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Charles Dickens Dickens - Weihnachtslied IntraText CT - Text |
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Jetzt trat ein Fiedler mit einem Notenbuch herein, er kletterte auf Fezziwigs hohen Stuhl, machte ihn zum Orchester und begann zu stimmen, als hätte er fünfzigfaches Bauchweh. Dann kam Mrs. Fezziwig, ein einziges behagliches Lächeln. Dann kamen die drei Miss Fezziwig, freudestrahlend und liebenswürdig. Dann kamen die sechs Jünglinge, deren Herzen sie brachen. Dann kamen die Burschen und Mädchen, die im Haus einen Dienst hatten: das Hausmädchen mit ihrem Vetter, dem Bäcker, die Köchin mit ihres Bruders vertrautem Freund, dem Milchmann. Dann kam der Bursche von gegenüber, von dem man sagte, er habe bei seinem Herrn knappe Kost; er versuchte, sich hinter dem Mädchen aus dem Nachbarhaus zu verstecken, der man nachwies, sie sei von ihrer Herrschaft an den Ohren gezogen worden. Sie kamen alle, einer nach dem andern; einige schüchtern, andere keck, einige mit Geschick, andere mit Ungeschick, die zerrend und jene stoßend. Dann ging es los, zwanzig Paare auf einmal, eine halbe Runde hin und zurück, dann die Mitte des Zimmers hinauf und wieder herab, dann in zärtlichen Gruppen sich drehend: das alte erste Paar immer an der falschen Stelle, das nächste erste Paar immer zur falschen Zeit, bis alle Paare erste waren und kein einziges mehr das letzte. Als sie so weit gekommen waren, klatschte der alte Fezziwig zum Zeichen, daß der Tanz aus sei, in die Hände und rief »Bravo!«, und der Fiedler senkte sein glühendes Gesicht in einen Krug Porter, der besonders zu diesem Zweck neben ihm stand. Aber kaum war er wieder heraus, als er, obgleich noch keine Tänzer dastanden, wieder aufzuspielen begann, als sei der alte Fiedler erschöpft nach Hause getragen worden und er ein ganz frischer, entschlossen, den alten vergessen zu machen oder zu sterben. Dann folgten noch mehrere Tänze und Pfänderspiele und wieder Tänze. Dann kam Kuchen und Negus und ein großes Stück kalter Braten, und dann ein großes Stück kaltes Siedfleisch und Fleischpasteten und viel Bier. Aber der Glanzpunkt des Abends kam nach dem Siedfleisch, als der Fiedler (ein heller Kopf, er kannte sein Geschäft besser, als ihr oder ich es hätte lehren können) den Großvatertanz »Sir Roger de Coverley«zu spielen begann. Da trat der alte Fezziwig mit Mrs. Fezziwig an, und zwar als das erste Paar. Sie hatten ein gutes Stück Arbeit vor sich, drei- oder vierundzwanzig Partner, Leute, mit denen nicht zu spaßen war, Leute, die tanzen wollten und keine Lust hatten, zu spazieren. Aber selbst wenn es zweimal, ja viermal soviel gewesen wären, hätte es der alte Fezziwig mit ihnen aufgenommen und auch Mrs. Fezziwig. Sie war im vollen Sinn des Wortes würdig, seine Tänzerin zu sein. Wenn das kein großes Lob ist, so sagt mir ein größeres und ich will es aussprechen. Von Fezziwigs Waden schien ein eigener Glanz auszugehen. Sie leuchteten in jedem Teil des Tanzes wie ein Paar Monde. Ihr hättet zu keiner Minute voraussagen können, was aus ihnen in der nächsten wird. Und als der alte Fezziwig und Mrs. Fezziwig alle Touren des Tanzes durchgemacht hatten, sprang Fezziwig so geschickt, als zwinkere er mit den Beinen, und kam, ohne zu wanken, wieder auf die Füße. Mit dem Glockenschlag elf war dieser häusliche Ball zu Ende. Mr. und Mrs. Fezziwig stellten sich zu beiden Seiten der Tür auf, schüttelten jedem einzelnen der Gäste die Hand zum Abschied und wünschten ihm oder ihr fröhliche Weihnachten. Als alles, außer den zwei Lehrlingen, fort war, wünschten sie diesen das gleiche. So waren die heiteren Stimmen verklungen, und die Burschen gingen in ihr Bett, das sich unter einem Ladentisch hinten im Lagerraum befand. Während dieser ganzen Zeit hatte sich Scrooge wie ein Verrückter benommen. Sein Herz und seine Seele waren bei dem Ball und seinem früheren Selbst. Er bestätigte alles, erinnerte sich an alles, freute sich über alles und befand sich in der seltsamsten Aufregung. Nicht eher als bis die fröhlichen Gesichter seines früheren Selbst und das Antlitz Dicks verschwunden waren, dachte er daran, daß der Geist neben ihm stand und ihn anschaute, während das Licht auf seinem Haupt in voller Klarheit brannte. »Eine Kleinigkeit war's doch«, meinte der Geist, »diesen närrischen Leuten solche Dankbarkeit einzuflößen.« »Eine Kleinigkeit!« gab Scrooge zurück. Der Geist bedeutete ihm, den beiden Lehrlingen zuzuhören, die sich gegenseitig mit Lobpreisungen Fezziwigs überboten; und als Scrooge das getan hatte, sprach der Geist: »Nun, ist es nicht so? Er hat nur ein paar Pfund irdischen Mammons hingegeben; vielleicht drei oder vier. Ist das so der Rede wert, daß er solches Lob verdient?« »Das ist's nicht«, sagte Scrooge, von dieser Bemerkung gereizt und wie sein früheres, nicht wie sein jetziges Selbst sprechend. »Das ist's nicht, Geist. Er hat die Macht, uns glücklich oder unglücklich, unsern Dienst zu einer Lust oder zu einer Bürde, zu einer Freude oder zu einer Qual zu machen. Du magst sagen, seine Macht liege in Worten und Blicken, in so unbedeutenden und kleinen Dingen, daß es unmöglich ist, sie herzuzählen: was schadet das? Das Glück, das er bereitet, ist so groß, als wenn es sein ganzes Vermögen kostete.« Er fühlte des Geistes Blick und schwieg. »Was gibt's?« fragte der Geist. »Nichts, nichts«, sagte Scrooge. »Aber doch etwas, wie?« drängte der Geist. »Nein«, sagte Scrooge, »nein. Ich möchte nur eben jetzt ein paar Worte mit meinem Kommis sprechen. Das ist alles.« Sein früheres Selbst löschte gerade die Lampen aus, als er diesen Wunsch aussprach, und Scrooge und der Geist standen wieder im Freien. »Meine Zeit geht zu Ende«, sagte der Geist. »Schnell!« Dieses letzte Wort war nicht zu Scrooge oder zu jemand, den er sehen konnte, gesprochen, aber es wirkte sofort. Denn wieder sah Scrooge sich selbst. Er war jetzt älter geworden -. ein Mann in der Blüte seiner Jahre. Sein Gesicht hatte noch nicht die schroffen, rauhen Züge seiner späteren Jahre, aber schon begann es Anzeichen der Sorge und des Geizes anzunehmen. In seinem Auge brannte ein ruheloses, habsüchtiges Feuer, das Zeugnis gab von der Leidenschaft, die dort Wurzeln geschlagen hatte, und zeigte, wohin der Schatten des wachsenden Baumes fallen würde. Er war nicht allein, sondern saß neben einem schönen jungen Mädchen in Trauerkleidern. In ihren Augen standen Tränen, die in dem Licht glänzten, das von dem Geist vergangener Weihnachten ausströmte. »Es ist ohne Bedeutung«, sagte sie sanft, »und für Sie von gar keiner. Ein anderes Götzenbild hat mich verdrängt; und wenn es Sie in späterer Zeit trösten und aufrecht erhalten kann, wie ich es versucht hätte, so habe ich keine Ursache zu klagen.« »Welches Götzenbild hätte Sie verdrängt?« erwiderte er. »Ein goldenes.« »Dies ist die Gerechtigkeit der Welt!« sagte er. »Gegen nichts ist sie so hart als gegen die Armut; und nichts tadelt sie unnachsichtiger als das Streben nach Reichtum.« »Sie fürchten das Urteil der Welt zu sehr«, antwortete sie sanft. »Alle Ihre andern Hoffnungen sind in der einen aufgegangen, vor diesem engherzigen Vorwurf gesichert zu sein. Ich habe Ihre edleren Bestrebungen eine nach der andern verschwinden sehen, bis Sie ganz die eine Leidenschaft, die Gier nach Gold, erfüllte. Ist es nicht so?« »Und wenn es so wäre?« antwortete er. »Wenn ich soviel klüger geworden wäre, was dann? Gegen Sie bin ich nie anders geworden.« Sie schüttelte den Kopf. »Bin ich anders?« »Unser Bund ist alt. Er wurde geschlossen, als wir beide arm und zufrieden waren, unser Los durch ausdauernden Fleiß verbessern zu können. Sie haben sich aber verändert! Damals, als er geschlossen wurde, waren Sie ein anderer Mensch.« »Ich war ein Knabe«, sagte er ungeduldig. »Ihr eigenes Gefühl sagt Ihnen, daß Sie nicht so waren, wie Sie jetzt sind«, antwortete sie. »Ich bin noch dieselbe. Das, was uns Glück versprach, als wir noch ein Herz und eine Seele waren, muß uns Unglück bringen, da wir im Geiste nicht mehr eins sind. Wie oft ich und wie bitter dies gefühlt habe, will ich nicht sagen; es ist genug, daß ich es gefühlt habe und daß ich Ihnen Ihr Wort zurückgeben kann.« »Habe ich dies jemals verlangt?« »Wie dann?« »Durch ein verändertes Wesen, durch einen andern Sinn, durch andere Bestrebungen im Leben und durch andere Hoffnungen - in allem, was meiner Liebe in Ihren Augen Wert gab. Wenn alles Frühere nicht zwischen uns geschehen wäre«, sagte das Mädchen, ihn mit sanftem, aber festem Blicke ansehend, »würden Sie mich jetzt aufsuchen und um mich werben? Gewiß nicht!« Er schien die Wahrheit ihrer Worte wider seinen Willen zuzugeben. Aber er tat seinen Gefühlen Gewalt an und sagte: »Sie glauben nicht?« »Gern glaubte ich es, wenn ich könnte«, sagte sie, »Gott weiß es. Wenn ich eine Wahrheit wie diese erkannt habe, weiß ich, wie unwiderstehlich sie sein muß. Aber soll ich glauben, daß Sie ein armes Mädchen wählen würden, wenn Sie heute oder morgen oder gestern frei wären, Sie, der selbst in den vertrautesten Stunden alles nach dem Gewinn mißt? Oder soll ich mir verhehlen, daß Sie gewiß einst sich getäuscht und bittere Reue fühlen würden, weil Sie für einen Augenblick Ihrem einzigen leitenden Grundsatz untreu werden? Nein, und deswegen gebe ich Ihnen Ihr Wort zurück: willig und um der Liebe dessentwillen der Sie einst waren.« Er wollte sprechen, aber mit abgewendetem Gesicht fuhr sie fort: »Vielleicht - der Gedanke an die Vergangenheit läßt es mich fast hoffen - wird es Sie schmerzen. Eine kurze, sehr kurze Zeit, und Sie werden dann die Erinnerung daran fallenlassen, wie die Gedanken an einen nichtigen Traum, aus dem zu erwachen ein Glück für Sie war. Möge Sie alles Glück auf dem gewählten Lebensweg begleiten!« Sie schieden. »Geist«, sagte Scrooge, »zeig mir nichts mehr, führ mich nach Hause. Warum erfreust du dich daran, mich zu quälen?« »Noch einen Schatten«, rief der Geist aus. »Nein«, rief Scrooge. »Nein. Ich mag nichts mehr sehen. Zeig mir nichts mehr.« Aber der erbarmungslose Geist hielt ihn mit beiden Händen fest und zwang ihn, zu betrachten, was als nächstes geschah. Sie befanden sich an einem andern Ort, in einem Zimmer, nicht sehr groß oder schön, aber voller Behaglichkeit. Neben dem Kamin saß ein schönes junges Mädchen, das der, die Scrooge soeben gesehen hatte, so ähnlich war, daß er glaubte, es sei dieselbe, bis er diese, jetzt eine stattliche Matrone, der Tochter gegenüber sitzen sah. In dem Zimmer war ein wahrer Aufruhr, denn es befanden sich mehr Kinder darin, als Scrooge in seiner Aufregung zählen konnte; und hier betrugen sich nicht vierzig Kinder wie eins, sondern jedes Kind wie vierzig. Die Folge davon war ein Lärm sondergleichen; aber niemand schien sich darüber aufzuregen. im Gegenteil, Mutter und Tochter lachten herzlich und freuten sich darüber, und die letztere, die sich bald in die Spiele mischte, wurde von den kleinen Schelmen gar grausam mitgenommen. Was hätte ich darum gegeben, eines dieser Kinder zu sein, obgleich ich nie so ungezogen gewesen wäre! Nein, nein! Für alle Schätze der Welt hätte ich nicht diese Locken zerdrückt und zerwühlt; und diesen lieben, kleinen Schuh hätte ich nicht entwendet, selbst um mein Leben zu retten. Im Scherz ihre Taille zu messen, wie die dreiste junge Brut tat, hätte ich nicht gewagt aus Furcht, mein Arm würde zur Strafe krumm und nie wieder gerade wachsen. Und doch, wie gern, ich gestehe es, hätte ich ihre Lippen berührt; wie gern sie ausgefragt, damit sie sich geöffnet hätten; wie gern hätte ich die Wimpern dieser niedergeschlagenen Augen betrachtet, ohne ein Erröten hervorzurufen; wie gern dieses wogende Haar gelöst, von dem eine einzige Locke ein unschätzbares Andenken gewesen wäre: kurz, wie gern hätte ich das kleinste Vorrecht eines dieser Kinder gehabt, mit der Bedingung, Manns genug zu bleiben, um seinen Wert zu fühlen. Aber jetzt wurde ein Klopfen an der Tür laut, was einen so allgemeinen Ansturm hervorrief, daß sie mit lachendem Gesicht und zerknülltem Kleid in der Mitte eines lärmenden Haufens nach der Tür gedrängt wurde, dem Vater entgegen, der nach Hause kam in Begleitung eines mit Weihnachtsgeschenken beladenen Mannes. Aber nun das Geschrei und das Gedränge und der Sturm auf den verteidigungslosen Träger! Wie sie an ihm auf Stühlen hinaufstiegen, in seine Taschen guckten, die Papierpäckchen raubten, an seiner Halsbinde zupften, an seinem Halse hingen, ihm auf den Rücken trommelten oder an die Beine stießen - alles in unwiderstehlicher Freude! Dann die Ausrufe der Verwunderung und des Frohlockens, mit denen der Inhalt jedes Päckchens begrüßt wurde! Die schreckliche Kunde, daß das Kleinste ertappt worden sei, wie es die Puppenbratpfanne in den Mund gesteckt und wohl gar das hölzerne Huhn samt der Schüssel hinuntergeschluckt habe! Die große Beruhigung, als man entdeckte, daß es falscher Alarm gewesen war! Die Freude und die Dankbarkeit und das Entzücken! Dies alles übertrifft alle Beschreibung. Es muß genügen, zu wissen, daß die Kinder und ihre Freunde endlich aus dem Zimmer kamen und über eine Treppe in den obersten Stock hinaufgingen, wo sie zu Bett gebracht wurden und blieben. Und als Scrooge jetzt sah, wie sich der Herr des Hauses, die Tochter zärtlich an seine Seite geschmiegt, mit ihr und ihrer Mutter an seinem eigenen Herd niedersetzte; und wie er dachte, daß ihn ein solches Wesen ebenso lieblich und hoffnungsfroh hätte Vater nennen und wie der Frühling im öden Winter seines Lebens hätte sein können, da wurden seine Augen wirklich trübe. »Belle«, sagte der Mann, sich lächelnd zu seiner Gattin wendend, »ich sah heut nachmittag einen alten Freund von dir.« »Wer war es?« »Wie kann ich das? Ach, jetzt weiß ich schon«, fügte sie sogleich hinzu, lachend, und auch er lachte. »Mr. Scrooge.« »Ja, Mr. Scrooge. Ich ging an seinem Kontorfenster vorüber; und da kein Laden davor war und Licht brannte, mußte ich ihn sehen. Sein Kompagnon liegt im Sterben, hörte ich, und er war allein. Ganz allein in der weiten Welt, glaube ich.« »Geist«, rief Scrooge mit bebender Stimme, »führe mich weg von diesem Ort.« »Ich sagte dir, daß dies Schatten gewesener Dinge sind«, sagte der Geist. »Gib nicht mir die Schuld, daß sie sind, wie sie sind.« »Führe mich weg«, rief Scrooge aus. »Ich kann es nicht ertragen.« Er wandte sich dem Geist zu, und wie er sah, daß er ihn mit einem Gesicht anblickte, in dem sich auf eine seltsame Weise all die Gesichter zeigten, die er bisher gesehen hatte, rang er mit ihm. »Verlaß mich, führ mich weg. Verfolge mich nicht länger.« In dem Kampf, wenn es ein Kampf genannt werden kann, wie der Geist, ohne sichtbaren Widerstand seinerseits, von den Angriffen seines Gegners unberührt blieb, bemerkte Scrooge, daß das Licht auf seinem Haupt hoch und hell brannte, und in einem dunklen instinktiven Gefühl jenes Licht sei mit des Geistes Einfluß auf ihn verbunden, ergriff er den Löschhut und stülpte ihn auf des Geistes Haupt. Der Geist sank zusammen, so daß der Löschhut seine ganze Gestalt bedeckte; aber obgleich Scrooge ihn mit seiner ganzen Kraft niederdrückte, konnte er das Licht nicht ganz verbergen, das darunter hervor- und mit hellem Schimmer über den Boden floß. Er fühlte sich erschöpft und von einer unüberwindlichen Schläfrigkeit befallen und wußte, daß er in seinem eigenen Schlafzimmer war. Er gab dem Löschhut einen letzten Druck und fand kaum Zeit, in das Bett zu wanken, bevor er in tiefen Schlaf sank. |
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