V. Neugestaltung der kirchlichen Studien
13.
Vor Beginn der eigentlichen kirchlichen Studien sollen die Alumnen den Grad
humanistischer und naturwissenschaftlicher Bildung erreichen, der in ihrem Land
zum Eintritt in die Hochschulen berechtigt. Sie sollen zudem so viel Latein
lernen, daß sie die zahlreichen wissenschaftlichen Quellen und die kirchlichen
Dokumente verstehen und benützen können27. Das Studium der dem
eigenen Ritus entsprechenden liturgischen Sprache muß als notwendig verlangt
werden; die angemessene Kenntnis der Sprachen der Heiligen Schrift und der
Tradition soll sehr gefördert werden.
14.
Bei der Neugestaltung der kirchlichen Studien ist vor allem darauf zu achten,
daß die philosophischen und die theologischen Disziplinen besser aufeinander
abgestimmt werden; sie sollen harmonisch darauf hinstreben, den Alumnen immer
tiefer das Mysterium Christi zu erschließen, das die ganze Geschichte der
Menschheit durchzieht, sich ständig der Kirche mitteilt und im priesterlichen
Dienst in besonderer Weise wirksam wird28. Damit diese Sicht den
Seminaristen schon vom Anfang ihrer Ausbildung an vertraut werde, sollen die
kirchlichen Studien mit einem ausreichend langen Einführungskurs beginnen. In
dieser Einführung soll das Heilsmysterium so dargelegt werden, daß die Alumnen
den Sinn, den Aufbau und das pastorale Ziel der kirchlichen Studien klar sehen;
daß ihnen zugleich geholfen werde, ihr ganzes persönliches Leben auf den
Glauben zu gründen und mit ihm zu durchdringen; daß sie endlich in der
persönlichen und frohen Hingabe an ihren Beruf gefestigt werden.
15.
Die philosophischen Disziplinen sollen so dargeboten werden, daß die Alumnen
vor allem zu einem gründlichen und zusammenhängenden Wissen über Mensch, Welt
und Gott hingeführt werden. Sie sollen sich dabei auf das stets gültige
philosophische Erbe stützen29. Es sollen aber auch
die philosophischen Forschungen der neueren Zeit berücksichtigt werden, zumal
jene, die beim eigenen Volk bedeutenderen Einfluß ausüben, und der Fortschritt
der modernen Naturwissenschaften. So sollen die Alumnen über die
charakteristischen Erscheinungen der heutigen Zeit gut Bescheid wissen und auf
das Gespräch mit den Menschen ihrer Zeit entsprechend vorbereitet werden30. Die Philosophiegeschichte soll so gelehrt werden, daß
die Studenten zu den letzten Prinzipien der verschiedenen Systeme vordringen,
den Wahrheitsgehalt festhalten, die Irrtümer aber in ihren Wurzeln erkennen und
widerlegen können. Durch die ganze Lehrweise wecke man in den Alumnen den
Drang, mit methodischer Strenge nach der Wahrheit zu suchen, in sie
einzudringen und sie zu beweisen und gleichzeitig die Grenzen menschlicher
Erkenntnis ehrlich anzuerkennen. Ganz besonders achte man auf den engen
Zusammenhang der Philosophie mit den wirklichen Lebensproblemen und den Fragen,
die die Studenten innerlich bewegen. Man soll ihnen auch dazu helfen, die
Verbindung zu sehen, die zwischen den philosophischen Gedankengängen und den
Heilsgeheimnissen besteht, die die Theologie im höheren Licht des Glaubens
betrachtet.
16.
Die theologischen Fächer sollen im Licht des Glaubens unter Führung des
kirchlichen Lehramtes31 so gelehrt werden, daß
die jungen Theologen die katholische Lehre sorgfältig aus der göttlichen
Offenbarung schöpfen, tief in sie eindringen, sie für ihr geistliches Leben
fruchtbar machen32 und sie in ihrem
künftigen priesterlichen Dienst verkünden, darlegen und verteidigen können. Mit
besonderer Sorgfalt sollen sie im Studium der Heiligen Schrift, die die Seele
der ganzen Theologie sein muß33, gefördert werden. Nach
einer entsprechenden Einführung sollen sie in der exegetischen Methode
gründlich geschult werden; mit den Hauptthemen der göttlichen Offenbarung
sollen sie vertraut werden und für ihre tägliche Schriftlesung und
Schriftbetrachtung Anregung und Nahrung erhalten34. Die dogmatische Theologie soll so angeordnet werden,
daß zuerst die biblischen Themen selbst vorgelegt werden; dann erschließe man
den Alumnen, was die Väter der östlichen und westlichen Kirche zur treuen
Überlieferung und zur Entfaltung der einzelnen Offenbarungswahrheiten
beigetragen haben, ebenso die weitere Dogmengeschichte, unter Berücksichtigung
ihrer Beziehungen zur allgemeinen Kirchengeschichte35; sodann sollen sie lernen, mit dem heiligen Thomas als
Meister, die Heilsgeheimnisse in ihrer Ganzheit spekulativ tiefer zu
durchdringen und ihren Zusammenhang zu verstehen, um sie, soweit möglich, zu
erhellen36. Sie sollen geschult
werden, diese selben Heilsgeheimnisse stets in den liturgischen Handlungen37 und im gesamten Leben der Kirche
gegenwärtig und wirksam zu sehen, und lernen, die Lösung der menschlichen
Probleme im Lichte der Offenbarung zu suchen, ihre ewige Wahrheit auf die
wandelbare Welt menschlicher Dinge anzuwenden und sie in angepaßter Weise den
Menschen unserer Zeit mitzuteilen38. Ebenso sollen die
übrigen theologischen Disziplinen aus einem lebendigeren Kontakt mit dem
Geheimnis Christi und der Heilsgeschichte neu gefaßt werden. Besondere Sorge
verwende man auf die Vervollkommnung der Moraltheologie, die, reicher genährt
aus der Lehre der Schrift, in wissenschaftlicher Darlegung die Erhabenheit der
Berufung der Gläubigen in Christus und ihre Verpflichtung, in der Liebe Frucht
zu tragen für das Leben der Welt, erhellen soll. Ebenso lenke man bei der
Behandlung des kanonischen Rechtes und bei der Darlegung der Kirchengeschichte
den Blick auf das Mysterium der Kirche im Sinne der Dogmatischen Konstitution
"Über die Kirche", die von der Heiligen Synode erlassen wurde. Die
heilige Liturgie, die als erste und notwendige Quelle des wahrhaft christlichen
Geistes zu betrachten ist, soll entsprechend den Artikeln 15 und 16 der
Konstitution "Über die heilige Liturgie" gelehrt werden39. Unter angemessener Berücksichtigung der regionalen
Verhältnisse führe man die Alumnen zu einer volleren Kenntnis der Kirchen und
kirchlichen Gemeinschaften, die vom Apostolischen Römischen Stuhl getrennt
sind, damit sie zur Förderung der Wiederherstellung der Einheit unter allen
Christen nach den Vorschriften dieser Heiligen Synode beizutragen vermögen40. Auch in die Kenntnis der anderen Religionen, die in den
betreffenden Gegenden stärker verbreitet sind, führe man sie ein, auf daß sie
besser das, was sie nach Gottes Fügung an Gutem und Wahrem haben, anerkennen,
Irrtümer zurückzuweisen lernen und das volle Licht der Wahrheit denen, die es
nicht haben, mitzuteilen vermögen.
17.
Da die wissenschaftliche Ausbildung nicht der bloßen Mitteilung von Begriffen
dient, sondern die wahre innere Formung der Alumnen anstreben muß, sollen die
Lehrmethoden überprüft werden; das gilt sowohl für die Vorlesungen, Kolloquien
und Übungen als auch für die Förderung des privaten Studiums der Alumnen und
ihrer Zusammenarbeit in kleinen Zirkeln. Großen Wert lege man auf die Einheit
der Ausbildung und auf ihre Gründlichkeit; man vermeide eine zu große
Vermehrung von Fächern und Vorlesungen; man lasse die Fragen aus, die kaum mehr
Bedeutung haben, wie auch solche, die in die höheren akademischen Studien zu
verweisen sind.
18.
Es ist die Aufgabe der Bischöfe, dafür zu sorgen, daß junge Leute, die nach
Charakter, Tugend und Begabung geeignet sind, an besondere Institute, Fakultäten
oder Universitäten geschickt werden, um so Priester heranzubilden, die in den
heiligen Wissenschaften und in anderen wichtigen Wissenszweigen eine
gründlichere wissenschaftliche Ausbildung erhalten haben und den verschiedenen
Erfordernissen des Apostolats entsprechen können. Ihre geistliche und pastorale
Unterweisung darf dabei in keiner Weise vernachlässigt werden, besonders wenn
sie noch vor der Priesterweihe stehen.
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