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Ioannes Paulus PP. II Laborem exercens IntraText CT - Text |
Die Kirche ist überzeugt, daß die Arbeit eine fundamentale Dimension der Existenz des Menschen auf Erden darstellt. Diese Überzeugung wird ihr auch vom Blick auf den Erkenntnisschatz der zahlreichen Wissenschaften bestätigt, deren Objekt der Mensch ist: Anthropologie, Paläontologie, Geschichte, Soziologie, Psychologie, usw.: alle scheinen diese Tatsache unwiderlegbar zu beweisen. Vor allem aber schöpft die Kirche diese ihre Überzeugung aus dem geoffenbarten Wort Gottes, wodurch ihr die Überzeugung des Verstandes zugleich zur Überzeugung des Glaubens wird. Der Grund dafür ist - und es lohnt sich, das von allem Anfang an zu beachten -, daß die Kirche an den Menschen glaubt: nicht nur im Licht der geschichtlichen Erfahrung, nicht nur mit Hilfe der verschiedenen Methoden wissenschaftlicher Erkenntnis denkt sie an den Menschen und wendet sich ihm zu, sondern in erster Linie im Licht des geoffenbarten Wortes des lebendigen Gottes. In ihrem Sprechen vom Menschen sucht sie jene ewigen Absichten und jene transzendente Bestimmung zum Ausdruck zu bringen, unter die ihn der lebendige Gott, sein Schöpfer und Erlöser, gestellt hat.
Die Kirche schöpft bereits aus den ersten Seiten des Buches Genesis die Überzeugung, daß die Arbeit eine fundamentale Dimension menschlicher Existenz auf Erden darstellt. Die Untersuchung dieser Texte macht uns bewußt, daß in ihnen - manchmal in archaischer Ausdrucksweise - die grundlegenden Wahrheiten über den Menschen bereits ausgesprochen sind, schon hier, beim Geheimnis seiner Erschaffung. Es sind dies die Wahrheiten, die von Anfang an über den Menschen entscheiden und die großen Linien seiner Existenz auf Erden ziehen, sei es im Stand der ursprünglichen Gerechtigkeit, sei es nach dem durch die Sünde verursachten Bruch des ursprünglichen Bundes zwischen dem Schöpfer und seiner Schöpfung im Menschen. Wenn dieser, »als Gottes Abbild... als Mann und Frau« geschaffen, die Worte hört: »Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde und macht sie euch untertan«, so beziehen sich diese Worte zwar nicht direkt und ausdrücklich auf die Arbeit des Menschen, weisen ihn jedoch zweifellos indirekt schon darauf hin als auf eine Tätigkeit, die er in der Welt zu verrichten hat. Ja, sie zeigen bereits ihr tiefstes Wesen auf. Der Mensch ist unter anderem deshalb Abbild Gottes, weil er von seinem Schöpfer den Auftrag empfangen hat, sich die Erde zu unterwerfen und sie zu beherrschen. Indem er diesen Auftrag erfüllt, spiegelt der Mensch und jeder Mensch das Wirken des Weltenschöpfers selber wider.
Die Arbeit - als »transitive« Tätigkeit aufgefaßt, das heißt als ein Wirken, das vom Menschen als Subjekt ausgeht und auf ein äußeres Objekt gerichtet ist - setzt eine spezifische Herrschaft des Menschen über die »Erde« voraus und bestätigt und entwickelt ihrerseits diese Herrschaft. Unter dem hier vom biblischen Text gebrauchten Ausdruck »Erde« ist natürlich zunächst jener Bruchteil des sichtbaren Universums zu verstehen, dessen Bewohner der Mensch ist; in Ausweitung davon kann man jedoch die ganze sichtbare Welt darunter verstehen, soweit sie sich innerhalb der Sphäre menschlichen Einflusses und menschlicher Suche nach Befriedigung der eigenen Bedürfnisse befindet. Die Worte »macht euch die Erde untertan« sind von ungeheurer Tragweite. Sie beziehen sich auf alle Reichtümer, welche die Erde (und indirekt die sichtbare Welt) in sich birgt und die durch bewußte Tätigkeit des Menschen entdeckt und in geeigneter Weise verwendet werden können. So bleiben diese Worte am Anfang der Bibel zu jeder Zeit aktuell. Sie schließen alle vergangenen Epochen der Zivilisation und Wirtschaft ebenso ein wie die heutige Wirklichkeit und die zukünftigen Entwicklungsphasen, die sich vielleicht zu einem gewissen Grad bereits abzeichnen, großenteils jedoch dem Menschen noch fast unbekannt und verborgen sind.
Wenn man gelegentlich von Zeiten der »Beschleunigung« im wirtschaftlichen Leben und in der Zivilisation der ganzen Menschheit oder einzelner Nationen spricht und diese »Beschleunigungen« mit dem Fortschritt der Wissenschaft und Technik und besonders mit den für das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben entscheidenden Entdeckungen in Zusammenhang bringt, so kann man gleichzeitig sagen, daß keine dieser »Beschleunigungen« über den wesentlichen Gehalt dessen hinausgeht, was jener uralte Bibeltext aussagt. Während der Mensch durch seine Arbeit immer mehr zum Herrn der Erde wird und wiederum durch die Arbeit seine Herrschaft über die sichtbare Welt festigt, bleibt er in jedem Fall und in jeder Phase dieses Prozesses auf der Linie jener ursprünglichen Weisung des Schöpfers, welche notwendig und unlösbar an die Tatsache gebunden ist, daß der Mensch als Mann und Frau »nach dem Abbild Gottes« geschaffen ist. Dieser Prozeß ist zugleich universal: er umfaßt alle Menschen, jede Generation, jede Phase der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung, und er ist gleichzeitig ein Prozeß, der sich in jedem Menschen abspielt, in jedem mit Einsicht begabten menschlichen Wesen. Er umfaßt zugleich alle und jeden einzelnen; alle und jeder einzelne nehmen in entsprechendem Maß und auf unzählige Weisen an diesem gigantischen Prozeß teil, der im »Untertan-machen der Erde« durch die Arbeit besteht.