4. Kapitel: Das Leben in der politischen Gemeinschaft
Das öffentliche Leben heute
73. Tiefgreifende Änderungen zeigen sich heute auch innerhalb der politischen
Strukturen und Einrichtungen der Völker als Folge ihrer kulturellen,
wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung. Diese Veränderungen haben
großen Einfluß auf das Leben der politischen Gemeinschaft, vor allem
hinsichtlich der Rechte und Pflichten aller bei der Ausübung der
staatsbürgerlichen Freiheit, zur Verwirklichung des Gemeinwohls und bei der
Ordnung der Beziehungen der Bürger untereinander und zur öffentlichen Gewalt.
Aus dem lebendigeren Bewußtsein der menschlichen Würde wächst ja in den verschiedenen
Teilen der Welt das Bestreben, eine neue politisch-rechtliche Ordnung zu
schaffen, in der die Rechte der menschlichen Person im öffentlichen Leben
besser geschützt sind, etwa das Recht auf Versammlungs-, Vereinigungs- und
Meinungsfreiheit und das Recht auf privates und öffentliches Bekenntnis der
Religion. Der Schutz dieser Personenrechte ist nämlich die notwendige Bedingung
dafür, daß die Bürger einzeln oder im Verbund am Leben und der Leitung des
Staates tätigen Anteil nehmen können. Parallel zu dem kulturellen,
wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt wächst bei vielen das
Verlangen nach mehr Anteil an der Gestaltung des Lebens der politischen
Gemeinschaft. Im Bewußtsein vieler wächst das Verlangen, die Rechte der
Minderheiten zu wahren, ohne daß deren Pflichten der politischen Gemeinschaft
gegenüber außer acht gelassen werden; überdies nimmt die Achtung vor Menschen
anderer Meinung oder Religion zu. Gleichzeitig bildet sich eine immer breitere
Zusammenarbeit dafür heraus, daß alle Bürger, nicht nur einige privilegierte,
wirklich in den Genuß ihrer persönlichen Rechte gelangen können. Umgekehrt
werden alle jene politischen Formen in manchen Ländern verworfen, die die
staatsbürgerliche und religiöse Freiheit schmälern, die Zahl der Opfer politischer
Leidenschaften und Verbrechen vermehren und die Ausübung der staatlichen Gewalt
zum Eigennutz einer bestimmten Partei oder gar der Machthaber selbst und zum
Schaden des Gemeinwohls mißbrauchen. Für den Aufbau eines wirklich
menschenwürdigen politischen Lebens ist nichts so wichtig wie die Pflege der
inneren Einstellung auf Gerechtigkeit, Wohlwollen und Dienst am Gemeinwohl
sowie die Schaffung fester Grundüberzeugungen über das wahre Wesen politischer
Gemeinschaft und über das Ziel, den rechten Gebrauch und die Grenzen der
öffentlichen Gewalt.
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