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Ioannes Paulus PP. II Laborem exercens IntraText CT - Text |
13. Ökonomismus und Materialismus
Vor allem wird im Licht dieser Wahrheit ganz deutlich, daß man das Kapital nicht von der Arbeit trennen und man keineswegs die Arbeit und das Kapital in einen Gegensatz zueinander stellen kann, geschweige denn - wie später erläutert werden wird - die konkreten Menschen, die jeweils hinter diesen Begriffen stehen. Richtig, das heißt dem Wesen des Problems entsprechend, richtig, das heißt innerlich wahr und zugleich moralisch zulässig, kann eine Arbeitsordnung nur dann sein, wenn sie schon in ihren Grundlagen den Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital überwindet und versucht, sich nach dem oben dargelegten Prinzip des wesenhaften und effektiven Vorranges der Arbeit aufzubauen, nach dem Prinzip des Menschen als des Subjektes der Arbeit und seiner wirksamen Teilnahme am ganzen Produktionsprozeß, unabhängig von der Art der Leistungen, die der Arbeitende erbringt.
Der Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital hat seinen Ursprung nicht in der Struktur des eigentlichen Produktionsprozesses und auch nicht in jener des allgemeinen Wirtschaftsprozesses. Dieser Prozeß zeigt vielmehr eine gegenseitige Durchdringung von Arbeit und dem, was wir gewöhnlich als Kapital bezeichnen, zeigt deren unauflösbare Verbindung. In jeder Werkstätte, sei sie verhältnismäßig einfach oder auch ultramodern, kann sich der Mensch leicht darüber klar werden, daß er mit seiner Arbeit in ein doppeltes Erbe eintritt, in jenes, das die allen Menschen gegebenen Naturschätze bilden, und in jenes, das andere schon vor ihm aus diesen Naturschätzen erarbeitet haben vor allem durch die Entwicklung der Technik, nämlich durch die Herstellung immer vollkommenerer Arbeitsgeräte: arbeitend tritt der Mensch zugleich in die Arbeit anderer ein. Vom Verstand und auch von unserem aus dem Wort Gottes erleuchteten Glauben her nehmen wir ohne Schwierigkeiten ein solches Bild vom Schauplatz und vom Prozeß menschlicher Arbeit an. Es ist ein vollständiges, Gott und den Menschen einbeziehendes Bild. Der Mensch ist darin »Herr« der Geschöpfe, die in der sichtbaren Welt seiner Verfügung unterstellt sind. Wenn im Lauf des Arbeitsprozesses eine Abhängigkeit aufscheint, so ist es die Abhängigkeit vom Geber aller guten Gaben der Schöpfung und dazu diejenige von anderen Menschen, deren Arbeit und Initiative wir unsere bereits vervollkommneten und erweiterten Arbeitsmöglichkeiten verdanken. Von alledem, was im Produktionsprozeß eine Summe von »Sachen« darstellt, von den Instrumenten und vom Kapital, können wir nur sagen, daß es die Arbeit des Menschen »bedingt«, nicht aber, daß es gleichsam ein anonymes »Subjekt« bildet, von dem der Mensch und seine Arbeit abhängig wären.
Das Zerbrechen dieses vollständigen Bildes, in dem das Prinzip des Primates der Person über die Sachen voll zur Geltung kommt, hat sich im menschlichen Denken vollzogen - manchmal nach einer langen, unterschwelligen Vorbereitung im praktischen Leben -, und zwar dergestalt, daß die Arbeit vom Kapital getrennt und beide in einen Gegensatz zueinander gestellt wurden, als ob es sich um zwei anonyme Kräfte handle, um zwei Produktionsfaktoren, beide von derselben »ökonomistischen« Betrachtungsweise nebeneinander gesetzt. Ein solcher Problemansatz enthielt den grundlegenden Irrtum, den man als Irrtum des Ökonomismus bezeichnen kann, wenn er die menschliche Arbeit ausschließlich nach ihrer wirtschaftlichen Zielsetzung betrachtet. Man kann und muß diesen fundamentalen Irrtum des Denkens auch einen Irrtum des Materialismus nennen, insofern der Ökonomismus direkt oder indirekt die Überzeugung vom Primat und Vorrang des Materiellen enthält, während er das Geistige und Personhafte (das Wirken des Menschen, die moralischen Werte und ähnliches) direkt oder indirekt der materiellen Wirklichkeit unterordnet. Das ist noch nicht der theoretische Materialismus im Vollsinn des Wortes, aber sicher schon ein praktischer Materialismus, der nicht so sehr wegen seiner aus der materialistischen Theorie abgeleiteten Voraussetzungen für fähig gehalten wird, die Bedürfnisse des Menschen zu erfüllen, sondern aufgrund einer bestimmten Art zu werten, also aufgrund einer gewissen auf die unmittelbare und größere Anziehungskraft des Materiellen gegründeten Rangordnung der Werte. Das irrige Denken nach den Kategorien des Ökonomismus ging Hand in Hand mit dem Auftauchen der materialistischen Philosophie und mit ihrer Entwicklung von der mehr elementaren und allgemeinen Phase (auch Vulgärmaterialismus genannt, weil er beansprucht, die geistige Wirklichkeit zu einem überflüssigen Phänomen zu machen) zur Phase des sogenannten dialektischen Materialismus. Allerdings scheint es, daß - im Rahmen der vorliegenden Erwägungen - der Ökonomismus für das grundlegende Problem der menschlichen Arbeit und insbesondere für jene Trennung und Gegenüberstellung von »Arbeit« und »Kapital« als zwei Produktionsfaktoren, die man beide nur in der oben genannten ökonomistischen Weise sehen wollte, von entscheidender Bedeutung war und gerade diesen inhumanen Problemansatz noch vor dem philosophischen System des Materialismus geprägt hat. Doch ist offensichtlich auch der Materialismus nicht in der Lage, auch nicht in seiner dialektischen Form, der Reflexion über die menschliche Arbeit hinreichende und entscheidende Grundlagen zu bieten, durch die er dem Vorrang des Menschen vor dem Instrument »Kapital«, dem Vorrang der Person vor der Sache eine angemessene und unwiderlegbare Begründung und Stütze geben könnte. Auch im dialektischen Materialismus ist der Mensch nicht in erster Linie Subjekt der Arbeit und Wirkursache des Produktionsprozesses, sondern wird in Abhängigkeit vom Materiellen gesehen und behandelt, als eine Art »Ergebnis« der die betreffende Zeit prägenden Wirtschafts - und Produktionsverhältnisse.
Selbstverständlich nimmt der Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital, von dem hier die Rede ist - der Gegensatz, der die Arbeit vom Kapital trennt und diesem wie ein eigenes »Ding« gegenüberstellt, als wäre sie irgendein beliebiges Element des wirtschaftlichen Prozesses -, nicht nur in der Philosophie und in den Wirtschaftstheorien des 18. Jahrhunderts seinen Anfang, sondern viel mehr noch in der gesamten wirtschaftlich-sozialen Praxis jener Zeit der beginnenden und rasch fortschreitenden Industrialisierung, bei der man vor allem die Möglichkeit einer starken Vermehrung der materiellen Reichtümer, also der Mittel, entdeckte, während man das Ziel, den Menschen, dem diese Mittel dienen müssen, aus dem Auge verlor. Gerade dieser praktische Irrtum hat vor allem die menschliche Arbeit, den arbeitenden Menschen getroffen und die ethisch gerechtfertigte Reaktion verursacht, von der bereits die Rede war. Der gleiche Irrtum, der nun bereits sein bestimmtes, mit dieser Zeit des ersten Kapitalismus und des Liberalismus verbundenes historisches Profil hat, kann sich unter anderen zeitlichen und örtlichen Umständen wiederholen, wenn man bei der Reflexion von den gleichen theoretischen und praktischen Voraussetzungen ausgeht. Eine radikale Überwindung dieses Irrtums erscheint unmöglich, solange es nicht zu angemessenen Änderungen kommt sowohl auf theoretischem wie auch auf praktischem Gebiet, Änderungen auf der Linie einer entschiedenen Überzeugung vom Primat der Person über die Sache, der menschlichen Arbeit über das Kapital als die Gesamtheit der Produktionsmittel.