Die Hilfe, welche die Kirche den einzelnen Menschen leisten möchte
41. Der heutige Mensch ist
unterwegs zur volleren Entwicklung seiner Persönlichkeit und zu einer immer
tieferen Einsicht und Durchsetzung seiner Rechte. Da es aber der Kirche
anvertraut ist, das Geheimnis Gottes, des letzten Zieles der Menschen,
offenkundig zu machen, erschließt sie dem Menschen gleichzeitig das Verständnis
seiner eigenen Existenz, das heißt die letzte Wahrheit über den Menschen. Die
Kirche weiß sehr wohl, daß Gott, dem sie dient, allein die Antwort ist auf das
tiefste Sehnen des menschlichen Herzens, das an den Gaben der Erde nie voll
sich sättigen kann. Sie weiß auch darum, daß der Mensch unter dem ständigen
Antrieb des Geistes Gottes niemals dem Problem der Religion gegenüber ganz
gleichgültig sein kann, wie es nicht nur die Erfahrung so vieler vergangener
Jahrhunderte, sondern auch das vielfältige Zeugnis unserer Zeit beweist. Denn
immer wird der Mensch wenigstens ahnungsweise Verlangen in sich tragen, zu
wissen, was die Bedeutung seines Lebens, seines Schaffens und seines Todes ist.
Schon das reine Dasein der Kirche als solches erinnert ihn an diese Probleme.
Gott allein, der den Menschen nach seinem Bild geschaffen und von der Sünde
erlöst hat, gibt auf diese Fragen die erschöpfende Antwort in seiner
Offenbarung in seinem Sohn, der Mensch geworden ist. Wer Christus, dem
vollkommenen Menschen, folgt, wird auch selbst mehr Mensch. Aus diesem Glauben
heraus vermag die Kirche die Würde des menschlichen Wesens allen
Meinungsschwankungen zu entziehen, die z. B. den menschlichen Leib zu sehr
abwerten oder über das rechte Maß emporheben. Durch kein menschliches Gesetz
können die personale Würde und die Freiheit des Menschen so wirksam geschützt
werden wie durch das Evangelium Christi, das der Kirche anvertraut ist. Diese
Frohbotschaft nämlich verkündet und proklamiert die Freiheit der Kinder Gottes;
sie verwirft jede Art von Knechtschaft, die letztlich aus der Sünde stammt8; sie respektiert sorgfältig die Würde des Gewissens und
seiner freien Entscheidung; unablässig mahnt sie dazu, alle menschlichen
Talente im Dienst Gottes und zum Wohl der Menschen Frucht bringen zu lassen;
alle endlich empfiehlt sie der Liebe aller9. Dies entspricht dem
grundlegenden Gesetz der christlichen Heilsordnung. Wenn auch derselbe Gott
Schöpfer und Erlöser ist, Herr der Profangeschichte und der Heilsgeschichte, so
wird doch in eben dieser göttlichen Ordnung die richtige Autonomie der
Schöpfung und besonders des Menschen nicht nur nicht aufgehoben, sondern
vielmehr in ihre eigene Würde eingesetzt und in ihr befestigt. Kraft des ihr
anvertrauten Evangeliums verkündet also die Kirche die Rechte des Menschen, und
sie anerkennt und schätzt die Dynamik der Gegenwart, die diese Rechte überall
fördert. Freilich muß diese Bewegung vom Geist des Evangeliums erfüllt und
gegen jede Art falscher Autonomie geschützt werden. Wir sind nämlich der
Versuchung ausgesetzt, unsere persönlichen Rechte nur dann für voll gewahrt zu
halten, wenn wir jeder Norm des göttlichen Gesetzes ledig wären. Auf diesem
Wege aber geht die Würde der menschlichen Person, statt gewahrt zu werden, eher
verloren.
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