Zur Heiligkeit berufen
16. Die Würde der Laien erschließt sich uns voll, wenn
wir die erste und fundamentale Berufung betrachten, die der Vater in
Jesus Christus durch den Heiligen Geist an einen jeden von ihnen richtet: Die
Berufung zur Heiligkeit, das heißt zur Vollkommenheit in der Liebe. Der Heilige
ist das vollkommenste Zeugnis der Würde, die dem Jünger Christi verliehen
wurde.
Das II. Vatikanische Konzil hat Entscheidendes über die
universelle Berufung zur Heiligkeit gesagt. Man kann sogar behaupten, daß
dieser der wichtigste Auftrag eines Konzils, das die Erneuerung des
christlichen Lebens im Sinn des Evangeliums zum Ziel hatte(41), an alle Söhne
und Töchter der Kirche ist. Er ist nicht lediglich eine moralische Ermahnung,
sondern eine unausweichliche Forderung, die sich aus dem Geheimnis der
Kirche ergibt: Die Kirche ist der erwählte Weinstock, dessen Reben aus dem
heiligen und heiligenden Lebensstrom Christi leben; sie ist der mystische Leib,
dessen Glieder am Heiligkeitsleben des Hauptes selbst, das Christus ist,
teilnehmen; sie ist die geliebte Braut des Herrn Jesus, der sich selbst
dahingegeben hat, um sie zu heiligen (vgl. Eph 5, 25 ff.). Der Geist,
der die menschliche Natur Jesu im jungfräulichen Schoß Marias geheiligt hat
(vgl. Lk 1, 35), ist derselbe Geist, der in der Kirche
gegenwärtig und wirksam ist, um ihr die Heiligkeit des menschgewordenen
Gottessohnes mitzuteilen.
Das Gebot der Stunde geht heute mehr denn je dahin, daß
alle Christen den Weg der Erneuerung im Geist des Evangeliums begehen, um sich
hochherzig der Aufforderung des Apostels zu stellen, daß ihr »ganzes Leben
heilig« werde (1 Petr 1, 15). Zwanzig Jahre nach dem Abschluß des
Konzils hat die Außerordentliche Synode 1985 auf diese dringende Notwendigkeit
hingewiesen: »Weil die Kirche in Christus Geheimnis ist, muß sie als Zeichen
und Werkzeug der Heiligkeit verstanden werden ... In den schwierigsten
Situationen der Geschichte der Kirche standen am Ursprung der Erneuerung immer
Heilige. Heute brauchen wir notwendig Heilige, die wir uns beharrlich von Gott
erbeten müssen«.(42)
Weil sie ihre Glieder sind, empfangen und teilen alle in
der Kirche die universelle Berufung zur Heiligkeit. Auch die Laien sind ohne
den geringsten Unterschied wie die anderen Glieder der Kirche voll und ganz dazu
berufen: »Jedem ist also klar, daß alle Christgläubigen jeglichen Standes oder
Ranges zur Fülle des christlichen Lebens und zur vollkommenen Liebe berufen
sind«.(43) »Alle Christgläubigen sind also zum Streben nach Heiligkeit und
ihrem Stand entsprechender Vollkommenheit eingeladen und verpflichtet«.(44) Die
Berufung zur Heiligkeit hat in der Taufe ihre Wurzeln und wird in den
anderen Sakramenten, vor allem in der Eucharistie,erneuert. Da sie Christus
angezogen und sich vom Heiligen Geist genährt haben, sind die Christen »heilig«
und darum befähigt und verpflichtet, die Heiligkeit ihres Seins in der
Heiligkeit ihres ganzen Wirkens zu zeigen. Der Apostel Paulus wird nicht
müde, alle Christen zu ermahnen, so zu leben, »wie es sich für Heilige gehört«
(Eph 5, 3).
Das Leben nach dem Geist, dessen Frucht die Heiligung ist
(vgl. Röm 6, 22; Gal 5, 22), fordert von jedem Getauften Nachfolge
und Nachahmung Christi und befähigt ihn dazu: in der Annahme der
Seligpreisungen, im Hören und Betrachten des Wortes Gottes, in der bewußten und
aktiven Teilnahme am liturgischen und sakramentalen Leben der Kirche, im
persönlichen Gebet, im Gebet der Familie und der Gemeinschaften, im Hunger und
Durst nach der Gerechtigkeit, in der Erfüllung des Gebotes der Liebe in allen
Situationen des Lebens und im Dienst an den Brüdern, vor allem den Kleinen,
Armen und Leidenden.
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