Die verschiedenen Berufungen der
Laien
56. Die reiche Vielfalt der Kirche kommt innerhalb eines
jeden Lebensstandes nochmals zum Ausdruck. Der Laienstand kennt verschiedene
»Berutungen«, das heißt verschiedene geistliche und apostolische Wege, die
sich den einzelnen Laien anbieten. Aus dem Strom der gemeinsamen »Berufung« der
Laien erwachsen »besondere« Berufungen von Laien. Wir können auf diesem Gebiet
die geistliche Erfahrung in Erinnerung rufen, die jüngst in der Kirche mit dem
Entstehen verschiedener Formen von Säkularinstituten herangereift ist. Laien
und Priestern ist die Möglichkeit gegeben, die evangelischen Räte der Armut,
der Jungfräulichkeit und des Gehorsams durch Gelübde oder Versprechen zu
befolgen, ohne ihren Priester oder Laienstand zu verlassen.(204) Wie die
Synodenväter hervorgehoben haben, »weckt der Geist andere Formen der
Selbsthingabe, die Menschen vollziehen können, ohne den Laienstand zu
verlassen«.(205)
Wir können zum Abschluß dieser Überlegung eine wunderbare
Passage des heiligen Franz von Sales, der die Spiritualität der Laien so sehr
gefördert hat,(206) anfügen. Im Rahmen seiner Aussagen über die »Frömmigkeit«,
das heißt der christlichen Vollkommenheit oder des »Lebens nach dem Geist«,
stellt er auf einfache und wunderbare Weise die Heiligkeit und die Art und
Weise, auf die die einzelnen Christen sie verwirklichen, dar: »Gott hat bei der
Schöpfung die Pflanzen geheißen, jede nach ihrer Art Früchte zu bringen (vgl. Gen
1, 11). Dieselbe Aufforderung richtet er an die Christen, die
lebendige Pflanzen seiner Kirche sind, damit sie Früchte der Frömmigkeit
bringen, ein jeder gemäß seinem Stand und seiner Situation. Der Edelmann muß
die Frömmigkeit anders üben als der Arbeiter, der Diener, der Prinz, die Witwe,
die unverheiratete Frau und die verheiratete Frau. Das aber ist nicht genug.
Die Übung der Frömmigkeit muß auch an die Kräfte, an die Verpflichtungen und
Pflichten eines jeden angepaßt sein ... Es ist ein Fehler, ja eine Häresie, die
Frömmigkeit aus dem Milieu des Militärs, der Werkstatt, der Königshöfe, der
Familien ausschließen zu wollen. Es ist wahr, Philotea, die rein kontemplative,
monastische und religiöse Berufung kann nur in diesen jeweiligen Ständen
verwirklicht werden. Aber über diese drei Formen der Frömmigkeit hinaus
bestehen viele andere, die denjenigen, die als Laien leben, zur Vollkommenheit
verhelfen können. Darum müssen und können wir, wo auch immer wir uns befinden,
nach der Vollkommenheit des Lebens streben«.(207)
Im gleichen Sinn schreibt das II. Vatikanische Konzil:
»Dieses geistliche Leben der Laien muß vom Stand der Ehe und der Familie, der
Ehelosigkeit oder Witwenschaft, aus der Situation einer Krankheit, vom beruflichen
oder gesellschaftlichen Wirken her ein besonderes Gepräge annehmen. Die Laien
mögen darum nicht aufhören, jene ihnen verliehenen Eigenschaften und Gaben mit
Bedacht auszubilden, die diesen Lebenslagen entsprechen, und auch die ihnen je
eigenen Gnadengaben zu gebrauchen, die sie vom Heiligen Geist empfangen
haben«.(208)
Was von den geistlichen Berufungen gilt, gilt auch und in
einem gewissen Sinn auf noch zu treffendere Weise von den endlosen und
verschiedenen Modalitäten, nach denen alle und die einzelnen Glieder der Kirche
als Arbeiter im Weinberg des Herrn arbeiten und den mystischen Leib Christi
auferbauen. Jeder ist in der Tat bei seinem Namen berufen, in der Einmaligkeit
und der Unwiederholbarkeit seiner persönlichen Geschichte seinen eigenen
Beitrag für das Kommen des Reiches Gottes zu bringen. Kein Talent, auch nicht
das geringste, kann verborgen und ungebraucht bleiben (vgl. Mt 25,
24-27).
Der Apostel Petrus mahnt uns: »Dient einander als gute
Verwalter der vielfältigen Gnade Gottes, jeder mit der Gabe, die er empfangen
hat« (1 Petr 4, 10).
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