Die Längere Sammlung Dígha Nikáya wird in drei Fächer eingereiht und enthält
die vierunddreißig uns überkommenen längeren Reden und Gespräche Gotamo
Buddhos. Der erste Band als Grundlage heißt Buch der Tugendstücke: er gibt
dreizehn Ansprachen, deren jede an einer oder der anderen Stelle die stets
gleichen Staffeln der Lehre vorträgt, nach dem Schema der ersten und zweiten
Rede. Im übrigen sind die dreizehn Unterredungen reichlich verschieden an
Inhalt und eigentümlichen Umständen im Umkreis nur einmal beschrittener Pfade
und Ausblicke. Zugleich zeigen sie uns ein recht anschauliches Bild indischer
Verhältnisse im großen antiken Zeitalter. Es sind die einzigen Urkunden dieser
Art, die da zwei Jahrtausende hindurch ungebrochen erhalten blieben, während
die Ordner der Mittleren Sammlung um die Stufen zu den Zinnen der Satzung
ehrlich auszurichten nebensächliche Dinge als Trümmer auf ihrem Wege zumeist,
und mit Recht, beiseite liegen lassen mochten. In das zweite und dritte Fach
oder Buch sind sogar mancherlei spätere und unzugehörige Ausladungen querkantig
mit verkröpft worden und als solche unschwer zu erkennen, im ersten ist der
alte geradlinige Terrassenbau auch in den Seitenflügeln mit ihren Freitreppen
bis an die Spitze noch im Geiste Gotamos, in den Umrissen wenigstens,
durchgeführt.
Über Geschichte und Alter des Kanons der Reden habe ich im Vorbericht zum
ersten Bande der Mittleren Sammlung gesprochen und nachgewiesen, daß bis in die
Zeit einer asokischen Topenstele aus dem dritten Jahrhundert nach Gotamo der
Kanon der Reden, das Suttapitakam, als Pitakam schlechthin erscheint. Kein
anderes, also kein Pitakam des 'vinayo', geschweige von einem des 'abhidhammo',
ist auf solchen ältesten Inschriften irgend ersichtlich oder erschließbar: oft
aber begegnet uns dort der 'suttantiko' und 'pañcanekáyiko', der
Kenner der Reden und Kenner der Fünf Sammlungen, und eben diese Wechselbegriffe
waren unter dem gemeinsamen Titel 'petaki', Kenner des Kanons,
zusammengefaßt. Der halb und halb aufgeteilte und endlich um noch ein Fach
vermehrte Korb ist erst lange nach Asoko, in Wort, Regel und Übersatz
auseinandergepult, zwei- und dreispältig verflochten und als Tipitakam
verbreitet worden, im ersten vorchristlichen Jahrhundert, zumal als dann
Kanerki, der tüchtige Soldatenkaiser, das Erbe der Asokiden neu erobert,
gesichert und alsbald, um auch den geistigen Etappen zu folgen, buddhistische
Brücken auf tausend und tausend Pfeilern bis nach Syrien und Griechenland und
über Tibet nach China geschlagen und den nun als Kanon anerkannten buntscheckig
angefüllten Dreikorb jedem der Völker zum Geschenk dargebracht hatte: eine Gabe,
die noch über den Ozean an Ufer geschafft wurde, von wo die Spuren in der Runde
wieder zu uns führen.
Asoko selbst, oder wie er sich nennt, Devánampiyo Piyadassi Rájá, das heißt
also Gratiadivus Gratianus rex, dieser doppelt erfahrene, merkwürdigste der
Erderoberer hat auf seinen steinernen Urkunden überall nur Stellen aus dem
Kanon der Reden, mehr oder minder wörtlich, angeführt, ausgezogen, umschrieben,
übertragen. Nachdem zumal Bühler in seiner vorzüglichen Ausgabe der Inschriften
Asokos im zweiten bis fünften Bande der Epigraphia Indica auf einige solcher
wichtigen Bestätigungen unserer Texte hingedeutet hatte, habe ich dann im Laufe
der Jahre noch etwa ein halbes Hundert dieser kostbaren und köstlichen Belege
als Kronzeugen beigebracht, die man mit Hilfe der Register zu den drei Bänden
der Mittleren Sammlung, zu den Bruchstücken der Reden und zu den Liedern der
Mönche und Nonnen leicht auffinden kann. Auch hier in der Längeren Sammlung
haben wir nun wieder Gelegenheit manche vollkräftige Probe zugunsten der alten
Hörer der Botschaft als Überlieferung durch jenen ersten und bisher
unübertroffenen weltbürgerlichen Herrscher näher zu betrachten. So bietet
namentlich die fünfte Rede ein willkommenes Musterstück für Asoko dar, nach
welchem er seine Erlässe entworfen, ausgearbeitet und in Stein gemeißelt hat;
ein ganz besonderer, sonst an keinerlei anderen Stelle gebrauchter Ausdruck,
den der König zu gleichem Zwecke angewandt hat, ist z.B. Anm. ? angegeben.
Derart unterschiedliche, wenn auch oft sehr feine Züge sind nun fast bei jeder
Rede überraschend genau einzusehen. Es werden sich freilich da noch keine
wahrnehmbaren Schwankungen der Zunge des Theravádo zeigen.
Der Text, dem die Übersetzung Silbe um Silbe nachfolgt, liegt in der Ausgabe
des Königs von Siam [Bangkok 1894] im ganzen wohlerschlossen vor, nach den
besten Handschriften mit zarter, inniger Sorgfalt überliefert (S). Nützlich
erwiesen sich zur Vergleichung der Lesarten auch die früheren Digesten und zwar
Grimblot, Sept Suttas pâlis, Paris 1876, für die erste und zweite Rede, und
Rhys Davids und Carpenter, The Dígha Nikáya, Vol. I., Pali Text Society, London
1890, für alle dreizehn Stücke, sowie der neu begonnene sinhalesische Nachdruck
des Díghanikáyo, erster Band Colombo 2447 = 1904 ©, den mir ein Freund, der
Bhikkhu Saddhánusárí in Matara, als gütiges Geschenk seiner Gabenspender
zusenden ließ. An schon angefertigten Übertragungen und Besprechungen kamen mir
vor: Gogerly zu No. 1-2, Burnouf zu No. 2, beide bei Grimblot; De Alwis zu No.
11, im Orientalist, Kandy 1891, Warren zu No. 11, Buddhism in Translations,
Cambridge, Mass., 1896; Rhys Davids, Dialogues of the Buddha, London 1899, zu
No. 1 bis 13; Samarasekeras sinhalesische Wiedergabe, Colombo 2447. Über die
Art und Weise der gegenwärtigen Arbeit sei letztens bemerkt, daß ein glatterer,
gefälligerer Ausdruck ohne Zweifel an sich erreichbar gewesen wäre und eher
gewirkt hätte, ich aber, mit den zehntausend Werkzeugen einer altbegüterten
Sprache betraut, wiederum den Versuch vorgezogen habe die indischen Töne immer
deutlicher vernehmbar nachklingen zu lassen, ob auch wohl hüben der fremde
Klang nicht selten bei einer solchen beinahe nur für das öfter geübte geistige
Ohr bestimmten Behandlung eben noch als fremder Klang und bisweilen recht
kühner und ungewohnter Einsatz empfunden werden muß. Denn was mir einmal auf
indischer Erde ein gar aufgeweckter Seidenhändler, als er erfahren, ich sei ein
Deutscher, mit lebhafter Teilnahme versichert hat: «O das Deutsche ist ganz wie
das Sanskrit, hab' ich sagen hören»: das, leider, scheint mir auch für das Pali
doch erst je nach den Lautgesetzen und Schallverhältnissen der
Gegenschwingungen und der zulänglichen Hörweite allenfalls bei trefflichem
Gelingen näherhin vergleichbar sein zu mögen.
Wien, Anfang Februar 1906. K. E. N.
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