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Ioannes Paulus PP. II Vita Consecrata IntraText CT - Text |
Die Vorzugsoption für die Armen und die Förderung der Gerechtigkeit
82. Zu Beginn seines öffentlichen Wirkens sagt Jesus in der Synagoge von Nazaret, der Geist habe ihn gesalbt, damit er den Armen eine gute Nachricht bringe, den Gefangenen die Entlassung verkünde, den Blinden das Augenlicht zurückgebe, die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe (vgl. Lk 4,16-19). Die Kirche, die sich die Sendung des Herrn zu eigen macht, verkündet jedem Mann und jeder Frau das Evangelium und trägt damit Sorge für deren vollständiges Heil. Doch mit besonderer Aufmerksamkeit, ja mit einer echten »Vorzugsoption« wendet sie sich allen zu, die sich in einer Situation gröberer Schwachheit und daher einer schwerwiegenderen Not befinden. »Arme« in den vielfältigen Dimensionen der Armut sind die Unterdrückten, die Ausgegrenzten, die Alten, die Kranken, die Kleinen und alle, die als »Letzte« in der Gesellschaft angesehen und behandelt werden.Die Option für die Armen wohnt der Dynamik der nach dem Vorbild Christi gelebten Liebe inne. Zu dieser sind daher alle Jünger Christi verpflichtet; diejenigen jedoch, die dem Herrn durch Nachahmung seiner Verhaltensweisen mehr aus der Nähe folgen wollen, müssen sich in ganz besonderer Weise hingezogen fühlen. Die Ehrlichkeit ihrer Antwort auf die Liebe Christi regt sie an, als Arme zu leben und sich der Sache der Armen anzunehmen. Dies bringt für jedes Institut, je nach dem spezifischen Charisma, die Annahme eines bescheidenen und strengen Lebensstils sowohl im persönlichen als auch im Gemeinschaftsleben mit sich. Durch dieses gelebte Zeugnis gestärkt, werden die Personen des geweihten Lebens durch Wege, die mit ihrem Lebensweg übereinstimmen und indem sie gegenüber politischen Ideologien frei bleiben, die Ungerechtigkeiten anzeigen können, die gegen so viele Kinder Gottes begangen werden, und sich für die Förderung der Gerechtigkeit im sozialen Umfeld, in dem sie tätig sind, einsetzen können.Auf diese Weise wird die jenen Stiftern und Stifterinnen eigene Hingabe auch in der gegenwärtigen Lage durch das Zeugnis unzähliger Personen des geweihten Lebens eine Erneuerung erfahren, die ihr Leben einsetzten, um dem in den Armen gegenwärtigen Herrn zu dienen. In der Tat »findet man« Christus »auf Erden in der Person seiner Armen [...]. Als Gott reich und als Mensch arm. In der Tat ist der schon reiche Mensch zum Himmel aufgestiegen und sitzt zur Rechten des Vaters, doch hier unten leidet er noch in Armut Hunger und Durst und ist nackt«.as Evangelium wird durch die Liebe wirksam, die Ruhm der Kirche und Zeichen ihrer Treue zum Herrn ist. Das beweist die ganze Geschichte des geweihten Lebens, die man als eine lebendige Exegese des Wortes Jesu betrachten kann: »Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan« (Mt 25,40). Viele Institute, besonders in neuerer Zeit, sind entstanden, um eben dem einen oder anderen Bedürfnis der Armen entgegenzukommen. Aber auch dann, wenn diese Zielsetzung nicht bestimmend gewesen ist, waren die durch das Gebet, durch die Annahme und die Gastfreundschaft zum Ausdruck gebrachte Aufmerksamkeit und Sorge für die Bedürftigen stets mit den verschiedenen Formen des geweihten — auch des kontemplativen — Lebens ganz natürlich verbunden. Wie könnte es auch anders sein, da Christus, zu dem man in der Kontemplation gelangt ist, derselbe ist, der in den Armen lebt und leidet? Der hl. Paulinus von Nola, der seinen Besitz an die Armen verteilt hatte, um sich ganz Gott zu weihen, errichtete die Zellen seines Klosters über einem Hospiz, das für die Betreuung der Armen bestimmt war. Er freute sich bei dem Gedanken an diesen einzigartigen »Gabenaustausch«: die Armen, denen er geholfen hatte, festigten durch ihr Gebet die »Fundamente« seines Hauses, das ganz dem Lobpreis Gottes gewidmet war.Der hl. Vinzenz von Paul hat seinerseits gern gesagt, wenn er das Gebet unterbrechen mubte, um einem Armen in Not beizustehen, dab dies in Wirklichkeit keine Unterbrechung sei, »denn man läbt Gott für Gott zurück«.er Dienst an den Armen ist ein Akt der Evangelisierung und zugleich »Evangelizitäts«-Siegel für das geweihte Leben und Ansporn zu ständiger Bekehrung, denn — wie der hl. Gregor der Grobe sagt — »wenn die Liebe sich liebevoll herabneigt, um auch für die niedrigsten Bedürfnisse des Nächsten zu sorgen, dann lodert sie bis zu den höchsten Gipfeln empor. Und wenn sie wohlwollend der äubersten Not gehorcht, dann nimmt sie kraftvoll den Höhenflug wieder auf«.