Die Kultur und die Kulturen des
Menschen evangelisieren
44. Der Dienst am Menschen und an der menschlichen
Gesellschaft kommt im Schaffen und Weitergeben von Kultur zum Ausdruck
und zur Verwirklichung. Vor allem in unseren Tagen stellt dies eine der
dringendsten Aufgaben des menschlichen Miteinanders und des sozialen
Fortschrittes dar. Im Licht des Konzils verstehen wir unter »Kultur ... alles,
wodurch der Mensch seine vielfältigen geistigen und körperlichen Anlagen ausbildet
und entfaltet; wodurch er sich die ganze Welt in Erkenntnis und Arbeit zu
unterwerfen sucht; wodurch er das gesellschaftliche Leben in der Familie und in
der ganzen bürgerlichen Gesellschaft im moralischen und institutionellen
Fortschritt menschlicher gestaltet: wodurch er endlich seine großen geistigen
Erfahrungen und Bestrebungen im Lauf der Zeit in seinen Werken
vergangenständlicht, mitteilt und ihnen Dauer verleiht - zum Segen vieler, ja
der ganzen Menschheit«.(162) In diesem Sinn muß die Kultur als Allgemeingut
eines jeden Volkes, als Ausdruck seiner Würde, Freiheit und Kreativität, als
Zeugnis seines Weges in der Geschichte verstanden werden. Vor allem der
christliche Glaube kann nur von der Kultur her und durch sie geschichtlich und
geschichtsschöpferisch werden.
Angesichts der Entwicklung einer Kultur, die nicht nur
dem christlichen Glauben, sondern auch den menschlichen Werten absagt,(163) und
einer wissenschaftlich und technologisch geprägten Kultur, die es nicht vermag,
auf die brennende Suche nach der Wahrheit und nach dem Guten, die heute im
Herzen der Menschen brennt, zu antworten, weiß die Kirche um die dringende
pastorale Notwendigkeit, der Kultur besondere Aufmerksamkeit zu widmen.
Sie fordert darum die Laien auf, sich mutig und kreativ
an den privilegierten Orten der Kultur, wie die Welt der Schulen und
Universitäten, die Milieus wissenschaftlicher und technischer Forschung, die
Orte des künstlerischen Schaffens und humanistischen Nachdenkens eine Präsenz
zu verschaffen. Diese Präsenz soll nicht nur die Elemente der gegenwärtigen
Kultur erkennen, kritisch beurteilen und gegebenenfalls läutern, sondern sie
mit Hilfe des ursprünglichen Reichtums des Evangeliums und des christlichen
Glaubens auf eine höhere Ebene erheben. Was das II. Vatikanische Konzil über
die Beziehung zwischen Evangelium und Kultur schreibt, ist bleibende
historische Gegebenheit und zugleich ein höchst aktuelles und notwendiges Ziel;
dieses anspruchsvolle Programm ist der pastoralen Verantwortung der gesamten
Kirche und somit der spezifischen Verantwortung aller Laien anvertraut: »Die
gute Botschaft Christi erneuert unausgesetzt Leben und Kultur des gefallenen
Menschen und bekämpft und beseitigt Irrtümer und Übel, die aus der stets
drohenden Verführung zur Sünde hervorgehen. Unablässig reinigt und hebt sie die
Sitten der Völker.
Schon durch die Erfüllung der eigenen Aufgabe treibt die
Kirche die menschliche und mitmenschliche Kultur voran und trägt zu ihr bei;
durch ihr Wirken, auch durch ihre Liturgie, erzieht sie den Menschen zur
inneren Freiheit«.(164)
Einige besonders inhaltsvolle Passagen des Schreibens
Paulus VI.Evangelii Nuntiandi verdienen es, hier in Erinnerung gerufen
zu werden: »Die Kirche evangelisiert, wenn sie sich darum bemüht, allein durch
die göttliche Kraft der Botschaft, die sie verkündet, zugleich das persönliche
und kollektive Bewußtsein der Menschen, die Tätigkeit, in der sie sich
engagieren, ihr konkretes Leben und jeweiliges Milieu umzuwandeln.
Bereiche der Menschheit, die umgewandelt werden sollen:
Für die Kirche geht es nicht nur darum, immer weitere Landstriche oder immer
größere Volksgruppen durch die Predigt des Evangeliums zu erfassen, sondern zu
erreichen, daß durch die Kraft des Evangeliums die Urteilskriterien, die
bestimmenden Werte, die Interessenpunkte, die Denkgewohnheiten, die Quellen der
Inspiration und die Lebensmodelle der Menschheit, die zum Wort Gottes und zum
Heilsplan im Gegensatz stehen, umgewandelt werden.
Vielleicht können wir dies zusammenfassend auf folgende
Weise ausdrücken: es gilt - und zwar nicht nur dekorativ wie durch einen
oberflächlichen Anstrich, sondern mit vitaler Kraft in der Tiefe und bis zu
ihren Wurzeln - die Kultur und die Kulturen des Menschen im vollen und
umfassenden Sinn ... zu evangelisieren ... Der Bruch zwischen Evangelium und
Kultur ist ohne Zweifel das Drama unserer Zeitepoche, wie es auch das anderer
Epochen gewesen ist. Man muß somit alle Anstrengungen machen, um die Kultur
genauer die Kulturen, auf mutige Weise zu evangelisieren«.(165)
Die Kommunikationsmittel bieten sich heute als
privilegierter Weg zur Schaffung und zur Weitergabe der Kultur an.(166)
Aufgrund der raschen und umwälzenden Entwicklung und Erneuerung und ihres
weltweiten, zugleich bis zur Basis reichenden Einflußes wird auch die Welt der
Medien zu einem neuen Grenzgebiet der Sendung der Kirche. Die berufliche
Verantwortung der Laien auf diesem Gebiet, sei es der einzelnen, sei es der
gemeinsamen Institutionen und Initiativen, muß in ihrer ganzen Bedeutung
anerkannt und mit mehr materiellen, intellektuellen und pastoralen Mitteln
unterstützt werden.
Gebrauch und Aufnahme der Kommunikationsmittel verlangen
nach einer Erziehung zum kritischen, von der Liebe zur Wahrheit getragenen
Sinn, und einer umfassenden Verteidigung der Freiheit, der Ehrfurcht vor der
personalen Würde, der Festigung der wahren Kultur der Völker durch die
entschiedene und mutige Ablehnung jeder Form von Monopolisierung und
Manipulierung.
Die pastorale Verantwortung der Laien schränkt sich aber
nicht auf diese Verteidigung ein: Das heilbringende Evangelium muß auf allen
Straßen der Welt, auch auf denen der Presse, des Kinos, der Radiosender, des
Fernsehens und des Theaters verkündigt werden.
|