Aufruf und Gebet
64. Zum Abschluß dieses postsynodalen Dokumentes erinnere
ich nochmal an die Einladung des »Gutsbesitzers«, von dem das Evangelium
berichtet: Geht auch ihr in meinen Weinberg! Man kann sagen, daß die
Bedeutung der Synode über die Berufung und Sendung der Laien gerade in diesem Anruf
des Herrn Jesus an alle, insbesondere an die Laien, Männer und Frauen,
liegt.
Die Arbeiten der Synode waren für alle Teilnehmer eine
tiefe geistliche Erfahrung: Die Erfahrung einer Kirche, die im Licht und in der
Kraft des Geistes aufgeschlossen zu hören und zu unterscheiden vermag. Der
Kirche, die den erneuten Anruf ihres Herrn aufnimmt, um der Welt von heute das
Geheimnis der communio und dabei insbesondere den spezifischen kirchlichen Ort
und die spezifische Aufgabe der Laien erkennt. Die Frucht dieser Synode, die
dieses Apostolische Schreiben auf möglichst lebendige Weise in alle Kirchen auf
der weiten Welt hervorbringen möchte, wird bestimmt durch die effektive
Aufnahme, die der Anruf des Herrn beim gesamten Volk Gottes und in ihm bei den
Laien finden wird.
Darum rufe ich innigst alle und jeden einzelnen, Hirten
und Gläubige, auf, nie müde zu werden, das Bewußtsein ihrer Zugehörigkeit
zur Kirche wachzuhalten, ja immer tiefer in ihrem Geist, in ihrem Herzen
und in ihrem Leben zu verwurzeln. Es ist das Bewußtsein, Glieder der Kirche
Jesu Christi zu sein, teilzuhaben am Geheimnis seiner communio und an seiner
apostolischen und missionarischen Kraft.
Von überaus großer Bedeutung ist es, daß alle Christen
sich der außerordentlichen Würde, die ihnen durch die heilige Taufe
gewährt wurde, bewußt sind: Durch die Gnade sind wir berufen, geliebte Kinder
des Vaters, Christus und seiner Kirche eingegliedert, lebendige und heilige
Tempel des Geistes zu werden. Hören wir erneut mit dankbarer Ergriffenheit auf
die Worte des Evangelisten Johannes: »Seht, wie groß die Liebe ist, die der
Vater uns geschenkt hat: Wir heißen Kinder Gottes, und wir sind es« (1 Joh
3, 1).
Diese »Neuheit des Christlichen«, die den Gliedern der Kirche
gegeben ist, stellt für alle die Wurzel ihrer Teilhabe am priesterlichen,
prophetischen und königlichen Amt Christi sowie ihrer Berufung zur Heiligkeit
in der Liebe dar. Für die Laien kommt sie im »Weltcharakter«, der ihnen »eigen
ist«, entsprechend zum Ausdruck und zur Verwirklichung.
Das Bewußtsein der Zugehörigkeit zur Kirche schließt das
Bewußtsein der gemeinsamen christlichen Würde und das Bewußtsein der
Zugehörigkeit zum Geheimnis der Kirche als communio ein. Dieses
ist ein wesentlicher, entscheidender Aspekt für das Leben und die Sendung der
Kirche.
Das Gebet Jesu beim letzten Abendmahl gilt allen und
jedem einzelnen: »Ut unum sint!«. Es muß täglich zu einem
unverzichtbaren Programm des Lebens und Handelns werden.
Der lebendige Sinn für die communio der Kirche, für die
Gabe des Geistes, die unsere gemeinsame Antwort verlangt, wird kostbare Früchte
tragen in der Wertschätzung der reichen Vielfalt der Berufungen und
Lebenssituationen, der Charismen, Dienste, Aufgaben und Verantwortungen. Es
wird zudem Früchte tragen in der überzeugten und willigen Mitarbeit zwischen
Gruppen, Vereinigungen und Bewegungen von Laien, in der mitverantwortlichen
Erfüllung der gemeinsamen Heilssendung der Kirche. Diese communio als solche
ist schon das erste und große Zeichen der Präsenz Christi, des Erlösers, in der
Welt: Zugleich fördert und inspiriert sie die unmittelbare apostolische und
missionarische Wirksamkeit der Kirche.
An der Schwelle zum dritten Jahrtausend sollte die
gesamte Kirche, Hirten und Gläubigen ihre Verantwortung, dem Gebot Christi zu
gehorchen, tiefer spüren: »Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet das
Evangelium allen Geschöpfen« (Mk 16, 15). Die Kirche muß ihre
missionarische Kraft erneuern. Ihr ist eine anspruchsvolle und herrliche
Aufgabe anvertraut, nämlich die einer neuen Evangelisierung, derer die
heutige Welt dringend bedarf. Die Laien haben lebendigen und verantwortlichen
Anteil an ihr, weil sie berufen sind, durch ihren Dienst, der den Werten und
Rechten des Menschen sowie der Gesellschaft gilt, das Evangelium zu verkünden
und zu verwirklichen.
Die Bischofssynode, die im Oktobermonat des Marianischen
Jahres stattfand, hat ihre Arbeiten in besonderer Weise der Fürbitte Marias,
der Mutter des Erlösers anvertraut. Derselben Fürbitte vertraue ich die
geistliche Fruchtbarkeit der Ergebnisse der Synode an. Am Schluß dieses
postsynodalen Dokumentes rufe ich gemeinsam mit den Synodenvätern und den
Laien, die an der Synode teilgenommen haben, und allen anderen Gliedern des
Volkes Gottes die Jungfrau Maria an. Der Anruf wird Gebet.
O du allerseligste Jungfrau,
Mutter Christi und Mutter der Kirche,
mit Freude und Bewunderung
stimmen wir ein in dein Magnifikat,
in dein Lied dankbarer Liebe.
Mit dir danken wir Gott,
»dessen Erbarmen von Geschlecht
zu Geschlecht waltet«,
für die wunderbare Berufung
und die vielfältige Sendung der Laien.
Er hat sie berufen,
in einer Gemeinschaft der Liebe
und der Heiligkeit
mit ihm zu leben,
und als Geschwister in der großen Familie
der Kinder Gottes vereint zu sein.
Sie sind gesandt,
das Licht Christi auszustrahlen,
und das Feuer des Geistes
durch ihr Leben im Geist des Evangeliums
in der ganzen Welt zu verbreiten.
Jungfrau des Magnifikat,
erfülle ihre Herzen mit Dankbarkeit
und Begeisterung
für diese Berufung und Sendung.
Die du in Demut und Hochherzigkeit
die »Dienerin des Herrn«
geworden bist,
schenke uns deine Verfügbarkeit
für den Dienst Gottes
und das Heil der Welt.
Öffne unsere Herzen
für die endlosen Weiten
des Reiches Gottes
und der Verkündigung des Evangeliums
an alle Geschöpfe.
Dein Mutterherz
weiß um die vielfältigen Gefahren
und zahlreichen Übel,
die die Männer und Frauen
unserer Zeit bedrohen.
Aber es weiß auch
um die vielen Initiativen des Guten,
um die großen Sehnsüchte nach Werten,
um den Fortschritt auf dem Weg zum Heil.
Mutige Jungfrau,
schenke uns Seelenkraft
und Vertrauen auf Gott,
damit wir alle Hindernisse überwinden,
die sich der Erfüllung
unserer Sendung entgegenstellen.
Lehre uns, die Realitäten der Welt
mit tiefem christlichem
Verantwortungsbewußtsein
zu behandeln, in der frohen Hoffnung
auf die Ankunft des Reiches Gottes,
des neuen Himmels und der neuen Erde.
Die
du betend mit den Aposteln
im Coenaculum zusammen warst,
um auf die Ankunft des Pfingstgeistes zu warten,
erflehe, daß er sich erneut
über alle Laien ausgießt,
damit sie ihrer Berufung und Sendung
als Reben des wahren Weinstocks,
die bestellt sind,
für das Leben der Welt reiche Frucht zu tragen,
voll entsprechen.
Jungfrau
und Mutter,
führe uns und stütze uns,
damit wir immer als wahre Söhne
und Töchter der Kirche deines Sohnes leben
und so dazu beitragen,
auf Erden die Zivilisation der Wahrheit und Liebe
nach dem Wunsch Gottes
und zu seiner Ehre aufzubauen.
Amen.
Gegeben
zu Rom, bei St. Peter, am 30. Dezember, dem Fest der Heiligen Familie im Jahr
1988, dem elften meines Pontifikates.
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