Die gegenseitige Abhängigkeit von menschlicher Person und menschlicher
Gesellschaft
25. Aus der
gesellschaftlichen Natur des Menschen geht hervor, daß der Fortschritt der
menschlichen Person und das Wachsen der Gesellschaft als solcher sich
gegenseitig bedingen. Wurzelgrund nämlich, Träger und Ziel aller
gesellschaftlichen Institutionen ist und muß auch sein die menschliche Person,
die ja von ihrem Wesen selbst her des gesellschaftlichen Lebens durchaus bedarf3. Da also das gesellschaftliche Leben für den Menschen
nicht etwas äußerlich Hinzukommendes ist, wächst der Mensch nach allen seinen
Anlagen und kann seiner Berufung entsprechen durch Begegnung mit anderen, durch
gegenseitige Dienstbarkeit und durch den Dialog mit den Brüdern. Unter den
gesellschaftlichen Bindungen, die für die Entwicklung des Menschen notwendig
sind, hängen die einen, wie die Familie und die politische Gemeinschaft,
unmittelbarer mit seinem innersten Wesen zusammen; andere hingegen gehen eher
aus seiner freien Entscheidung hervor. In unserer gegenwärtigen Zeit mehren
sich beständig aus verschiedenen Ursachen die gegenseitigen Verflechtungen und
Abhängigkeiten, und so entstehen mannigfache Verbindungen und Institutionen
öffentlichen oder privaten Rechts. Obschon dieser Vorgang, den man als
"Sozialisation" bezeichnet, gewiß nicht ohne Gefahren ist, bringt er
doch viele Vorteile für die Festigung und Förderung der Eigenschaften der
menschlichen Person und für den Schutz ihrer Rechte mit sich4. Wenn nun die menschliche Person zur Erfüllung ihrer
Berufung, auch der religiösen, dem gesellschaftlichen Leben viel verdankt, so
kann dennoch nicht geleugnet werden, daß die Menschen aus den
gesellschaftlichen Verhältnissen heraus, in denen sie leben und in die sie von
Kindheit an eingefangen sind, oft vom Tun des Guten abgelenkt und zum Bösen
angetrieben werden. Ganz sicher stammen die so häufig in der gesellschaftlichen
Ordnung vorkommenden Störungen zum Teil aus der Spannung in den
wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Gebilden selbst. Doch ihre
tieferen Wurzeln sind Stolz und Egoismus der Menschen, die auch das
gesellschaftliche Milieu verderben. Wenn aber einmal die objektiven
Verhältnisse selbst von den Auswirkungen der Sünde betroffen sind, findet der
mit Neigung zum Bösen geborene Mensch wieder neue Antriebe zur Sünde, die nur
durch angestrengte Bemühung mit Hilfe der Gnade überwunden werden können.
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