Die Mitarbeit aller am öffentlichen Leben
75. In vollem Einklang mit der menschlichen Natur steht die Entwicklung von
rechtlichen und politischen Strukturen, die ohne jede Diskriminierung allen
Staatsbürgern immer mehr die tatsächliche Möglichkeit gibt, frei und aktiv
teilzuhaben an der rechtlichen Grundlegung ihrer politischen Gemeinschaft, an
der Leitung des politischen Geschehens, an der Festlegung des
Betätigungsbereichs und des Zwecks der verschiedenen Institutionen und an der
Wahl der Regierenden5. Alle Staatsbürger aber
sollen daran denken, von Recht und Pflicht der freien Wahl Gebrauch zu machen
zur Förderung des Gemeinwohls. Die Kirche ihrerseits zollt der Arbeit jener,
die sich zum Dienst an den Menschen für das Wohl des Staates einsetzen und die
Lasten eines solchen Amtes tragen, Anerkennung und Achtung. Soll die verantwortungsbewußte
Mitarbeit der Bürger im täglichen Leben des Staates den gewünschten Erfolg
haben, so muß eine Ordnung des positiven Rechtes vorhanden sein, in der eine
sinnvolle Aufteilung der Ämter und Institutionen der öffentlichen Gewalt in
Verbindung mit einem wirksamen und nach allen Seiten hin unabhängigen Schutz
der Rechte gegeben ist. Die Rechte aller Personen, Familien und
gesellschaftlichen Gruppen und deren Ausübung sollen anerkannt, geschützt und
gefördert werden6 zusammen mit den
Pflichten, die alle Staatsbürger binden. Unter diesen Pflichten muß
ausdrücklich die Pflicht genannt werden, dem Staat jene materiellen und
persönlichen Dienste zu leisten, die für das Gemeinwohl notwendig sind. Die
Regierenden sollen sich davor hüten, den Familien, gesellschaftlichen und
kulturellen Gruppen, vorstaatlichen Körperschaften und Institutionen
Hindernisse in den Weg zu legen oder ihnen den ihnen zustehenden freien
Wirkungskreis zu nehmen; vielmehr sollen sie diese großzügig und geregelt
fördern. Aber auch die Staatsbürger, einzeln oder in Gruppen, sollen der
öffentlichen Autorität nicht eine zu umfangreiche Gewalt zugestehen noch von
ihr ungebührlich große Zuwendungen und Begünstigungen fordern, so daß die
Eigenverantwortung der Einzelnen, der Familien und gesellschaftlichen Gruppen
gemindert wird. Die heutzutage stets verwickelter werdenden Verhältnisse
zwingen die staatliche Autorität, häufiger in soziale, wirtschaftliche und
kulturelle Angelegenheiten einzugreifen; sie will damit geeignetere
Voraussetzungen dafür schaffen, daß die Staatsbürger und gesellschaftlichen
Gruppen wirksamer in Freiheit das Wohl des Menschen in jeder Hinsicht
verwirklichen können. Je nach der Verschiedenheit der Länder und der
Entwicklung der Völker können jedoch die Beziehungen zwischen der Sozialisation7 und der Autonomie sowie der Entfaltung der Person
verschieden gedacht werden. Überall jedoch, wo die Ausübung von Rechten um des
Gemeinwohls willen zeitweise beschränkt wird, muß die Freiheit, sobald die
Voraussetzungen für diese Beschränkung wegfallen, unverzüglich
wiederhergestellt werden. Unmenschlich ist es, wenn eine Regierung auf
totalitäre oder diktatorische Formen verfällt, die die Rechte der Person und der
gesellschaftlichen Gruppen verletzen. Die Staatsbürger sollen eine hochherzige
und treue Vaterlandsliebe pflegen, freilich ohne geistige Enge, vielmehr so,
daß sie dabei das Wohl der ganzen Menschheitsfamilie im Auge behalten, die ja
durch die mannigfachen Bande zwischen den Rassen, Völkern und Nationen
miteinander verbunden ist. Die Christen sollen in der politischen Gemeinschaft
jene Berufung beachten, die ihnen ganz besonders eigen ist. Sie sollen
beispielgebend dafür sein, insofern sie pflichtbewußt handeln und sich für das
Gemeinwohl einsetzen. Sie sollen durch ihre Tat zeigen, wie sich Autorität mit
Freiheit, persönliche Initiative mit solidarischer Verbundenheit zum
gemeinsamen Ganzen, gebotene Einheit mit fruchtbarer Vielfalt verbinden lassen.
Berechtigte Meinungsverschiedenheiten in Fragen der Ordnung irdischer Dinge
sollen sie anerkennen, und die anderen, die als Einzelne oder kollektiv solche
Meinungen anständig vertreten, sollen sie achten. Die politischer Parteien
müssen das fördern, was ihres Erachtens nach vom Gemeinwohl gefordert wird; sie
dürfen niemals ihre Sonderinteressen über dieses Gemeinwohl stellen. Die heute
dem Volk und besonders der Jugend so notwendige staatsbürgerliche und
politische Erziehung ist eifrig zu pflegen, so daß alle Bürger am Leben der
politischen Gemeinschaft aktiv teilnehmen können. Wer dazu geeignet ist oder
sich dazu ausbilden kann, soll sich darauf vorbereiten, den schweren, aber
zugleich ehrenvollen8 Beruf des Politikers
auszuüben, und sich diesem Beruf unter Hintansetzung des eigenen Vorteils und
materiellen Gewinns widmen. Sittlich integer und klug zugleich, soll er angehen
gegen alles Unrecht und jede Unterdrückung, gegen Willkürherrschaft und
Intoleranz eines Einzelnen oder einer politischen Partei. Redlich und gerecht,
voll Liebe und politischen Muts soll er sich dem Wohl aller widmen.
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