Das rechte Verhältnis der menschlichen und mitmenschlichen Kultur zur
christlichen Bildung
62. Wiewohl die Kirche zum
kulturellen Fortschritt viel beigetragen hat, so steht doch durch Erfahrung
fest, daß ein friedliches Verhältnis von Kultur und Christentum, wenn auch aus
historisch bedingten Ursachen, sich nicht immer ohne Schwierigkeiten einstellt.
Diese Schwierigkeiten brauchen das Glaubensleben nicht notwendig zu schädigen,
können vielmehr den Geist zu einem genaueren und tieferen Glaubensverständnis
anregen. Denn die neuen Forschungen und Ergebnisse der Naturwissenschaften,
aber auch der Geschichtswissenschaft und Philosophie stellen neue Fragen, die
sogar für das Leben Konsequenzen haben und auch von den Theologen neue
Untersuchungen verlangen. Außerdem sehen sich die Theologen veranlaßt, immer
unter Wahrung der der Theologie eigenen Methoden und Erfordernisse nach einer
geeigneteren Weise zu suchen, die Lehre des Glaubens den Menschen ihrer Zeit zu
vermitteln. Denn die Glaubenshinterlage selbst, das heißt die
Glaubenswahrheiten, darf nicht verwechselt werden mit ihrer Aussageweise, auch
wenn diese immer den selben Sinn und Inhalt meint12. In der Seelsorge sollen nicht nur die theologischen
Prinzipien, sondern auch die Ergebnisse der profanen Wissenschaften, vor allem
der Psychologie und der Soziologie, wirklich beachtet und angewendet werden, so
daß auch die Laien zu einem reineren und reiferen Glaubensleben kommen. Auf
ihre Weise sind auch Literatur und Kunst für das Leben der Kirche von großer
Bedeutung. Denn sie bemühen sich um das Verständnis des eigentümlichen Wesens
des Menschen, seiner Probleme und seiner Erfahrungen bei dem Versuch, sich
selbst und die Welt zu erkennen und zu vollenden; sie gehen darauf aus, die
Situation des Menschen in Geschichte und Universum zu erhellen, sein Elend und
seine Freude, seine Not und seine Kraft zu schildern und ein besseres Los des
Menschen vorausahnen zu lassen. So dienen sie der Erhebung des Menschen in
seinem Leben in vielfältigen Formen je nach Zeit und Land, das sie darstellen.
Durch angestrengtes Bemühen soll erreicht werden, daß die Künstler das Bewußtsein
haben können, in ihrem Schaffen von der Kirche anerkannt zu sein, und daß sie
im Besitz der ihnen zustehenden Freiheit leichter zum Kontakt mit der
christlichen Gemeinde kommen. Auch die neuen Formen der Kunst, die gemäß der
Eigenart der verschiedenen Völker und Länder den Menschen unserer Zeit
entsprechen, sollen von der Kirche anerkannt werden. In das Heiligtum aber
sollen sie aufgenommen werden, wenn sie in einer dafür angepaßten Aussageweise
den Erfordernissen der Liturgie entsprechen und den Geist zu Gott erheben13. So wird das Wissen um Gott besser verdeutlicht, die
evangelische Botschaft wird dem Geist der Menschen zugänglicher und zeigt sich
als etwas, was gewissermaßen ihrem Dasein schon immer eingestiftet war. Die
Gläubigen sollen also in engster Verbindung mit den anderen Menschen ihrer Zeit
leben und sich bemühen, ihre Denk- und Urteilsweisen, die in der Geisteskultur
zur Erscheinung kommen, vollkommen zu verstehen. Das Wissen um die neuen
Wissenschaften, Anschauungen und Erfindungen sollen sie verbinden mit
christlicher Sittlichkeit und mit ihrer Bildung in der christlichen Lehre,
damit religiöses Leben und Rechtschaffenheit mit der wissenschaftlichen
Erkenntnis und dem täglich wachsenden technischen Fortschritt bei ihnen Schritt
halten und sie so alles aus einer umfassenden christlichen Haltung zu
beurteilen und zu deuten vermögen. Die Vertreter der theologischen Disziplinen
an den Seminarien und Universitäten sollen mit hervorragenden Vertretern
anderer Wissenschaften in gemeinsamer Bemühung und Planung zusammenzuarbeiten
suchen. Die theologische Forschung soll sich zugleich um eine tiefe Erkenntnis
der geoffenbarten Wahrheit bemühen und die Verbindung mit der eigenen Zeit
nicht vernachlässigen, um den in so verschiedenen Wissenszweigen gebildeten
Menschen zu einem umfassenderen Glaubensverständnis verhelfen zu können. Dieses
gemeinsame Bemühen wird auch für die Ausbildung der Seelsorger von größtem
Nutzen sein, damit diese imstande sind, die Lehre der Kirche über Gott, den
Menschen und die Welt den Menschen unserer Zeit in geeigneter Weise darzulegen,
und so das Wort der Kirche von diesen auch bereitwilliger angenommen wird14. Es ist sogar wünschenswert, daß einer großen Zahl von
Laien eine hinreichende Bildung in der Theologie vermittelt werde und recht
viele von ihnen die Theologie auch zum Hauptstudium machen und selber weiter
fördern. Zur Ausführung dieser Aufgabe muß aber den Gläubigen, Klerikern wie
Laien, die entsprechende Freiheit des Forschens, des Denkens sowie demütiger
und entschiedener Meinungsäußerung zuerkannt werden in allen Bereichen ihrer
Zuständigkeit15.
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