Die Würde des Menschen fördern
37. Die unverletzliche Würde eines jeden Menschen neu
zu entdecken und entdecken zu lassen, ist eine wesentliche Aufgabe, ja in
einem gewissen Sinn die zentrale und alle anderen einschließende Aufgabe im
Kontext des Dienstes an der Menschheitsfamilie, zu dem die Kirche und in ihr
die Laien berufen sind.
Unter allen irdischen Geschöpfen ist nur der Mensch
»Person«, bewußtes und freies Subjekt und darum auch »Mitte und Spitze«
alles dessen, was auf der Erde ist.(135)
Die personale Würde ist das kostbarste Gut, das
der Mensch besitzt, und aufgrund dessen er die ganze materielle Welt an Wert
transzendiert.
Jesu Wort »Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze
Welt gewinnt, dabei aber sein Leben einbüßt?« (Mk 8, 36), enthält eine
wegweisende und ermutigende anthropologische Aussage: Des Menschen Wert liegt
nicht in dem, was er »hat« - wenn er die ganze Welt gewinnt - sondern in dem,
was er »ist«: nicht so sehr die Güter der Welt zählen, sondern das Gut des
Menschen, das Gut, das der Mensch selber ist.
Die Leuchtkraft der Würde des Menschen kommt von ihrem
Ursprung und von ihrer Zielbestimmung her voll zum Ausdruck: Von Gott nach
seinem Bild und Gleichnis geschaffen, vom kostbaren Blut Christi erlöst, ist
der Mensch berufen, »Kind Gottes im Sohn« und lebendiger Tempel des Heiligen
Geistes zu sein. Er ist bestimmt zum ewigen Leben in der seligmachenden
Gemeinschaft mit Gott. Darum schreit jede Verletzung der Menschenwürde vor dem
Angesicht Gottes nach Rache und ist Beleidigung des Schöpfers des Menschen.
Aufgrund seiner Personwürde ist der Mensch in sich und
für sich genommen immer ein Wert und muß als solcher verstanden und
behandelt werden. Er darf nicht als benutzbares Objekt, als Werkzeug, als ein
Ding betrachtet und behandelt werden.
Die Personwürde ist Fundament der Gleichheit aller
Menschen. Von ihr leitet sich die absolute Unannehmbarkeit der
verschiedensten Formen der Diskriminierung ab, die die Menschheitsfamilie
leider ständig spalten und demütigen: durch Rassen-, wirtschaftliche, soziale,
politische, geographische oder andere Unterschiede bedingt. Jede
Diskriminierung stellt nicht so sehr wegen der Spannungen und Konflikte, die
sie in der Gesellschaft hervorrufen kann, sondern wegen der Verletzung der
Menschenwürde eine unerträgliche Ungerechtigkeit dar. Sie ist nicht nur Verletzung
der Würde des Opfers der Ungerechtigkeit, sondern mehr noch der Würde
desjenigen, der die Ungerechtigkeit begeht.
Die Personwürde ist Fundament der Gleichheit aller
Menschen und auch Fundament der Teilnahme und der Solidarität der Menschen
untereinander. Der Dialog und die Gemeinschaft sind zutiefst verwurzelt in
dem, was die Menschen »sind«. Diese Verwurzelung im Sein ist tiefer und
ursprünglicher als eine Verankerung in dem, was die Menschen »haben«.
Die Personwürde ist unzerstörbares Eigentum eines
jeden Menschen. Die ungeheure Kraft dieser Behauptung, die auf die Einmaligkeit
und Unwiederholbarkeit eines jeden Menschen zurückgeht, muß erfaßt
werden. Davon leitet sich ab, daß der einzelne durch alles, was ihn in der
Anonymität des Kollektivs, der Institution, der Struktur, des Systems zermalmen
und vernichten will, nicht nivelliert werden kann. Die Person ist in ihrer
Einmaligkeit weder eine Nummer, noch das Glied einer Kette, noch das Teil eines
Systems. Die radikalste und erhebendste Bezeugung des Wertes eines jeden
Menschen gab der Sohn Gottes, als er im Schoß einer Frau Mensch wurde. Davon
spricht die christliche Weihnacht auch heute noch zu uns.(136)
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