Die richtige Autonomie der irdischen Wirklichkeiten
36. Nun scheinen viele
unserer Zeitgenossen zu befürchten, daß durch eine engere Verbindung des
menschlichen Schaffens mit der Religion die Autonomie des Menschen, der
Gesellschaften und der Wissenschaften bedroht werde. Wenn wir unter Autonomie
der irdischen Wirklichkeiten verstehen, daß die geschaffenen Dinge und auch die
Gesellschaften ihre eigenen Gesetze und Werte haben, die der Mensch
schrittweise erkennen, gebrauchen und gestalten muß, dann ist es durchaus
berechtigt, diese Autonomie zu fordern. Das ist nicht nur eine Forderung der
Menschen unserer Zeit, sondern entspricht auch dem Willen des Schöpfers. Durch
ihr Geschaffensein selber nämlich haben alle Einzelwirklichkeiten ihren festen
Eigenstand, ihre eigene Wahrheit, ihre eigene Gutheit sowie ihre
Eigengesetzlichkeit und ihre eigenen Ordnungen, die der Mensch unter
Anerkennung der den einzelnen Wissenschaften und Techniken eigenen Methode
achten muß. Vorausgesetzt, daß die methodische Forschung in allen Wissensbereichen
in einer wirklich wissenschaftlichen Weise und gemäß den Normen der
Sittlichkeit vorgeht, wird sie niemals in einen echten Konflikt mit dem Glauben
kommen, weil die Wirklichkeiten des profanen Bereichs und die des Glaubens in
demselben Gott ihren Ursprung haben6. Ja wer bescheiden und
ausdauernd die Geheimnisse der Wirklichkeit zu erforschen versucht, wird, auch
wenn er sich dessen nicht bewußt ist, von dem Gott an der Hand geführt, der
alle Wirklichkeit trägt und sie in sein Eigensein einsetzt. Deshalb sind
gewisse Geisteshaltungen, die einst auch unter Christen wegen eines
unzulänglichen Verständnisses für die legitime Autonomie der Wissenschaft
vorkamen, zu bedauern. Durch die dadurch entfachten Streitigkeiten und
Auseinandersetzungen schufen sie in der Mentalität vieler die Überzeugung von
einem Widerspruch zwischen Glauben und Wissenschaft7. Wird aber mit den Worten "Autonomie der zeitlichen
Dinge" gemeint, daß die geschaffenen Dinge nicht von Gott abhängen und der
Mensch sie ohne Bezug auf den Schöpfer gebrauchen könne, so spürt jeder, der
Gott anerkennt, wie falsch eine solche Auffassung ist. Denn das Geschöpf sinkt
ohne den Schöpfer ins Nichts. Zudem haben alle Glaubenden, gleich, welcher
Religion sie zugehören, die Stimme und Bekundung Gottes immer durch die Sprache
der Geschöpfe vernommen. Überdies wird das Geschöpf selbst durch das Vergessen
Gottes unverständlich.
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