Politische Gemeinschaft und Kirche
76. Sehr wichtig ist besonders in einer pluralistischen Gesellschaft, daß man
das Verhältnis zwischen der politischen Gemeinschaft und der Kirche richtig
sieht, so daß zwischen dem, was die Christen als Einzelne oder im Verbund im
eigenen Namen als Staatsbürger, die von ihrem christlichen Gewissen geleitet
werden, und dem, was sie im Namen der Kirche zusammen mit ihren Hirten tun,
klar unterschieden wird. Die Kirche, die in keiner Weise hinsichtlich ihrer
Aufgabe und Zuständigkeit mit der politischen Gemeinschaft verwechselt werden
darf noch auch an irgendein politisches System gebunden ist, ist zugleich
Zeichen und Schutz der Transzendenz der menschlichen Person. Die politische
Gemeinschaft und die Kirche sind auf je ihrem Gebiet voneinander unabhängig und
autonom. Beide aber dienen, wenn auch in verschiedener Begründung, der
persönlichen und gesellschaftlichen Berufung der gleichen Menschen. Diesen
Dienst können beide zum Wohl aller um so wirksamer leisten, je mehr und besser
sie rechtes Zusammenwirken miteinander pflegen; dabei sind jeweils die Umstände
von Ort und Zeit zu berücksichtigen. Der Mensch ist ja nicht auf die zeitliche
Ordnung beschränkt, sondern inmitten der menschlichen Geschichte vollzieht er
ungeschmälert seine ewige Berufung. Die Kirche aber, in der Liebe des Erlösers
begründet, trägt dazu bei, daß sich innerhalb der Grenzen einer Nation und im
Verhältnis zwischen den Völkern Gerechtigkeit und Liebe entfalten. Indem sie
nämlich die Wahrheit des Evangeliums verkündet und alle Bereiche menschlichen
Handelns durch ihre Lehre und das Zeugnis der Christen erhellt, achtet und
fördert sie auch die politische Freiheit der Bürger und ihre
Verantwortlichkeit. Wenn die Apostel und ihre Nachfolger mit ihren Mitarbeitern
gesandt sind, den Menschen Christus als Erlöser der Welt zu verkünden, so
stützen sie sich in ihrem Apostolat auf die Macht Gottes, der oft genug die
Kraft des Evangeliums offenbar macht in der Schwäche der Zeugen. Wer sich dem
Dienst am Wort Gottes weiht, muß sich der dem Evangelium eigenen Wege und
Hilfsmittel bedienen, die weitgehend verschieden sind von den Hilfsmitteln der
irdischen Gesellschaft. Das Irdische und das, was am konkreten Menschen diese
Welt übersteigt, sind miteinander eng verbunden, und die Kirche selbst bedient
sich des Zeitlichen, soweit es ihre eigene Sendung erfordert. Doch setzt sie
ihre Hoffnung nicht auf Privilegien, die ihr von der staatlichen Autorität
angeboten werden. Sie wird sogar auf die Ausübung von legitim erworbenen
Rechten verzichten, wenn feststeht, daß durch deren Inanspruchnahme die
Lauterkeit ihres Zeugnisses in Frage gestellt ist, oder wenn veränderte
Lebensverhältnisse eine andere Regelung fordern. Immer und überall aber nimmt
sie das Recht in Anspruch, in wahrer Freiheit den Glauben zu verkünden, ihre
Soziallehre kundzumachen, ihren Auftrag unter den Menschen unbehindert zu
erfüllen und auch politische Angelegenheiten einer sittlichen Beurteilung zu
unterstellen, wenn die Grundrechte der menschlichen Person oder das Heil der
Seelen es verlangen. Sie wendet dabei alle, aber auch nur jene Mittel an,
welche dem Evangelium und dem Wohl aller je nach den verschiedenen Zeiten und
Verhältnissen entsprechen. In der Treue zum Evangelium, gebunden an ihre
Sendung in der Welt und entsprechend ihrem Auftrag, alles Wahre, Gute und
Schöne in der menschlichen Gemeinschaft zu fördern9 und zu überhöhen, festigt die Kirche zur Ehre Gottes den
Frieden unter den Menschen10.
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