
übrigen die gleichen Voraussetzungen gegeben sind, den ersten Platz einnehmen.
Andere Arten der Kirchenmusik, besonders die Mehrstimmigkeit, werden für die
Feier der Liturgie keineswegs ausgeschlossen, wenn sie dem Geist der Liturgie
im Sinne von Art. 30 entsprechen.
117.
Die "editio typica" der Bücher des Gregorianischen Gesanges soll zu
Ende geführt werden; darüber hinaus soll eine kritische Ausgabe der seit der
Reform des heiligen Pius X. bereits herausgegebenen Bücher besorgt werden. Es
empfiehlt sich ferner, eine Ausgabe zu schaffen mit einfacheren Melodien für
den Gebrauch der kleineren Kirchen.
118.
Der religiöse Volksgesang soll eifrig gepflegt werden, so daß die Stimmen der
Gläubigen bei Andachtsübungen und gottesdienstlichen Feiern und auch bei den
liturgischen Handlungen selbst gemäß den Richtlinien und Vorschriften der
Rubriken erklingen können.
119.
Da die Völker mancher Länder, besonders in der Mission, eine eigene
Musiküberlieferung besitzen, die in ihrem religiösen und sozialen Leben große
Bedeutung hat, soll dieser Musik gebührende Wertschätzung entgegengebracht und
angemessener Raum gewährt werden, und zwar sowohl bei der Formung des
religiösen Sinnes dieser Völker als auch bei der Anpassung der Liturgie an ihre
Eigenart, im Sinne von Art. 39 und 40. Deshalb soll bei der musikalischen
Ausbildung der Missionare sorgfältig darauf geachtet werden, daß sie im Rahmen
des Möglichen imstande sind, die überlieferte Musik der betreffenden Völker
sowohl in den Schulen als auch im Gottesdienst zu fördern.
120.
Die Pfeifenorgel soll in der lateinischen Kirche als traditionelles
Musikinstrument in hohen Ehren gehalten werden; denn ihr Klang vermag den Glanz
der kirchlichen Zeremonien wunderbar zu steigern und die Herzen mächtig zu Gott
und zum Himmel emporzuheben. Andere Instrumente aber dürfen nach dem Ermessen
und mit Zustimmung der für die einzelnen Gebiete zuständigen Autorität nach
Maßgabe der Art. 22. § 2,37 und 40 zur Liturgie zugelassen werden, sofern sie sich
für den heiligen Gebrauch eignen oder für ihn geeignet gemacht werden können,
der Würde des Gotteshauses angemessen sind und die Erbauung der Gläubigen
wirklich fördern.
121.
Die Kirchenmusiker mögen, von christlichem Geist erfüllt, sich bewußt sein, daß
es ihre Berufung ist, die Kirchenmusik zu pflegen und deren Schatz zu mehren.
Sie sollen Vertonungen schaffen, welche die Merkmale echter Kirchenmusik an
sich tragen und nicht nur von größeren Sängerchören gesungen werden können,
sondern auch kleineren Chören angepaßt sind und die tätige Teilnahme der ganzen
Gemeinde der Gläubigen fördern.
Die für den
Kirchengesang bestimmten Texte müssen mit der katholischen Lehre übereinstimmen;
sie sollen vornehmlich aus der Heiligen Schrift und den liturgischen Quellen
geschöpft werden.
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