3. Kapitel: Das Leben der Priester
I.
Die Berufung der Priester zur Vollkommenheit
12.
Das Weihesakrament macht die Priester Christus dem Priester gleichförmig. Denn
sie sind Diener des Hauptes zur vollkommenen Auferbauung seines ganzen Leibes,
der Kirche, und Mitarbeiter des Bischofsstandes. Schon in der Taufweihe haben
sie, wie alle Christen, Zeichen und Geschenk der so hohen gnadenhaften Berufung
zur Vollkommenheit empfangen, nach der sie, bei aller menschlichen Schwäche1, streben können und müssen, wie der Herr sagt: "Ihr
aber sollt vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist" (Mt
5,48). Als Priester sind sie jedoch in besonderer Weise zum Streben nach dieser
Vollkommenheit verpflichtet. Denn im Empfang des Weihesakramentes Gott auf neue
Weise geweiht, sind sie lebendige Werkzeuge Christi des Ewigen Priesters
geworden, damit sie sein wunderbares Werk, das mit Kraft von oben die ganze
menschliche Gesellschaft erneuert hat, durch die Zeiten fortzuführen vermögen2. Jeder Priester vertritt also, seiner Weihestufe
entsprechend, Christus. Darum erhält er auch die besondere Gnade, durch den
Dienst an der ihm anvertrauten Gemeinde und am ganzen Volk Gottes besser der
Vollkommenheit dessen nachzustreben, an dessen Stelle er steht, und für die
Schwäche seiner menschlichen Natur Heilung in der Heiligkeit dessen zu finden,
der für uns ein "heiliger, unschuldiger, unbefleckter, von den Sünden
geschiedener" Hoherpriester (Hebr 7,26) geworden ist. Christus, den der
Vater geheiligt, also geweiht und in die Welt gesandt hat3, "gab sich selbst für uns dahin, um uns von aller
Ungerechtigkeit zu erlösen und sich ein reines Volk zu bereiten, das Gott
gefällt und guten Werken nacheifert" (Tit 2,14); so ging er durch sein
Leiden in seine Herrlichkeit ein4. Ähnlich die Priester:
durch die Salbung des Heiligen Geistes geweiht und von Christus ausgesandt,
ertöten sie in sich die Werke des Fleisches und geben sich gänzlich dem Dienst
an den Menschen hin; so können sie in der Kraft der Heiligkeit, mit der sie in
Christus beschenkt sind, zur Mannesvollkommenheit5 heranreifen. Indem sie also den Dienst des Geistes und
der Gerechtigkeit6 erfüllen, werden sie im
Leben des Geistes gefestigt, sofern sie nur auf Christi Geist, der sie belebt
und führt, hören. Gerade die täglichen heiligen Handlungen wie ihr gesamter Dienst,
den sie in Gemeinschaft mit dem Bischof und ihren priesterlichen Mitbrüdern
ausüben, lenken sie auf ein vollkommenes Leben hin. Die Heiligkeit der Priester
hinwiederum trägt im höchsten Maß zur größeren Fruchtbarkeit ihres besonderen
Dienstes bei. Denn obwohl die Gnade Gottes auch durch unwürdige Diener das
Heilswerk durchführen kann, so will Gott doch seine Heilswunder für gewöhnlich
lieber durch diejenigen kundtun, die sich dem Antrieb und der Führung des
Heiligen Geistes mehr geöffnet haben und darum wegen ihrer innigen
Verbundenheit mit Christus und wegen eines heiligmäßigen Lebens mit dem Apostel
sprechen können: ;,Nicht mehr ich lebe, Christus lebt in mir" (Gal 2,20).
Um ihre pastoralen Ziele einer inneren Erneuerung der Kirche, der Ausbreitung
des Evangeliums über die ganze Erde und des Gespräches mit der heutigen Welt zu
verwirklichen, mahnt daher die Heilige Synode alle Priester inständig, mit
Hilfe der von der Kirche empfohlenen entsprechenden Mittel7 nach stets größerer Heiligkeit zu streben, um so immer
mehr geeignete Werkzeuge für den Dienst am ganzen Gottesvolk zu werden.
13.
Die Priester gelangen auf ihnen eigene Weise zur Heiligkeit, nämlich durch
aufrichtige und unermüdliche Ausübung ihrer Ämter im Geist Christi. Als Diener
des Wortes Gottes lesen und hören sie täglich Gottes Wort, das sie andere
lehren sollen; wenn sie es bei sich selbst ernsthaft aufzunehmen trachten,
werden sie von Tag zu Tag vollkommenere Jünger des Herrn nach den Worten des
Apostels Paulus an Timotheus: "Darauf richte deinen Sinn, darin lebe: daß
dein Fortschritt allen offenbar werde. Hab acht auf dich selbst und auf die
Lehre; verharre darin. Denn wenn du das tust, wirst du dich retten und die,
welche dich hören" (1 Tim 4,15-16). Beim Nachdenken, wie sie die Früchte
ihrer eigenen Betrachtung anderen am besten weitergeben können8, werden sie noch inniger "den unergründlichen
Reichtum Christi" (Eph 3,8) und die vielfältige Weisheit Gottes verkosten9. Wenn sie vor Augen haben, daß der Herr es ist, der die
Herzen öffnet10, und daß die Tiefe
nicht ihnen, sondern der Kraft Gottes entstammt11, werden sie gerade bei der Weitergabe des Gotteswortes
enger mit Christus dem Lehrer verbunden und durch seinen Geist geführt werden.
Durch diese Gemeinschaft mit Christus haben sie teil an der Liebe Gottes, deren
Geheimnis von Ewigkeit her verborgen war12, nun aber in Christus
offenbar geworden ist. Im Dienst am Heiligen, vor allem beim Meßopfer, handeln
die Priester in besonderer Weise an Christi Statt, der sich für das Heil der
Menschen zum Opfer hingab. Darum sind sie aufgefordert, das nachzuahmen, was
sie vollziehen; weil sie das geheimnisvolle Geschehen des Todes unseres Herrn
vergegenwärtigen, sollen sie auch ihren Leib mit seinen Fehlern und Begierden
zu ertöten trachten13. Im Mysterium des
eucharistischen Opfers, dessen Darbringung die vornehmliche Aufgabe des
Priesters ist, wird beständig das Werk unserer Erlösung vollzogen14; darum wird seine tägliche Feier dringend empfohlen; sie
ist auch dann, wenn keine Gläubigen dabei sein können, ein Akt Christi und der
Kirche15. Während sich so die Priester
mit dem Tun des Priesters Christus verbinden, bringen sie sich täglich Gott
ganz dar, und genährt mit dem Leib Christi, erhalten sie wahrhaft Anteil an der
Liebe dessen, der sich seinen Gläubigen zur Speise gibt. Ähnlich sind sie bei
der Verwaltung der Sakramente mit der Gesinnung und Liebe Christi geeint; zu
solcher Einigung tragen sie besonders bei, wenn sie sich allgemein und stets
bereit zeigen, den Liebesdienst der Spendung des Bußsakramentes zu leisten,
sooft die Gläubigen begründeterweise darum bitten. Beim Breviergebet leihen sie
ihren Mund der Kirche, die beständig im Namen des ganzen Menschengeschlechtes
im Gebet verharrt mit Christus, der "allezeit lebt, um für uns
einzutreten" (Hebr 7,25). Als Lenker und Hirten des Volkes Gottes werden
sie von der Liebe des Guten Hirten angetrieben, ihr Leben für ihre Schafe
hinzugeben16, auch zum höchsten und
letzten Opfer bereit nach dem Beispiel jener Priester, die auch in unserer Zeit
nicht gezögert haben, ihr Leben zu opfern. Als Erzieher im Glauben und selbst
voll "Zuversicht, durch das Blut Christi in das Heiligtum einzugehen"
(Hebr 10,19), treten sie vor Gott hin "mit aufrichtigem Herzen in der
Überzeugung des Glaubens" (Hebr 10,22). Vor ihren Gläubigen geben sie ein
Zeichen unerschütterlichen Hoffnung17, damit sie die, die in
irgendwelcher Bedrängnis leben, trösten können durch die Ermutigung, mit der
auch sie von Gott ermutigt werden18. Als Leiter der
Gemeinschaft pflegen sie eine Aszese, wie sie einem Seelenhirten entspricht:
sie verzichten auf eigene Vorteile und suchen nicht ihren Nutzen, sondern den
der vielen, damit sie das Heil erlangen19; sie gehen den Weg der
immer vollkommeneren Erfüllung ihres seelsorglichen Auftrags, bereit, wenn nötig,
auch neue Wege der Seelsorge zu gehen; werden sie doch geführt vom Geist der
Liebe, der weht, wo er will20.
14.
In der Welt von heute, in der die Menschen so vielen Geschäften nachzukommen
haben und von so vielfältigen Problemen bedrängt werden, die oft nach einer
schnellen Lösung verlangen, geraten nicht wenige in Not, weil sie sich
zersplittern. Erst recht können sich Priester, die von den überaus zahlreichen
Verpflichtungen ihres Amtes hin und her gerissen werden, mit bangem Herzen
fragen, wie sie mit ihrer äußeren Tätigkeit noch das innere Leben in Einklang
zu bringen vermögen. Zur Erzielung solcher Lebenseinheit genügt weder eine rein
äußere Ordnung der Amtsgeschäfte noch die bloße Pflege der Frömmigkeitsübungen,
sosehr diese auch dazu beitragen mögen. Die Priester können sie daher
erreichen, wenn sie in der Ausübung ihres Amtes dem Beispiel Christi des Herrn
folgen, dessen Speise es war, den Willen dessen zu tun, der ihn gesandt hatte,
um sein Werk zu vollenden21. In der Tat: um eben
diesen Willen des Vaters in der Welt durch die Kirche beständig zu erfüllen,
handelt Christus durch seine Diener. Darum bleibt er immerfort Ursprung und
Quelle für die Einheit ihres Lebens. Die Priester werden also ihrem Leben eine
einheitliche Linie geben, wenn sie sich mit Christus vereinigen im Erkennen des
väterlichen Willens und in der Hingabe für die ihnen anvertraute Herde22. Wenn sie so die Rolle des Guten Hirten übernehmen,
werden sie gerade in der Betätigung der Hirtenliebe das Band der priesterlichen
Vollkommenheit finden, das ihr Leben und ihr Wirken zur Einheit verknüpft.
Diese Hirtenliebe23 erwächst am stärksten
aus dem eucharistischen Opfer. Es bildet daher Mitte und Wurzel des ganzen
priesterlichen Lebens, so daß der Priester in seinem Herzen auf sich beziehen
muß, was auf dem Opferaltar geschieht. Dazu gelangt er jedoch nur, wenn er sich
selbst immer inniger in das Geheimnis Christi betend vertieft. Um die Einheit
ihres Lebens auch konkret wahr zu machen, müssen sich die Priester all ihr Tun
und Lassen vor Augen halten und prüfen, was Gottes Wille ist24, ob und wieweit es nämlich mit den Richtlinien der
Kirche für ihre Heilssendung übereinstimmt. Die Treue zu Christus kann ja von
der Treue zu seiner Kirche nicht getrennt werden. Die Hirtenliebe erfordert
also, daß die Priester, um nicht ins Leere zu laufen25, immer in enger Verbindung mit den Bischöfen und mit den
anderen Mitbrüdern im Priesteramt arbeiten. Wenn sie nach diesem Grundsatz
handeln, werden sie die Einheit für ihr eigenes Leben in der Einheit der
Sendung der Kirche finden und so mit ihrem Herrn und durch ihn mit dem Vater im
Heiligen Geist vereint werden, so daß sie mit Trost und überreicher Freude
erfüllt werden können26.
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