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Ioannes Paulus PP. II Laborem exercens IntraText CT - Text |
2. Die Arbeit in der organischen Entwicklung der sozialen Aktion und Lehre der Kirche
Die Arbeit als Problem des Menschen steht eindeutig im Mittelpunkt jener »Sozialen Frage«, der in den fast hundert Jahren seit der Veröffentlichung der genannten Enzyklika die Lehre der Kirche und die vielfältigen Initiativen in besonderer Weise galten, die mit ihrer apostolischen Sendung im Zusammenhang stehen. Auf dieses Problem der Arbeit möchte ich die vorliegenden Erwägungen konzentrieren, und das auf eine Weise, die sich nicht etwa vom Bisherigen absetzt, sondern organisch an die Tradition dieser Lehre und dieser Initiativen anknüpft. Gleichzeitig halte ich mich dabei an den Rat des Evangeliums, um aus seinem Reichtum Altes und Neues hervorzuholen. Die Arbeit ist sicher etwas »Altes«, so alt wie der Mensch und sein Leben auf der Erde. Die allgemeine Situation des Menschen in der heutigen Welt, wie sie im Lichte der verschiedenen geographischen, kulturellen und zivilisatorischen Gesichtspunkte beurteilt wird, erfordert jedoch die Entdeckung der neuen Bedeutungsgehalte der menschlichen Arbeit wie auch die Formulierung der neuen Aufgaben, die auf diesem Gebiet jedem Menschen, der Familie, den einzelnen Nationen, der ganzen Menschheit und schließlich auch der Kirche gestellt sind.
Im Verlauf der Jahre seit der Veröffentlichung der Enzyklika Rerum novarum hat die soziale Frage unablässig die Aufmerksamkeit der Kirche auf sich gezogen. Das bezeugen die zahlreichen Aussagen des obersten Lehramtes sowohl der Päpste wie auch des II. Vatikanischen Konzils; das bezeugen die Verlautbarungen der einzelnen Episkopate; das bezeugt ferner die Tätigkeit der verschiedenen Zentren für Studien und für konkrete kirchliche Maßnahmen auf internationaler Ebene wie im Bereich der Ortskirchen. Es wäre schwierig, hier im einzelnen alle Zeugnisse des lebendigen Einsatzes der Kirche und der Gläubigen auf dem Gebiet der sozialen Frage aufzuzählen, da diese überaus zahlreich sind. Als eine Frucht des letzten Konzils wurde die Päpstliche Kommission »Iustitia et Pax«, für »Gerechtigkeit und Frieden«, zum wichtigsten Koordinierungszentrum auf diesem Gebiet; ihr entsprechen ähnliche Organe im Rahmen der einzelnen Bischofskonferenzen. Der Name dieses Gremiums ist sehr bedeutsam. Er bringt zum Ausdruck, daß die soziale Frage in ihrer gesamten, vielschichtigen Dimension behandelt werden muß. Der Einsatz für die Gerechtigkeit muß in engster Verbindung mit dem Einsatz für den Frieden in der heutigen Welt stehen. Sicher hat die schmerzliche Erfahrung der beiden großen Weltkriege, die in den letzten 90 Jahren viele Länder Europas und zum Teil auch anderer Kontinente erschüttert haben, für diese doppelte Zielsetzung gesprochen. Für sie spricht - besonders seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges - die andauernde Gefahr eines Atomkrieges und die erschreckende Möglichkeit einer Selbstvernichtung, die sich daraus ergibt.
Wenn wir die Hauptentwicklungslinie der Dokumente des obersten Lehramtes der Kirche verfolgen, finden wir in ihnen die ausdrückliche Bestätigung gerade dieses Problemansatzes. Die Schlüsselstellung hinsichtlich des Weltfriedens nimmt die Enzyklika Pacem in terris Johannes' XXIII. ein. Schaut man jedoch auf die Entwicklung des Problems der sozialen Gerechtigkeit, so muß man feststellen, daß sich die Lehrtätigkeit der Kirche in der Zeit zwischen den Enzykliken Rerum novarum und Quadragesimo anno von Pius XI. zunächst vor allem auf die gerechte Lösung der sogenannten Arbeiterfrage im Rahmen der einzelnen Nationen konzentriert, dann aber ihre Blickrichtung auf die ganze Welt ausweitet. Die unausgeglichene Verteilung von Reichtum und Elend, der Unterschied zwischen entwickelten und nicht entwickelten Ländern und Kontinenten fordern eine Angleichung und eine Suche nach Wegen für die gerechte Entwicklung aller. In diese Richtung geht die Lehre der Enzyklika Mater et magistra Johannes' XXIII., der Pastoralkonstitution Gaudium et spes des II. Vatikanischen Konzils und der Enzyklika Populorum progressio Pauls VI.
Diese Richtung in der Entwicklung der Lehre und des Einsatzes der Kirche in der sozialen Frage entspricht genau der objektiven Beurteilung der jeweiligen Sachlage. Rückte man früher in dieser Frage vor allem das Problem der »Klasse« in den Mittelpunkt, so ist in neuerer Zeit das Problem »der Welt« in den Vordergrund getreten. Es wird also jetzt nicht nur der Bereich der Klasse beachtet, sondern der weltweite Bereich der Unausgeglichenheiten und Ungerechtigkeiten und infolgedessen die breite Dimension der Aufgaben auf dem Weg zur Gerechtigkeit in der Welt von heute. Die umfassende Analyse der Lage der heutigen Welt hat noch tiefer und vollständiger die Bedeutung der vorhergehenden Analysen der sozialen Ungerechtigkeiten gezeigt; und diese Bedeutung muß man heute all jenen Bemühungen zugrundelegen, deren Ziel der Aufbau der Gerechtigkeit auf Erden ist, wobei man die ungerechten Strukturen nicht etwa verbirgt, wohl aber ihre Untersuchung und ihre Überwindung in eine universale Dimension stellt.