2. Kapitel: Das Volk Gottes
9.
Zu aller Zeit und in jedem Volk ruht Gottes Wohlgefallen auf jedem, der ihn
fürchtet und gerecht handelt (vgl. Apg. 10,35). Gott hat es aber gefallen, die
Menschen nicht einzeln, unabhängig von aller wechselseitigen Verbindung, zu
heiligen und zu retten, sondern sie zu einem Volke zu machen, das ihn in
Wahrheit anerkennen und ihm in Heiligkeit dienen soll. So hat er sich das Volk
Israel zum Eigenvolk erwählt und hat mit ihm einen Bund geschlossen und es
Stufe für Stufe unterwiesen. Dies tat er, indem er sich und seinen Heilsratschluß
in dessen Geschichte offenbarte und sich dieses Volk heiligte. Dies alles aber
wurde zur Vorbereitung und zum Vorausbild jenes neuen und vollkommenen Bundes,
der in Christus geschlossen, und der volleren Offenbarung, die durch das Wort
Gottes selbst in seiner Fleischwerdung übermittelt werden sollte. "Siehe,
es kommen Tage, spricht der Herr, da schließe ich mit dem Hause Israel und dem
Hause Juda einen neuen Bund ... Ich werde mein Gesetz in ihr Inneres geben, und
ihrem Herzen will ich es einschreiben, und ich werde ihnen Gott sein, und sie
werden mir zum Volke sein ... Alle nämlich werden mich kennen, vom Kleinsten
bis zum Größten, spricht der Herr" (Jer 31,31-34). Diesen neuen Bund hat
Christus gestiftet, das Neue Testament nämlich in seinem Blute (vgl. 1 Kor
11,25). So hat er sich aus Juden und Heiden ein Volk berufen, das nicht dem
Fleische nach, sondern im Geiste zur Einheit zusammenwachsen und das neue
Gottesvolk bilden sollte. Die an Christus glauben, werden nämlich, durch das
Wort des lebendigen Gottes (vgl. 1 Petr 1,23) wiedergeboren nicht aus
vergänglichem, sondern aus unvergänglichem Samen, nicht aus dem Fleische,
sondern aus dem Wasser und dem Heiligen Geist (vgl. Joh 3,5-6), schließlich
gemacht zu "einem auserwählten Geschlecht, einem königlichen Priestertum
..., einem heiligen Stamm, einem Volk der Erwerbung ... Die einst ein
Nicht-Volk waren, sind jetzt Gottes Volk" (1 Petr 2,9-10). Dieses
messianische Volk hat zum Haupte Christus, "der hingegeben worden ist
wegen unserer Sünden und auferstanden ist um unserer Rechtfertigung
willen" (Röm 4,25) und jetzt voll Herrlichkeit im Himmel herrscht, da er
den Namen über allen Namen erlangt hat. Seinem Stande eignet die Würde und die
Freiheit der Kinder Gottes, in deren Herzen der Heilige Geist wie in einem
Tempel wohnt. Sein Gesetz ist das neue Gebot (vgl. Joh 13,34), zu lieben, wie
Christus uns geliebt hat. Seine Bestimmung endlich ist das Reich Gottes, das
von Gott selbst auf Erden grundgelegt wurde, das sich weiter entfalten muß, bis
es am Ende der Zeiten von ihm auch vollendet werde, wenn Christus, unser Leben
(vgl. Kol 3,4), erscheinen wird und "die Schöpfung selbst von der
Knechtschaft der Vergänglichkeit zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder
Gottes befreit wird" (Röm 8,21). So ist denn dieses messianische Volk,
obwohl es tatsächlich nicht alle Menschen umfaßt und gar oft als kleine Herde
erscheint, für das ganze Menschengeschlecht die unzerstörbare Keimzelle der
Einheit, der Hoffnung und des Heils. Von Christus als Gemeinschaft des Lebens,
der Liebe und der Wahrheit gestiftet, wird es von ihm auch als Werkzeug der
Erlösung angenommen und als Licht der Welt und Salz der Erde (vgl. Mt 5,13-16)
in alle Welt gesandt. Wie aber schon das Israel dem Fleische nach auf seiner
Wüstenwanderung Kirche Gottes genannt wird (2 Esr 13,1; vgl. Num 20,4; Dtn
23,1ff), so wird auch das neue Israel, das auf der Suche nach der kommenden und
bleibenden Stadt (vgl. Hebr 13,14) in der gegenwärtigen Weltzeit einherzieht,
Kirche Christi genannt (vgl. Mt 16,18). Er selbst hat sie ja mit seinem Blut
erworben (vgl. Apg 20,28), mit seinem Geiste erfüllt und mit geeigneten Mitteln
sichtbarer und gesellschaftlicher Einheit ausgerüstet. Gott hat die Versammlung
derer, die zu Christus als dem Urheber des Heils und dem Ursprung der Einheit
und des Friedens glaubend aufschauen, als seine Kirche zusammengerufen und
gestiftet, damit sie allen und jedem das sichtbare Sakrament dieser
heilbringenden Einheit sei15. Bestimmt zur
Verbreitung über alle Länder, tritt sie in die menschliche Geschichte ein und
übersteigt doch zugleich Zeiten und Grenzen der Völker. Auf ihrem Weg durch
Prüfungen und Trübsal wird die Kirche durch die Kraft der ihr vom Herrn
verheißenen Gnade Gottes gestärkt, damit sie in der Schwachheit des Fleisches
nicht abfalle von der vollkommenen Treue, sondern die würdige Braut ihres Herrn
verbleibe und unter der Wirksamkeit des Heiligen Geistes nicht aufhöre, sich
selbst zu erneuern, bis sie durch das Kreuz zum Lichte gelangt, das keinen
Untergang kennt.
10.
Christus der Herr, als Hoherpriester aus den Menschen genommen (vgl. Hebr
5,1-5), hat das neue Volk "zum Königreich und zu Priestern für Gott und
seinen Vater gemacht" (vgl. Offb 1,6; 5,9-10). Durch die Wiedergeburt und
die Salbung mit dem Heiligen Geist werden die Getauften zu einem geistigen Bau
und einem heiligen Priestertum geweiht, damit sie in allen Werken eines
christlichen Menschen geistige Opfer darbringen und die Machttaten dessen
verkünden, der sie aus der Finsternis in sein wunderbares Licht berufen hat
(vgl. 1 Petr 2,4-10). So sollen alle Jünger Christi ausharren im Gebet und
gemeinsam Gott loben (vgl. Apg 2,42-47) und sich als lebendige, heilige, Gott
wohlgefällige Opfergabe darbringen (vgl. Röm 12,1); überall auf Erden sollen
sie für Christus Zeugnis geben und allen, die es fordern, Rechenschaft ablegen
von der Hoffnung auf das ewige Leben, die in ihnen ist (vgl. 1 Petr 3,15). Das
gemeinsame Priestertum der Gläubigen aber und das Priestertum des Dienstes, das
heißt das hierarchische Priestertum, unterscheiden sich zwar dem Wesen und
nicht bloß dem Grade nach. Dennoch sind sie einander zugeordnet: das eine wie
das andere nämlich nimmt je auf besondere Weise am Priestertum Christi teil16. Der Amtspriester nämlich bildet kraft seiner heiligen
Gewalt, die er innehat, das priesterliche Volk heran und leitet es; er
vollzieht in der Person Christi das eucharistische Opfer und bringt es im Namen
des ganzen Volkes Gott dar; die Gläubigen hingegen wirken kraft ihres
königlichen Priestertums an der eucharistischen Darbringung mit17 und üben ihr Priestertum aus im Empfang der Sakramente,
im Gebet, in der Danksagung, im Zeugnis eines heiligen Lebens, durch Selbstverleugnung
und tätige Liebe.
11.
Das heilige und organisch verfaßte Wesen dieser priesterlichen Gemeinschaft
vollzieht sich sowohl durch die Sakramente wie durch ein tugendhaftes Leben.
Durch die Taufe der Kirche eingegliedert, werden die Gläubigen durch das
Prägemal zur christlichen Gottesverehrung bestellt, und, wiedergeboren zu
Söhnen Gottes, sind sie gehalten, den von Gott durch die Kirche empfangenen
Glauben vor den Menschen zu bekennen18. Durch das Sakrament
der Firmung werden sie vollkommener der Kirche verbunden und mit einer
besonderen Kraft des Heiligen Geistes ausgestattet. So sind sie in strengerer
Weise verpflichtet, den Glauben als wahre Zeugen Christi in Wort und Tat
zugleich zu verbreiten und zu verteidigen19. In der Teilnahme am
eucharistischen Opfer, der Quelle und dem Höhepunkt des ganzen christlichen
Lebens, bringen sie das göttliche Opferlamm Gott dar und sich selbst mit ihm20; so übernehmen alle bei der liturgischen Handlung ihren
je eigenen Teil, sowohl in der Darbringung wie in der heiligen Kommunion, nicht
unterschiedslos, sondern jeder auf seine Art. Durch den Leib Christi in der
heiligen Eucharistiefeier gestärkt, stellen sie sodann die Einheit des Volkes
Gottes, die durch dieses hocherhabene Sakrament sinnvoll bezeichnet und
wunderbar bewirkt wird, auf anschauliche Weise dar. Die aber zum Sakrament der
Buße hinzutreten, erhalten für ihre Gott zugefügten Beleidigungen von seiner
Barmherzigkeit Verzeihung und werden zugleich mit der Kirche versöhnt, die sie
durch die Sünde verwundet haben und die zu ihrer Bekehrung durch Liebe,
Beispiel und Gebet mitwirkt. Durch die heilige Krankensalbung und das Gebet der
Priester empfiehlt die ganze Kirche die Kranken dem leidenden und
verherrlichten Herrn, daß er sie aufrichte und rette (vgl. Jak 5,14-16), ja sie
ermahnt sie, sich bewußt dem Leiden und dem Tode Christi zu vereinigen (vgl.
Röm 8,17; Kol 1,24; 2 Tim 2,11-12; 1 Petr 4,13) und so zum Wohle des
Gottesvolkes beizutragen. Wer sodann unter den Gläubigen die heilige Weihe
empfängt, wird im Namen Christi dazu bestellt, die Kirche durch das Wort und
die Gnade Gottes zu weiden. Die christlichen Gatten endlich bezeichnen das Geheimnis
der Einheit und der fruchtbaren Liebe zwischen Christus und der Kirche und
bekommen daran Anteil (vgl. Eph 5,32). Sie fördern sich kraft des Sakramentes
der Ehe gegenseitig zur Heiligung durch das eheliche Leben sowie in der Annahme
und Erziehung der Kinder und haben so in ihrem Lebensstand und in ihrer Ordnung
ihre eigene Gabe im Gottesvolk (vgl. 1 Kor 7,7)21. Aus diesem Ehebund nämlich geht die Familie hervor, in
der die neuen Bürger der menschlichen Gesellschaft geboren werden, die durch
die Gnade des Heiligen Geistes in der Taufe zu Söhnen Gottes gemacht werden, um
dem Volke Gottes im Fluß der Zeiten Dauer zu verleihen. In solch einer Art
Hauskirche sollen die Eltern durch Wort und Beispiel für ihre Kinder die ersten
Glaubensboten sein und die einem jeden eigene Berufung fördern, die geistliche
aber mit besonderer Sorgfalt. Mit so reichen Mitteln zum Heile ausgerüstet,
sind alle Christgläubigen in allen Verhältnissen und in jedem Stand je auf
ihrem Wege vom Herrn berufen zu der Vollkommenheit in Heiligkeit, in der der
Vater selbst vollkommen ist.
12.
Das heilige Gottesvolk nimmt auch teil an dem prophetischen Amt Christi, in der
Verbreitung seines lebendigen Zeugnisses vor allem durch ein Leben in Glauben
und Liebe, in der Darbringung des Lobesopfers an Gott als Frucht der Lippen,
die seinen Namen bekennen (vgl. Hebr 13,15). Die Gesamtheit der Gläubigen,
welche die Salbung von dem Heiligen haben (vgl. 1 Joh 2,20.27), kann im Glauben
nicht irren. Und diese ihre besondere Eigenschaft macht sie durch den
übernatürlichen Glaubenssinn des ganzen Volkes dann kund, wenn sie "von
den Bischöfen bis zu den letzten gläubigen Laien"22 ihre allgemeine Übereinstimmung in Sachen des Glaubens
und der Sitten äußert. Durch jenen Glaubenssinn nämlich, der vom Geist der
Wahrheit geweckt und genährt wird, hält das Gottesvolk unter der Leitung des
heiligen Lehramtes, in dessen treuer Gefolgschaft es nicht mehr das Wort von
Menschen, sondern wirklich das Wort Gottes empfängt (vgl. 1 Thess 2,13), den
einmal den Heiligen übergebenen Glauben (vgl. Jud 3) unverlierbar fest. Durch
ihn dringt es mit rechtem Urteil immer tiefer in den Glauben ein und wendet ihn
im Leben voller an. Derselbe Heilige Geist heiligt außerdem nicht nur das
Gottesvolk durch die Sakramente und die Dienstleistungen, er führt es nicht nur
und bereichert es mit Tugenden, sondern "teilt den Einzelnen, wie er
will" (1 Kor 12,11), seine Gaben aus und verteilt unter den Gläubigen
jeglichen Standes auch besondere Gnaden. Durch diese macht er sie geeignet und
bereit, für die Erneuerung und den vollen Aufbau der Kirche verschiedene Werke
und Dienste zu übernehmen gemäß dem Wort: "Jedem wird der Erweis des Geistes
zum Nutzen gegeben" (1 Kor 12,7). Solche Gnadengaben, ob sie nun von
besonderer Leuchtkraft oder aber schlichter und allgemeiner verbreitet sind,
müssen mit Dank und Trost angenommen werden, da sie den Nöten der Kirche
besonders angepaßt und nützlich sind. Außerordentliche Gaben soll man aber
nicht leichthin erstreben. Man darf auch nicht vermessentlich Früchte für die
apostolische Tätigkeit von ihnen erwarten. Das Urteil über ihre Echtheit und
ihren geordneten Gebrauch steht bei jenen, die in der Kirche die Leitung haben
und denen es in besonderer Weise zukommt, den Geist nicht auszulöschen, sondern
alles zu prüfen und das Gute zu behalten (vgl. 1 Thess 5,12.19-21).
13.
Zum neuen Gottesvolk werden alle Menschen gerufen. Darum muß dieses Volk eines
und ein einziges bleiben und sich über die ganze Welt und durch alle Zeiten hin
ausbreiten. So soll sich das Ziel des Willens Gottes erfüllen, der das
Menschengeschlecht am Anfang als eines gegründet und beschlossen hat, seine
Kinder aus der Zerstreuung wieder zur Einheit zu versammeln (vgl. Joh 11,52).
Dazu sandte nämlich Gott seinen Sohn, den er zum Erben des Alls gemacht hat
(vgl. Hebr 1,2), daß er Lehrer, König und Priester aller sei, das Haupt des
neuen und allumfassenden Volkes der Söhne Gottes. Dazu sandte Gott schließlich
den Geist seines Sohnes, den Herrn und Lebensspender, der für die ganze Kirche
und die Gläubigen einzeln und insgesamt der Urgrund der Vereinigung und Einheit
in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft, im Brotbrechen und im Gebet
ist (vgl. Apg 2,42). In allen Völkern der Erde wohnt also dieses eine
Gottesvolk, da es aus ihnen allen seine Bürger nimmt, Bürger eines Reiches
freilich nicht irdischer, sondern himmlischer Natur. Alle über den Erdkreis hin
verstreuten Gläubigen stehen mit den übrigen im Heiligen Geiste in
Gemeinschaft, und so weiß "der, welcher zu Rom wohnt, daß die Inder seine
Glieder sind"23. Da aber das Reich
Christi nicht von dieser Welt ist (vgl. Joh 18,36), so entzieht die Kirche oder
das Gottesvolk mit der Verwirklichung dieses Reiches nichts dem zeitlichen Wohl
irgendeines Volkes. Vielmehr fördert und übernimmt es Anlagen, Fähigkeiten und
Sitten der Völker, soweit sie gut sind. Bei dieser Übernahme reinigt, kräftigt
und hebt es sie aber auch. Sie ist dessen eingedenk, daß sie mit jenem König
sammeln muß, dem die Völker zum Erbe gegeben sind (vgl. Ps 2,) und in dessen
Stadt sie Gaben und Geschenke herbeibringen (vgl. Ps 71 (72),10; Jes 60,4-7;
Offb 21,24). Diese Eigenschaft der Weltweite, die das Gottesvolk auszeichnet,
ist Gabe des Herrn selbst. In ihr strebt die katholische Kirche mit Tatkraft
und Stetigkeit danach, die ganze Menschheit mit all ihren Gütern unter dem
einen Haupt Christus zusammenzufassen in der Einheit seines Geistes24.
Kraft dieser
Katholizität bringen die einzelnen Teile ihre eigenen Gaben den übrigen Teilen
und der ganzen Kirche hinzu, so daß das Ganze und die einzelnen Teile zunehmen
aus allen, die Gemeinschaft miteinander halten und zur Fülle in Einheit
zusammenwirken. So kommt es, daß das Gottesvolk nicht nur aus den verschiedenen
Völkern sich sammelt, sondern auch in sich selbst aus verschiedenen Ordnungen
gebildet wird. Unter seinen Gliedern herrscht eine Verschiedenheit, sei es in
den Ämtern, da manche im heiligen Dienst zum Nutzen ihrer Brüder wirken, sei es
in Stand und Lebensordnung, da viele im Ordensstand auf einem engeren Weg nach
Heiligkeit trachten und die Brüder durch ihr Beispiel anspornen. Darum gibt es
auch in der kirchlichen Gemeinschaft zu Recht Teilkirchen, die sich eigener
Überlieferungen erfreuen, unbeschadet des Primats des Stuhles Petri, welcher
der gesamten Liebesgemeinschaft vorsteht25, die rechtmäßigen Verschiedenheiten
schützt und zugleich darüber wacht, daß die Besonderheiten der Einheit nicht
nur nicht schaden, sondern ihr vielmehr dienen. Daher bestehen schließlich
zwischen den verschiedenen Teilen der Kirche die Bande einer innigen
Gemeinschaft der geistigen Güter, der apostolischen Arbeiter und der zeitlichen
Hilfsmittel. Zu dieser Gütergemeinschaft nämlich sind die Glieder des
Gottesvolkes berufen, und auch von den Einzelkirchen gelten die Worte des
Apostels: "Dienet einander, jeder mit der Gnadengabe, wie er sie empfangen
hat, als gute Verwalter der vielfältigen Gnadengaben Gottes" (1 Petr
4,10). Zu dieser katholischen Einheit des Gottesvolkes, die den allumfassenden
Frieden bezeichnet und fördert, sind alle Menschen berufen. Auf verschiedene
Weise gehören ihr zu oder sind ihr zugeordnet die katholischen Gläubigen, die
anderen an Christus Glaubenden und schließlich alle Menschen überhaupt, die
durch die Gnade Gottes zum Heile berufen sind.
14.
Den katholischen Gläubigen wendet die Heilige Synode besonders ihre
Aufmerksamkeit zu. Gestützt auf die Heilige Schrift und die Tradition, lehrt
sie, daß diese pilgernde Kirche zum Heile notwendig sei. Christus allein ist
Mittler und Weg zum Heil, der in seinem Leib, der Kirche, uns gegenwärtig wird;
indem er aber selbst mit ausdrücklichen Worten die Notwendigkeit des Glaubens
und der Taufe betont hat (vgl. Mk 16,16; Joh 3,5), hat er zugleich die
Notwendigkeit der Kirche, in die die Menschen durch die Taufe wie durch eine
Türe eintreten, bekräftigt. Darum könnten jene Menschen nicht gerettet werden,
die um die katholische Kirche und ihre von Gott durch Christus gestiftete
Heilsnotwendigkeit wissen, in sie aber nicht eintreten oder in ihr nicht
ausharren wollten. Jene werden der Gemeinschaft der Kirche voll eingegliedert,
die, im Besitze des Geistes Christi, ihre ganze Ordnung und alle in ihr
eingerichteten Heilsmittel annehmen und in ihrem sichtbaren Verband mit
Christus, der sie durch den Papst und die Bischöfe leitet, verbunden sind, und
dies durch die Bande des Glaubensbekenntnisses, der Sakramente und der
kirchlichen Leitung und Gemeinschaft. Nicht gerettet wird aber, wer, obwohl der
Kirche eingegliedert, in der Liebe nicht verharrt und im Schoße der Kirche zwar
"dem Leibe", aber nicht "dem Herzen" nach verbleibt26. Alle Söhne der Kirche sollen aber dessen eingedenk
sein, daß ihre ausgezeichnete Stellung nicht den eigenen Verdiensten, sondern
der besonderen Gnade Christi zuzuschreiben ist; wenn sie ihr im Denken, Reden
und Handeln nicht entsprechen, wird ihnen statt Heil strengeres Gericht zuteil27. Die Katechumenen, die, getrieben vom Heiligen Geist,
mit ausdrücklicher Willensäußerung um Aufnahme in die Kirche bitten, werden durch
eben dieses Begehren mit ihr verbunden. Die Mutter Kirche umfaßt sie schon in
liebender Sorge als die Ihrigen.
15.
Mit jenen, die durch die Taufe der Ehre des Christennamens teilhaft sind, den
vollen Glauben aber nicht bekennen oder die Einheit der Gemeinschaft unter dem
Nachfolger Petri nicht wahren, weiß sich die Kirche aus mehrfachem Grunde
verbunden28. Viele nämlich halten
die Schrift als Glaubens- und Lebensnorm in Ehren, zeigen einen aufrichtigen religiösen
Eifer, glauben in Liebe an Gott, den allmächtigen Vater, und an Christus, den
Sohn Gottes und Erlöser29, empfangen das Zeichen
der Taufe, wodurch sie mit Christus verbunden werden; ja sie anerkennen und
empfangen auch andere Sakramente in ihren eigenen Kirchen oder kirchlichen
Gemeinschaften. Mehrere unter ihnen besitzen auch einen Episkopat, feiern die
heilige Eucharistie und pflegen die Verehrung der jungfräulichen Gottesmutter30. Dazu kommt die Gemeinschaft im Gebet und in anderen
geistlichen Gütern; ja sogar eine wahre Verbindung im Heiligen Geiste, der in
Gaben und Gnaden auch in ihnen mit seiner heiligenden Kraft wirksam ist und
manche von ihnen bis zur Vergießung des Blutes gestärkt hat. So erweckt der
Geist in allen Jüngern Christi Sehnsucht und Tat, daß alle in der von Christus
angeordneten Weise in der einen Herde unter dem einen Hirten in Frieden geeint
werden mögen31. Um dies zu erlangen, betet,
hofft und wirkt die Mutter Kirche unaufhörlich, ermahnt sie ihre Söhne zur
Läuterung und Erneuerung, damit das Zeichen Christi auf dem Antlitz der Kirche
klarer erstrahle.
16.
Diejenigen endlich, die das Evangelium noch nicht empfangen haben, sind auf das
Gottesvolk auf verschiedene Weise hingeordnet32. In erster Linie jenes Volk, dem der Bund und die
Verheißungen gegeben worden sind und aus dem Christus dem Fleische nach geboren
ist (vgl. Röm 9,4-5), dieses seiner Erwählung nach um der Väter willen so teure
Volk: die Gaben und Berufung Gottes nämlich sind ohne Reue (vgl. Röm 11,28-29).
Der Heilswille umfaßt aber auch die, welche den Schöpfer anerkennen, unter
ihnen besonders die Muslim, die sich zum Glauben Abrahams bekennen und mit uns
den einen Gott anbeten, den barmherzigen, der die Menschen am Jüngsten Tag
richten wird. Aber auch den anderen, die in Schatten und Bildern den
unbekannten Gott suchen, auch solchen ist Gott nicht ferne, da er allen Leben
und Atem und alles gibt (vgl. Apg 17,25-28) und als Erlöser will, daß alle
Menschen gerettet werden (vgl. 1 Tim 2,4). Wer nämlich das Evangelium Christi
und seine Kirche ohne Schuld nicht kennt, Gott aber aus ehrlichem Herzen sucht,
seinen im Anruf des Gewissens erkannten Willen unter dem Einfluß der Gnade in
der Tat zu erfüllen trachtet, kann das ewige Heil erlangen33. Die göttliche Vorsehung verweigert auch denen das zum
Heil Notwendige nicht, die ohne Schuld noch nicht zur ausdrücklichen
Anerkennung Gottes gekommen sind, jedoch, nicht ohne die göttliche Gnade, ein
rechtes Leben zu führen sich bemühen. Was sich nämlich an Gutem und Wahrem bei
ihnen findet, wird von der Kirche als Vorbereitung für die Frohbotschaft34 und als Gabe dessen geschätzt, der jeden Menschen
erleuchtet, damit er schließlich das Leben habe. Vom Bösen getäuscht, wurden
freilich die Menschen oft eitel in ihren Gedanken, vertauschten die Wahrheit Gottes
mit der Lüge und dienten der Schöpfung mehr als dem Schöpfer (vgl. Röm 1,21.25)
oder sind, ohne Gott in dieser Welt lebend und sterbend, der äußersten
Verzweiflung ausgesetzt. Daher ist die Kirche eifrig bestrebt, zur Ehre Gottes
und zum Nutzen des Heils all dieser Menschen die Missionen zu fördern,
eingedenk des Befehls des Herrn, der gesagt hat: "Predigt das Evangelium
der ganzen Schöpfung" (Mk 16,15).
17.
Wie nämlich der Sohn vom Vater gesandt ist, so hat er selbst die Apostel gesandt
(vgl. Joh 20,21) mit den Worten: "Gehet hin und lehret alle Völker, taufet
sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, lehret sie
alles halten, was ich euch geboten habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage
bis ans Ende der Welt" (Mt 28,18-20). Diesen feierlichen Auftrag Christi
zur Verkündigung der Heilswahrheit hat die Kirche von den Aposteln erhalten und
muß ihn erfüllen bis zu den Grenzen der Erde (vgl. Apg 1,8). Daher macht sie
sich die Worte des Apostels zu eigen: "Weh ... mir, wenn ich die
Frohbotschaft nicht verkünde!" (1 Kor 9,16.) Unablässig fährt sie darum
fort, Verkünder auszusenden, bis die neuen Kirchen voll errichtet sind und auch
selbst das Werk der Verkündigung fortsetzen können. Sie wird nämlich vom Heiligen
Geiste angetrieben, mitzuwirken, daß der Ratschluß Gottes, der Christus zum
Ursprung des Heils für die ganze Welt bestellt hat, tatsächlich ausgeführt
werde. In der Verkündigung der Frohbotschaft sucht die Kirche die Hörer zum
Glauben und zum Bekenntnis des Glaubens zu bringen, bereitet sie für die Taufe
vor, befreit sie aus der Knechtschaft des Irrtums und gliedert sie Christus
ein, damit sie durch die Liebe bis zur Fülle in ihn hineinwachsen. Ihre Mühe
aber bewirkt, daß aller Same des Guten, der sich in Herz und Geist der Menschen
oder in den eigenen Riten und Kulturen der Völker findet, nicht nur nicht
untergehe, sondern geheilt, erhoben und vollendet werde zur Ehre Gottes, zur
Beschämung des Teufels und zur Seligkeit des Menschen. Jedem Jünger Christi obliegt
die Pflicht, nach seinem Teil den Glauben auszusäen35. Wenn auch jeder die Glaubenden taufen kann, so ist es
doch Sache des Priesters, die Auferbauung des Leibes durch das eucharistische
Opfer zu vollenden und so die Worte Gottes, die er durch den Propheten
gesprochen hat, zu erfüllen: "Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang
ist mein Name groß unter den Völkern, und an jedem Ort wird geopfert und meinem
Namen eine reine Opfergabe dargebracht" (Mal 1,11)36. So aber betet und arbeitet die Kirche zugleich, daß die
Fülle der ganzen Welt in das Volk Gottes eingehe, in den Leib des Herrn und den
Tempel des Heiligen Geistes, und daß in Christus, dem Haupte aller, jegliche
Ehre und Herrlichkeit dem Schöpfer und Vater des Alls gegeben werde.
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