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Ioannes Paulus PP. II
Veritatis splendor

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Unsere Verantwortlichkeiten als Hirten

114. Die Verantwortung gegenüber dem Glauben und dem Glaubensleben des Volkes Gottes lastet ganz besonders und wesentlich auf den Bischöfen, woran uns das II. Vatikanische Konzil erinnert: »Unter den hauptsächlichsten Ämtern der Bischöfe hat die Verkündigung des Evangeliums einen hervorragenden Platz. Denn die Bischöfe sind Glaubensboten, die Christus neue Jünger zuführen; sie sind authentische, das heißt mit der Autorität Christi ausgerüstete Lehrer. Sie verkündigen dem ihnen anvertrauten Volk die Botschaft zum Glauben und zur Anwendung auf das sittliche Leben und erklären sie im Licht des Heiligen Geistes, indem sie aus dem Schatz der Offenbarung Neues und Altes vorbringen (vgl. Mt 13, 52). So lassen sie den Glauben fruchtbar werden und halten die ihrer Herde drohenden Irrtümer wachsam fern (vgl. 2 Tim 4, 14)«.

Es ist unsere gemeinsame Pflicht und zuvor noch unsere gemeinsame Gnade, als Hirten und Bischöfe der Kirche die Gläubigen das zu lehren, was sie auf den Weg des Herrn führt, so wie es einst der Herr Jesus mit dem jungen Mann des Evangeliums gemacht hat. In der Antwort auf seine Frage: »Was muß ich Gutes tun, um das ewige Leben zu gewinnen?« hat Jesus auf Gott, den Herrn der Schöpfung und des Bundes, verwiesen; er hat die bereits im Alten Testament geoffenbarten sittlichen Gebote in Erinnerung gerufen; er hat auf deren Geist und Radikalität hingedeutet, als er ihn zur Nachfolge in Armut, Demut und Liebe aufforderte: »Komm und folge mir nach!«. Die Wahrheit dieser Lehre hat ihr Siegel am Kreuz im Blut Christi ausgedrückt erhalten: Sie ist im Heiligen Geist zum neuen Gesetz der Kirche und jedes Christen geworden.

Diese »Antwort« auf die Fragen der Moral wird von Jesus Christus in besonderer Weise uns Bischöfen der Kirche anvertraut, die wir aufgerufen sind, sie zum Gegenstand unserer Unterweisung zu machen, anvertraut in der Erfüllung unseres munus propheticum. Zugleich muß sich unsere Verantwortung als Hirten gegenüber der christlichen Sittenlehre auch in der Form des munus sacerdotale erfüllen: Das geschieht, wenn wir den Gläubigen die Gaben der Gnade und Heiligung spenden als Mittel zum Gehorsam gegenüber dem heiligen Gesetz Gottes und wenn wir durch unser ständiges und vertrauensvolles Gebet die Gläubigen stärken, damit sie den Anforderungen des Glaubens treu sind und dem Evangelium gemäß leben (vgl. Kol 1, 9-12). Die christliche Sittenlehre muß vor allem heute einen der bevorzugten Bereiche unserer pastoralen Wachsamkeit, der Ausübung unseres munus regale, bilden.

115. Es ist in der Tat das erste Mal, daß das Lehramt der Kirche die Grundelemente dieser Lehre mit einer gewissen Ausführlichkeit darlegt und die Erfordernisse der in komplexen und mitunter kritischen praktischen und kulturellen Situationen absolut notwendigen pastoralen Unterscheidung aufzeigt.

Im Licht der Offenbarung und der beständigen Lehre der Kirche und insbesondere des II. Vatikanischen Konzils habe ich kurz an die wesentlichen Züge der Freiheit, die mit der Würde der menschlichen Person und mit der Wahrheit ihrer Handlungen verbundenen Grundwerte in Erinnerung gerufen, um so im Gehorsam gegenüber dem Sittengesetz eine Gnade und ein Zeichen unserer Gotteskindschaft in dem einen Sohn (vgl. Eph 1, 4-6) erkennen zu können. Insbesondere werden mit dieser Enzyklika Bewertungen einiger gegenwärtiger Tendenzen der Moraltheologie vorgelegt. Diese teile ich hier mit im Gehorsam gegenüber dem Wort des Herrn, der Petrus beauftragt hat, seine Brüder zu stärken (vgl. Lk 22, 32), zur Erleuchtung und Hilfe für unsere gemeinsame Aufgabe der Unterscheidung der Geister.

Jeder von uns weiß um die Bedeutung der Lehre, die den Kern dieser Enzyklika darstellt und an die heute mit der Autorität des Nachfolgers Petri erinnert wird. Jeder von uns kann den Ernst dessen spüren, worum es mit der erneuten Bekräftigung der Universalität und Unveränderlichkeit der sittlichen Gebote und insbesondere derjenigen, die immer und ohne Ausnahme in sich schlechte Akte verbieten, nicht nur für die einzelnen Personen, sondern für die ganze Gesellschaft geht.

In Anerkenntnis dieser Gebote vernehmen das Herz des Christen und unsere pastorale Liebe den Anruf dessen, der »uns zuerst geliebt hat« (1 Joh 4, 19). Gott verlangt von uns, heilig zu sein, wie er heilig ist (vgl. Lev 19, 2), vollkommen zu sein - in Christus -, wie er vollkommen ist (vgl. Mt 5, 48): Die anspruchsvolle Festigkeit des Gebotes beruht auf der unerschöpflichen barmherzigen Liebe Gottes (vgl. Lk 6, 36), und das Ziel des Gebotes ist es, uns mit der Gnade Christi auf den Weg der Fülle des Lebens der Kinder Gottes zu führen.

116. Wir haben als Bischöfe die Pflicht, darüber zu wachen, daß das Wort Gottes zuverlässig gelehrt wird. Meine Mitbrüder im Bischofsamt, es gehört zu unserem Hirtenamt, über die getreue Weitergabe dieser Morallehre zu wachen und die passenden Maßnahmen zu ergreifen, damit die Gläubigen vor jeder Lehre und Theorie, die ihr widersprechen, geschützt werden. In dieser Aufgabe werden wir alle von den Theologen unterstützt; die theologischen Meinungen bilden jedoch weder die Regel noch die Norm für unsere Lehre. Ihre Autorität beruht, mit dem Beistand des Heiligen Geistes und in der Gemeinschaft cum Petro et sub Petro, auf unserer Treue zu dem von den Aposteln empfangenen katholischen Glauben. Als Bischöfe haben wir die schwerwiegende Verpflichtung, persönlich darüber zu wachen, daß in unseren Diözesen die »gesunde Lehre« (1 Tim 1, 10) des Glaubens und der Moral gelehrt wird.

Eine besondere Verantwortung obliegt den Bischöfen im Hinblick auf diekatholischen Institutionen. Ob es sich um Organe für die Familien-oder Sozialpastoral oder um Einrichtungen handelt, die sich dem Unterricht oder der medizinischen Betreuung und Krankenpflege widmen, die Bischöfe können diese Strukturen errichten und anerkennen und ihnen eine Reihe von Verantwortlichkeiten übertragen; das entbindet sie jedoch niemals von ihren eigenen Verpflichtungen. Sie haben gemeinsam mit dem Heiligen Stuhl die Aufgabe, Schulen, Universitäten, Krankenhäusern sowie anderen medizinischen und sozialen Einrichtungen, die sich auf die Kirche berufen, die Bezeichnung »katholisch« zuzuerkennen oder, in Fällen schwerwiegender Nichtübereinstimmung, abzuerkennen.

117. Im Herzen des Christen, in der verborgensten Mitte des Menschen, klingt immer wieder die Frage an, die eines Tages der junge Mann des Evangeliums an Jesus richtete: »Meister, was muß ich Gutes tun, um das ewige Leben zu gewinnen?« (Mt 19, 16). Es ist freilich notwendig, daß ein jeder diese Frage an den »guten« Meister richtet, denn er ist der Einzige, der in jeder Situation, unter den verschiedensten Umständen im Vollbesitz der Wahrheit zu antworten vermag. Und wenn Christen an ihn die Frage richten, die aus ihrem Gewissen aufsteigt, antwortet der Herr mit den Worten des Neuen Bundes, die er seiner Kirche anvertraut hat. Wir sind nun einmal, wie der Apostel von sich sagt, gesandt, »das Evangelium zu verkünden, aber nicht mit gewandten und klugen Worten, damit das Kreuz Christi nicht um seine Kraft gebracht wird« (1 Kor 1, 17). Darum besitzt die Antwort der Kirche auf die Frage des Menschen die Weisheit und Macht des gekreuzigten Christus, die sich hingebende Wahrheit.

Wenn die Menschen der Kirche Gewissensfragen stellen, wenn sich in der Kirche die Gläubigen an die Bischöfe und Hirten wenden, dann findet sich in der Antwort der Kirche die Stimme Jesu Christi, die Stimme der Wahrheit über Gut und Böse. In dem von der Kirche verkündeten Wort erklingt im Innersten der Menschen die Stimme Gottes, der »allein der Gute« (Mt 19, 17), der allein »die Liebe« (1 Joh 4, 8.16) ist.

Dieses zugleich liebenswürdige wie auch anspruchsvolle Wort wird in der Salbung mit dem Geist zu Licht und Leben für den Menschen. Wiederum ist es der Apostel Paulus, der uns einlädt, Vertrauen zu haben, denn »unsere Befähigung stammt von Gott. Er hat uns fähig gemacht, Diener des Neuen Bundes zu sein, nicht des Buchstabens, sondern des Geistes... Der Herr aber ist der Geist, und wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit. Wir alle spiegeln mit enthülltem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wider und werden so in sein eigenes Bild verwandelt, von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, durch den Geist des Herrn« (2 Kor 3, 5-6. 17-18).




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