Die Hilfe, mit der die Kirche durch die Christen das menschliche Schaffen
unterstützen möchte
43. Das Konzil fordert die Christen,
die Bürger beider Gemeinwesen, auf, nach treuer Erfüllung ihrer irdischen
Pflichten zu streben, und dies im Geist des Evangeliums. Die Wahrheit verfehlen
die, die im Bewußtsein, hier keine bleibende Stätte zu haben, sondern die
künftige zu suchen13, darum meinen, sie
könnten ihre irdischen Pflichten vernachlässigen, und so verkennen, daß sie,
nach Maßgabe der jedem zuteil gewordenen Berufung, gerade durch den Glauben
selbst um so mehr zu deren Erfüllung verpflichtet sind14. Im selben Grade aber irren die, die umgekehrt meinen,
so im irdischen Tun und Treiben aufgehen zu können, als hätte das darum gar
nichts mit dem religiösen Leben zu tun, weil dieses nach ihrer Meinung in bloßen
Kultakten und in der Erfüllung gewisser moralischer Pflichten besteht. Diese
Spaltung bei vielen zwischen dem Glauben, den man bekennt, und dem täglichen
Leben gehört zu den schweren Verirrungen unserer Zeit. Dieses Ärgernis haben
schon die Propheten im Alten Bund heftig angegriffen15, und noch viel strenger hat es Jesus Christus selbst im
Neuen Bund mit schweren Strafen bedroht16. Man darf keinen
künstlichen Gegensatz zwischen beruflicher und gesellschaftlicher Tätigkeit auf
der einen Seite und dem religiösen Leben auf der anderen konstruieren. Ein
Christ, der seine irdischen Pflichten vernachlässigt, versäumt damit seine
Pflichten gegenüber dem Nächsten, ja gegen Gott selbst und bringt sein ewiges
Heil in Gefahr. Die Christen sollen vielmehr froh sein, in der Nachfolge
Christi, der als Handwerker gearbeitet hat, ihre ganze irdische Arbeit so
leisten zu können, daß sie ihre menschlichen, häuslichen, beruflichen,
wissenschaftlichen oder technischen Anstrengungen mit den religiösen Werten zu
einer lebendigen Synthese verbinden; wenn diese Werte nämlich die letzte
Sinngebung bestimmen, wird alles auf Gottes Ehre hingeordnet. Die Laien sind
eigentlich, wenn auch nicht ausschließlich, zuständig für die weltlichen
Aufgaben und Tätigkeiten. Wenn sie also, sei es als Einzelne, sei es in
Gruppen, als Bürger dieser Welt handeln, so sollen sie nicht nur die jedem
einzelnen Bereich eigenen Gesetze beobachten, sondern sich zugleich um gutes
fachliches Wissen und Können in den einzelnen Sachgebieten bemühen. Sie sollen
bereitwilligst mit denen, die die gleichen Aufgaben haben wie sie,
zusammenarbeiten. In Anerkennung der Forderungen des Glaubens und in seiner
Kraft sollen sie, wo es geboten ist, mit Entschlossenheit Neues planen und
ausführen. Aufgabe ihres dazu von vornherein richtig geschulten Gewissens ist
es, das Gebot Gottes im Leben der profanen Gesellschaft zur Geltung zu bringen.
Von den Priestern aber dürfen die Laien Licht und geistliche Kraft erwarten.
Sie mögen aber nicht meinen, ihre Seelsorger seien immer in dem Grade
kompetent, daß sie in jeder, zuweilen auch schweren Frage, die gerade
auftaucht, eine konkrete Lösung schon fertig haben könnten oder die Sendung
dazu hätten. Die Laien selbst sollen vielmehr im Licht christlicher Weisheit
und unter Berücksichtigung der Lehre des kirchlichen Lehramtes17 darin ihre eigene Aufgabe wahrnehmen. Oftmals wird
gerade eine christliche Schau der Dinge ihnen eine bestimmte Lösung in einer
konkreten Situation nahelegen. Aber andere Christen werden vielleicht, wie es
häufiger, und zwar legitim, der Fall ist, bei gleicher Gewissenhaftigkeit in
der gleichen Frage zu einem anderen Urteil kommen. Wenn dann die beiderseitigen
Lösungen, auch gegen den Willen der Parteien, von vielen andern sehr leicht als
eindeutige Folgerung aus der Botschaft des Evangeliums betrachtet werden, so
müßte doch klar bleiben, daß in solchen Fällen niemand das Recht hat, die
Autorität der Kirche ausschließlich für sich und seine eigene Meinung in
Anspruch zu nehmen. Immer aber sollen sie in einem offenen Dialog sich
gegenseitig zur Klärung der Frage zu helfen suchen; dabei sollen sie die
gegenseitige Liebe bewahren und vor allem auf das Gemeinwohl bedacht sein. Die
Laien aber, die am ganzen Leben der Kirche ihren tätigen Anteil haben, sind
nicht nur gehalten, die Welt mit christlichem Geist zu durchdringen, sondern
sie sind auch dazu berufen, überall, und zwar inmitten der menschlichen
Schicksalsgemeinschaft, Christi Zeugen zu sein. Die Bischöfe aber, denen das
Amt, die Kirche Gottes zu leiten, anvertraut ist, sollen mit ihren Priestern
die Botschaft Christi so verkündigen, daß alle irdischen Tätigkeiten der
Gläubigen von dem Licht des Evangeliums erhellt werden. Zudem sollen alle
Seelsorger bemüht sein, in ihrer Lebensführung und ihrem Berufseifer18 der Welt ein solches Antlitz der Kirche zu zeigen, daß
die Menschen sich daran ein Urteil über die Kraft und Wahrheit der christlichen
Botschaft bilden können. In Leben und Wort sollen sie zusammen mit den
Ordensleuten und ihren Gläubigen beweisen, daß die Kirche mit all ihren Gütern
schon durch ihre bloße Gegenwart eine unerschöpfliche Quelle jener sittlichen
Kräfte ist, deren die heutige Welt so sehr bedarf. Durch beharrliches Studium
sollen sie sich fähig machen, zum Dialog mit der Welt und mit Menschen jedweder
Weltanschauung ihren Beitrag zu leisten. Besonders aber sollen sie die Worte
dieses Konzils beherzigen: "Weil die Menschheit heute mehr und mehr zur
Einheit im bürgerlichen, wirtschaftlichen und sozialen Bereich zusammenwächst,
sollen die Priester um so mehr in vereinter Sorge und Arbeit unter Leitung der
Bischöfe und des Papstes jede Art von Spaltung beseitigen, damit die ganze
Menschheit der Einheit der Familie Gottes zugeführt werde."19 Obwohl die Kirche in der Kraft des Heiligen Geistes die
treue Braut des Herrn geblieben ist und niemals aufgehört hat, das Zeichen des
Heils in der Welt zu sein, so weiß sie doch klar, daß unter ihren Gliedern20, ob Klerikern oder Laien, im Lauf so vieler Jahrhunderte
immer auch Untreue gegen den Geist Gottes sich fand, Auch in unserer Zeit weiß
die Kirche, wie groß der Abstand ist zwischen der von ihr verkündeten Botschaft
und der menschlichen Armseligkeit derer, denen das Evangelium anvertraut ist.
Wie immer auch die Geschichte über all dies Versagen urteilen mag, wir selber
dürfen dieses Versagen nicht vergessen, sondern müssen es unerbittlich
bekämpfen, damit es der Verbreitung des Evangeliums nicht schade. Die Kirche
weiß auch, wie sehr sie selbst in ihrer lebendigen Beziehung zur Welt an der
Erfahrung der Geschichte immerfort reifen muß. Vom Heiligen Geist geführt,
mahnt die Mutter Kirche unablässig ihre Kinder "zur Läuterung und
Erneuerung, damit das Zeichen Christi auf dem Antlitz der Kirche klarer
erstrahle"21.
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