Säkularismus und Bedürfnis nach
dem Religiösen
4. Die wachsende Verbreitung der religiösen
Gleichgültigkeit und des Atheismus in ihren verschiedenen
Ausprägungen, vor allem in der heute geläufìgsten Form des Säkularismus, kann
nicht ungenannt bleiben. Vom Erfolg seiner Errungenschaften und durch die
unaufhaltsame wissenschaftliche und technische Entwicklung verblendet, mehr
noch aber durch die älteste und immer neue Versuchung, im unbegrenzten Gebrauch
seiner Freiheit wie Gott sein zu wollen (vgl. Gen 3, 5) fasziniert,
reißt der Mensch die religiösen Wurzeln aus seinem Herzen. Er vergißt Gott,
betrachtet ihn als bedeutungslos für seine eigene Existenz und verwirft ihn, um
verschiedenste »Idole« anzubeten.
Das aktuelle Phänomen des Säkularismus ist in Wahrheit
ein schweres Problem: Es betrifft nicht nur den einzelnen, sondern in gewissem
Sinn auch ganze Gemeinschaften, wie es das Konzil schon herausgestellt hat:
»... breite Volksmassen (geben) das religiöse Leben praktisch auf«.(8) Ich habe
selbst schon des öfteren das Phänomen der Entchristlichung in Erinnerung
gerufen, das die Völker alt überkommener christlicher Tradition befällt und
dringendst eine neue Evangelisierung erfordert.
Und dennoch lassen sich das Suchen und das Bedürfnis
nach dem Religiösen nicht ganz aus löschen. Das Gewissen eines jeden
Menschen, der den Mut aufbringt, sich den fundamentalsten Fragen menschlicher
Existenz zu stellen, vor allem der Frage nach dem Sinn des Lebens, des Leidens
und Sterbens, kommt nicht umhin, sich das Wort der Wahrheit, das der heilige
Augustinus ausrief, anzueignen: »Auf dich hin, o Herr, hast du uns erschaffen.
Unruhig ist unser Herz, bis es ruhet in dir«.(9) So zeugt auch die heutige Welt
in immer vielfältigerer und lebendigerer Weise vom Geöffnetsein der Menschen
auf ein geistliches und transzendentes Verständnis des Lebens hin, von einer
neuen Suche nach religiösen Werten, von der Wiederkehr zum Heiligen und zum
Gebet, vom Verlangen nach der Freiheit, den Namen des Herrn anzurufen.
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