Alle sind Adressaten und
Protagonisten der Politik
42. Die Liebe, die dem Menschen dient und ihn liebt, kann
nicht von der Gerechtigkeit getrennt werden: Die eine und die andere
verlangen jede auf ihre Weise die volle Anerkennung der Rechte der Person, auf
die die Gesellschaft mit all ihren Strukturen und Institutionen hingeordnet
ist.(149)
Um die zeitliche Ordnung im genannten Sinn des Dienstes
am Menschen christlich zu inspirieren, können die Laien nicht darauf
verzichten, sich in die »Politik« einzuschalten, das heißt in die
vielfältigen und verschiedenen Initiativen auf wirtschaftlicher, sozialer,
gesetzgebender, verwaltungsmäßiger und kultureller Ebene, die der organischen
und systematischen Förderung des Allgemeinwohls dienen. Wie die
Synodenväter wiederholt feststellten, haben alle und jeder einzelne die Pflicht
und das Recht, sich an der Politik zu beteiligen, wenn auch auf verschiedener
und komplementärer Weise und Ebene und aufgrund verschiedener und
komplementärer Aufgaben und Verantwortungen. Die Anklagen des Arrivismus, der
Idolatrie der Macht, des Egoismus und der Korruption, die nicht selten gegen
Regierungsleute, Abgeordnete der Parlamente, dominierenden Klassen und
politischen Parteien erhoben werden, sowie die verbreitete Meinung, die Politik
sei ein Bereich unbedingter moralischer Gefährdung, rechtfertigen auf keine
Weise den Skeptizismus oder die Abwendung der Christen von den öffentlichen
Angelegenheiten. Vielmehr gewinnt gerade auf diesem Hintergrund das Wort des
II. Vatikanischen Konzils seine volle Bedeutung: »Die Kirche ihrerseits zollt
der Arbeit jener, die sich zum Dienst an den Menschen für das Wohl des Staates
einsetzen und die Lasten eines solchen Amtes tragen, Anerkennung und
Achtung«.(150)
Eine Politik, die auf die Person und auf die Gesellschaft
ausgerichtet ist, findet ihr Grundkriterium in der Bemühung um das
Allgemeinwohl als Wohl aller Menschen und des ganzen Menschen,
ein Wohl, das der freien und verantwortlichen Annahme der einzelnen und der
Gruppen angeboten wird. »Die politische Gemeinschaft - so lesen wir in der
Konstitution Gaudium et Spes - besteht also um dieses Gemeinwohls
willen; in ihm hat sie ihre letztgültige Rechtfertigung und ihren Sinn, aus ihm
leitet sie ihr ursprüngliches Eigenrecht ab. Das Gemeinwohl aber begreift in
sich die Summe aller jener Bedingungen gesellschaftlichen Lebens, die den
Einzelnen, den Familien und gesellschaftlichen Gruppen ihre eigene
Vervollkommung voller und ungehinderter zu erreichen gestatten«.(151)
Eine Politik, die auf den Menschen und auf die
Gesellschaft ausgerichtet ist, findet darüber hinaus ihre kontinuierliche
Richtlinie in der Verteidigung und Förderung der Gerechtigkeit, die
sie als »Tugend«, zu der alle erzogen werden müssen, und als »moralische Kraft«
versteht, die das Bemühen um die Anerkennung der Rechte und Pflichten aller und
eines jeden auf der Grundlage der Personwürde des Menschen trägt.
Bei der Ausübung der öffentlichen Macht ist die Gesinnung
des Dienstes entscheidend. Nur sie kann neben der notwendigen Kompetenz und
Fähigkeit das Wirken der Politiker »durchsichtig« und »rein« erhalten, so wie
das Volk es berechtigterweise fordert. Voraussetzung dafür ist die Bekämpfung
und die entschiedene Überwindung bestimmter Versuchungen, wie die der
Unlauterkeit und Lüge, des Vergeudens der öffentlichen Mittel zugunsten von
Wenigen und mit gewinnsüchtigen Interessen, des Gebrauchs von zweideutigen und
unerlaubten Mitteln, um die Macht auf jeden Fall zu erobern, festzuhalten und
zu vermehren.
Wie die Konstitution Gaudium et Spes hervorhebt,
sollen die in der Politik engagierten Laien die Autonomie der irdischen
Wirklichkeiten respektieren: »Sehr wichtig ist besonders in einer
pluralistischen Gesellschaft, daß man das Verhältnis zwischen der politischen
Gemeinschaft und der Kirche richtig sieht, so daß zwischen dem, was die
Christen als Einzelne oder im Verbund im eigenen Namen als Staatsbürger, die
von ihrem christlichen Gewissen geleitet werden, und dem, was sie im Namen der
Kirche zusammen mit ihren Hirten tun, klar unterschieden wird.
Die Kirche, die in keiner Weise hinsichtlich ihrer
Aufgabe und Zuständigkeit mit der politischen Gemeinschaft verwechselt werden
darf, noch auch an irgendein politisches System gebunden ist, ist zugleich
Zeichen und Schutz der Transzendenz der menschlichen Person«.(152)
Zugleich müssen die Laien - so wird es heute als
dringende Notwendigkeit und Verantwortung empfunden - Zeugnis geben für jene
menschlichen Werte des Evangeliums, die zutiefst mit der politischen Tätigkeit
verbunden sind: Freiheit und Gerechtigkeit, Solidarität, treue und selbstlose
Hingabe an das Wohl aller, einfacher Lebensstil, Vorliebe für die Armen und für
die Letzten. Voraussetzung dafür ist, daß sie von ihrer lebendigen Teilhabe am
Leben der Kirche getragen und durch ihre Soziallehre aufgeklärt sind. Dabei
können die Nähe ihrer Gemeinden und ihrer Hirten ihnen eine große Hilfe
bedeuten.(153)
Stil und Mittel zur Verwirklichung einer Politik, die die
wahre Entwicklung der Menschen zum Ziel haben will, sind gegeben in der Solidarität.
Sie erweckt die aktive und verantwortliche Teilnahme aller am
politischen Leben, angefangen bei den einzelnen Bürgern bis hin zu den
verschiedenen Gruppen, von den Gewerkschaften bis hin zu den Parteien:
Gemeinsam und einzeln sind wir alle Adressaten und Protagonisten der Politik.
Wie ich in der Enzyklika Sollicitudo Rei Socialis geschrieben habe, ist
die Solidarität in diesem Sinn »nicht ein Gefühl vagen Mitleids oder
oberflächlicher Rührung wegen der Leiden so vieler Menschen nah oder fern. Im
Gegenteil, sie ist die feste und beständige Entschlossenheit, sich für
das "Gemeinwohl" einzusetzen, das heißt für das Wohl aller und eines
jeden, weil wir alle für alle verantwortlich sind «.(154)
Die politische Solidarität will heute in einer
Spannweite, die über die einzelne Nation oder den einzelnen Block von Nationen
hinausgeht und sich als kontinental oder universal darstellt, verwirklicht
werden.
Die von allen erwünschte, aber leider noch nicht
ausgereifte Frucht der solidarischen politischen Tätigkeit ist der Friede. Angesichts
aller Phänomene, die den Frieden verneinen oder bedrohen, können die Laien
nicht indifferent, distanziert oder unberührt bleiben: Gewalt und Krieg, Folter
und Terrorismus, Konzentrationslager, Militarisierung der Politik, Rüstung,
Bedrohung durch die Nuklearwaffen. Als Jünger Jesu, der der »Friedensfürst« (Jes
9, 5) und »unser Friede« (Eph 2, 14) ist, müssen die Laien durch die
Bekehrung des »Herzens«, wie durch ein Engagement zugunsten der Wahrheit, der
Freiheit, der Gerechtigkeit und der Liebe, die unverzichtbare Fundamente des
Friedens sind, »Frieden stiften« (Mt 5, 8).(155)
Die Laien müssen mit allen, die in Wahrheit den Frieden
suchen, zusammenarbeiten und die spezifischen nationalen und internationalen
Organismen benutzen, um von der Basis her einen Prozeß der Bewußtseinsbildung
auszulösen, der die beherrschende Kultur des Egoismus, des Hasses, der Rache
und der Feindschaft überwindet und auf allen Ebenen eine Kultur der Solidarität
fördert. Sie ist »der Weg zum Frieden und zugleich zur Entwicklung«.(156)
Die Synodenväter haben die Christen aufgefordert, unannehmbare Formen der
Gewalt abzulehnen, die Dialog- und Friedensbereitschaft zu pflegen und sich
einzusetzen für die Errichtung einer gerechten sozialen und internationalen
Ordnung.(157)
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