IV. Die Verehrung der seligen
Jungfrau in der Kirche
66. Maria wird, durch
Gottes Gnade nach Christus, aber vor allen Engeln und Menschen erhöht, mit
Recht, da sie ja die heilige Mutter Gottes ist und in die Mysterien Christi
einbezogen war, von der Kirche in einem Kult eigener Art geehrt. Schon seit
ältester Zeit wird die selige Jungfrau unter dem Titel der
"Gottesgebärerin" verehrt, unter deren Schutz die Gläubigen in allen
Gefahren und Nöten bittend Zuflucht nehmen192.
Vor allem seit der Synode von Ephesus ist die Verehrung des Gottesvolkes
gegenüber Maria wunderbar gewachsen in Verehrung und Liebe, in Anrufung und
Nachahmung, gemäß ihren eigenen prophetischen Worten: "Selig werden mich
preisen alle Geschlechter, da mir Großes getan hat, der da mächtig ist"
(Lk 1,48). Dieser Kult, wie er immer in der Kirche bestand, ist zwar durchaus
einzigartig, unterscheidet sich aber wesentlich vom Kult der Anbetung, der dem
menschgewordenen Wort gleich wie dem Vater und dem Heiligen Geist dargebracht
wird, und er fördert diesen gar sehr. Die verschiedenen Formen der Verehrung der
Gottesmutter, die die Kirche im Rahmen der gesunden und rechtgläubigen Lehre je
nach den Verhältnissen der Zeiten und Orte und je nach Eigenart und Veranlagung
der Gläubigen anerkannt hat, bewirken, daß in der Ehrung der Mutter der Sohn,
um dessentwillen alles ist (vgl. Kol 1,15-16) und in dem nach dem Wohlgefallen
des ewigen Vaters die ganze Fülle wohnt (Kol 1,19), richtig erkannt, geliebt,
verherrlicht wird und seine Gebote beobachtet werden.
67. Diese katholische
Lehre trägt die Heilige Synode wohlbedacht vor. Zugleich mahnt sie alle Kinder
der Kirche, die Verehrung, vor allem die liturgische, der seligen Jungfrau
großmütig zu fördern, die Gebräuche und Übungen der Andacht zu ihr, die im
Laufe der Jahrhunderte vom Lehramt empfohlen wurden, hochzuschätzen und das,
was in früherer Zeit über die Verehrung der Bilder Christi, der seligen
Jungfrau und der Heiligen festgesetzt wurde, ehrfürchtig zu bewahren193. Die Theologen und die Prediger des
Gotteswortes ermahnt sie aber eindringlich, sich ebenso jeder falschen
Übertreibung wie zu großer Geistesenge bei der Betrachtung der einzigartigen
Würde der Gottesmutter sorgfältig zu enthalten194.
Unter der Führung des Lehramtes sollen sie in der Pflege des Studiums der
Heiligen Schrift, der heiligen Väter und Kirchenlehrer und der kirchlichen
Liturgien die Aufgaben und Privilegien der seligen Jungfrau recht beleuchten,
die sich immer auf Christus beziehen, den Ursprung aller Wahrheit, Heiligkeit
und Frömmigkeit. Sorgfältig sollen sie vermeiden, was in Wort, Schrift oder Tat
die getrennten Brüder oder jemand anders bezüglich der wahren Lehre der Kirche
in Irrtum führen könnte. Die Gläubigen aber sollen eingedenk sein, daß die
wahre Andacht weder in unfruchtbarem und vorübergehendem Gefühl noch in
irgendwelcher Leichtgläubigkeit besteht, sondern aus dem wahren Glauben
hervorgeht, durch den wir zur Anerkennung der Erhabenheit der Gottesmutter
geführt und zur kindlichen Liebe zu unserer Mutter und zur Nachahmung ihrer
Tugenden angetrieben werden.
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