Zweiter Abschnitt: Einige Prinzipien zur richtigen Förderung der Kultur
Glaube und Kultur
57. Die Christen müssen auf
der Pilgerschaft zur himmlischen Vaterstadt suchen und sinnen, was oben ist2; dadurch wird jedoch die Bedeutung ihrer Aufgabe, zusammen
mit allen Menschen am Aufbau einer menschlicheren Welt mitzuarbeiten, nicht
vermindert, sondern gemehrt. In der Tat bietet ihnen das Mysterium des
christlichen Glaubens wirksame Antriebe und Hilfen, jene Aufgabe mit größerer
Hingabe zu erfüllen und vor allem den vollen Sinn solchen Tuns zu entdecken, so
daß die menschliche Kulturbemühung innerhalb der ganzen und einen Berufung des
Menschen einen hervorragenden Platz erhält. Wenn nämlich der Mensch mit seiner
Handarbeit oder mit Hilfe der Technik die Erde bebaut, damit sie Frucht bringe
und eine würdige Wohnstätte für die gesamte menschliche Familie werde, und
bewußt seinen Anteil nimmt an der Gestaltung des Lebens der gesellschaftlichen
Gruppen, dann führt er den schon am Anfang der Zeiten kundgemachten Auftrag
Gottes aus, sich die Erde untertan zu machen3 und die Schöpfung zu
vollenden, und entfaltet er sich selbst; zugleich befolgt er das große Gebot
Christi, sich in den Dienst seiner Brüder zu stellen. Wenn überdies der Mensch
sich den verschiedenen Fächern, der Philosophie und Geschichte, der Mathematik
und Naturwissenschaft, widmet und sich künstlerisch betätigt, dann kann er im
höchsten Grad dazu beitragen, daß die menschliche Familie zu den höheren
Prinzipien des Wahren, Guten und Schönen und zu einer umfassenden
Weltanschauung kommt und so heller von jener wunderbaren Weisheit erleuchtet
wird, die von Ewigkeit her bei Gott war, alles mit ihm ordnete, auf dem
Erdkreis spielte und ihre Wonne darin findet, bei den Menschen zu sein4. Ebendadurch kann sich der Geist des Menschen, von der
Versklavung unter die Sachwelt befreit, ungehinderter zur Kontemplation und
Anbetung des Schöpfers erheben. Ja unter dem Antrieb der Gnade wird er zur
Erkenntnis des Wortes Gottes vorbereitet, das schon, bevor es Fleisch wurde, um
alle zu retten und in sich als dem Haupt zusammenzufassen, "in der Welt
war" als "das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet" (Joh
1,9)5. Freilich kann der heutige
Fortschritt der Naturwissenschaft und der Technik, die kraft ihrer Methode
nicht zu den innersten Seinsgründen vordringen können, einen gewissen
Phänomenalismus und Agnostizismus begünstigen, wenn die Forschungsmethode
dieser Disziplinen unberechtigt als oberste Norm der Findung der Wahrheit
schlechthin angesehen wird. Ja es besteht die Gefahr, daß der Mensch in allzu
großem Vertrauen auf die heutigen Errungenschaften sich selbst zu genügen
glaubt und darüber hinaus nicht mehr sucht. Doch diese Fehlentwicklungen
ergeben sich nicht zwangsläufig aus der heutigen Kultur, und sie dürfen uns
nicht dazu verleiten, ihre positiven Werte zu verkennen. Unter diesen sind zu
nennen: die Pflege der Naturwissenschaften, unbedingte Sachlichkeit gegenüber
der Wahrheit bei der wissenschaftlichen Forschung, die heute gegebene
Unerläßlichkeit der Zusammenarbeit mehrerer in dafür organisierten Teams, der
Geist der internationalen Solidarität, das immer wacher werdende Bewußtsein von
der Verantwortung der Fachleute für den Dienst am Menschen und dessen Schutz,
der Wille zur Verbesserung der menschlichen Lebensbedingungen aller, besonders
jener, die die Verantwortung für sich selbst nicht übernehmen können oder
kulturell zurückgeblieben sind. Das alles kann für die Aufnahme der Botschaft
des Evangeliums in gewissem Sinn eine Vorbereitung bedeuten, die durch die
göttliche Liebe von dem beseelt wird, der gekommen ist, die Welt zu retten.
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