Anthropologische und theologische
Fundierungen
50. Voraussetzung für die Anerkennung der Präsenz der
Frau in der Kirche und in der Gesellschaft ist eine sorgsame und tiefergehende
Untersuchung der anthropologischen Fundierung des Frauseins und des
Mannseins. Dadurch muß die personale Identität der Frau in ihrer Beziehung,
Verschiedenheit und Komplementarität zum Mann präzisiert werden, und das nicht
nur im Hinblick auf die Rollen, die sie übernehmen, und die Aufgaben, die sie
erfüllen soll, sondern auch und tiefer noch im Hinblick auf ihre Struktur und
auf ihre personale Bedeutung. Die Synodenväter haben diese Notwendigkeit tief
empfunden, als sie behaupteten, daß »die theologischen und anthropologischen
Fundamente für die Lösung der Probleme über die wahre Bedeutung und die Würde
beider Geschlechter vertieft werden müssen«.(184)
Die Kirche führt Überlegungen aus über die anthropologischen
und theologischen Grundgebenheiten des Frauseins und bringt sich somit ein in
den geschichtlichen Prozeß der verschiedenen Bewegungen für die Förderung der
Frau. Weil sie dabei vorstößt bis zu den Wurzeln des Personseins der Frau, hat
die Kirche einen wertvollen Beitrag zu geben. Vor allem will sie aber Gott
gehorchen, der den Menschen »nach seinem Bild« als »Mann und Frau« geschaffen
hat (Gen 1, 27). Sie will auch den Ruf Gottes aufnehmen, seinen Plan zu
kennen, zu bewundern und zu leben. Dieser Plan wurde »am Anfang« unauslöschlich
in das Sein des Menschen - Mann und Frau - und somit auch in seine
bedeutsamsten Strukturen und seine tiefste Dynamik eingeschrieben. Dieser weise
Liebesplan muß mit dem vollen Reichtum seines Inhaltes erschlossen werden: Es
ist der Reichtum des »Anfanges«, der sich nach und nach in der Heilsgeschichte
geoffenbart und aktualisiert und in der »Fülle der Zeit« seinen Höhepunkt
gefunden hat, als Gott seinen Sohn sandte, »geboren von einer Frau« (Gal 4,
4).
Diese »Fülle« setzt sich in der Geschichte fort. Im
Glauben der Kirche muß die Deutung von Gottes Plan über die Frau immer neu auch
durch das Leben vieler christlicher Fauen vorgenommen werden. Dabei darf der
Beitrag, den die verschiedenen Humanwissenschaften und Kulturen einbringen
können, nicht vergessen werden. Diese vermögen durch sorgfältige Unterscheidung
dazu beizutragen, die Werte und Rechte, die zum unveränderlichen Wesen der Frau
gehören, von denen, die durch die geschichtliche Entwicklung der Kulturen gegeben
sind, zu unterscheiden. Das II. Vatikanische Konzil erinnert uns daran, daß,
wie die Kirche glaubt, »allen Wandlungen vieles Unwandelbare zugrundeliegt, was
seinen letzten Grund in Christus hat, der derselbe ist gestern, heute und in
Ewigkeit (vgl. Hebr 13, 8)«.(185)
Das Apostolische Schreiben über Würde und Berufung der
Frau behandelt die anthropologischen und theologischen Grundlagen ihrer
Personwürde als Frau. Das Dokument nimmt die Thematik der »Theologie des
Leibes«, die über längere Zeit in den Mittwochskatechesen behandelt wurde,
wieder auf, führt diese Überlegungen weiter und wendet sie spezifisch an. Es
möchte ein Versprechen der Enzyklika Redemptoris Mater(186) erfüllen und
zugleich auf die Bitte der Synodenväter eingehen.
Das Studium des Apostolischen Schreibens Mulieris
Dignitatem kann schon allein wegen seines Charakters als
biblisch-theologische Meditation alle - Männer und Frauen, vor allem aber die
Humanwissenschaftler und Fachleute der theologischen Disziplinen - dazu
motivieren, ihre kritische Forschung fortzusetzen. Ausgehend von der
Personwürde des Mannes und der Frau und ihres gegenseitigen Verhältnisses,
können sie spezifische Gaben und Werte des Frauseins und Mannseins nicht nur im
gesellschaftlichen Bereich, sondern auch im Bereich der christlichen und
sozialen Existenz besser zu erkennen versuchen.
Die Betrachtung über die anthropologischen und
theologischen Grundgegebenheiten des Frauseins will die christliche Antwort auf
die wiederholte und zuweilen akute Frage nach dem »Raum«, den die Frau in
der Kirche und in der Gesellschaft einnehmen kann, beleuchten.
Aus dem Wort und Verhalten Christi, die für die Kirche
Norm sind, geht eindeutig hervor, daß auf der Ebene des Verhältnisses zu
Christus keine Diskriminierung vorhanden ist. In ihm ist »nicht Mann und Frau;
denn ihr alle seid "einer" in Christus Jesus« (Gal 3, 28).
Dasselbe gilt auf der Ebene der Teilhabe am Leben und an der Heiligkeit der
Kirche, wie die an Pfingsten erfüllte Prophezeiung des Joel es auf
herrlicheWeise bezeugt: »Danach aber wird es geschehen, daß ich meinen Geist
ausgieße über alles Fleisch. Eure Söhne und Töchter werden Propheten sein« (Joel
3, 1; vgl. Apg 2, 17 ff). Im Apostolischen Schreiben über
Würde und Berufung der Frau ist zu lesen: »beide - die Frau wie der Mann - ...
sind ... in gleichem Maße empfänglich für das Geschenk der göttlichen Wahrheit
und der Liebe im Heiligen Geist. Beide empfangen seine heilbringenden und
heiligmachenden "Heimsuchungen"«.(187)
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