3. Pastorale Orientierungshilfen der
Beichtväter
1. Was das Verhalten
gegenüber Pönitenten bezüglich der verantwortlichen Elternschaft
anlangt, so hat der Beichtvater vier Aspekte zu berücksichtigen: a)
das Vorbild des Herrn, der fähig ist, »sich über jeden verlorenen
Sohn zu beugen, über jedes menschliche Elend, vor allem über das
moralische Elend: die Sünde«;36 b) Umsicht und Klugheit
beim Stellen von Fragen, die derartige Sünden betreffen; c) Hilfe
und Ermutigung dem Beichtenden gegenüber, damit dieser zu
hinlänglicher Reue gelangt und seine schweren Sünden vollständig
bekennt; d) die geeigneten Ratschläge, welche alle Menschen
schrittweise auf dem Weg der Heiligkeit vorankommen lassen.
2.
Der Spender des Sakraments der Vergebung
sei sich stets bewubt, dab die Beichte für Männer und Frauen
eingesetzt wurde, die Sünder sind. Sofern kein offensichtlicher Beweis
für das Gegenteil vorliegt, wird er daher die Sünder, die den
Beichtstuhl betreten, in der Annahme empfangen, dab sie guten Willens sind,
sich mit dem barmherzigen Gott auszusöhnen. Dieser gute Wille geht, wenn
auch in unterschiedlichen Graden, aus einem reuigen und demütigen
Herzen (Ps 51[50],19) hervor. 37
3.
Wenn ein Pönitent das Sakrament
empfangen will, der seit langer Zeit nicht mehr gebeichtet hat und eine
generell schwerwiegende Situation erkennen läbt, ist es angezeigt, bevor
man direkte und konkrete Fragen bezüglich der verantwortlichen Zeugung von
Nachkommenschaft sowie der Keuschheit im allgemeinen stellt, ihm dahingehend zu
helfen, dab er diese Gebote aus der Sicht des Glaubens verstehen kann. Es wird
daher nötig sein, falls das Bekenntnis der Sünden zu knapp oder
mechanisch gewesen ist, den Beichtenden dabei zu unterstützen, sein ganzes
Leben im Angesicht Gottes neu zu sehen; es wird weiterhin nötig sein,
mittels allgemeiner Fragen über die verschiedenen Tugenden und
Verpflichtungen entsprechend den persönlichen Umständen des
Betroffenen38 ausdrücklich die Berufung zur Heiligkeit der Liebe
und die Bedeutung der Pflichten hinsichtlich der Zeugung und der Erziehung von
Kindern zu erwähnen.
4.
Wenn seinerseits der Pönitent Fragen stellt oder nach Klärung
konkreter Punkte — sei es auch nur implizit — verlangt, mub der Beichtvater in
entsprechender Weise antworten, jedoch stets mit Klugheit und Diskretion,
39 und ohne falsche Meinungen gutzuheiben.
5.
Hinsichtlich der objektiv schweren
Sünden ist der Beichtvater gehalten, die Beichtenden zu ermahnen und
darauf hinzuwirken, dab sie beim Verlangen nach Lossprechung und Vergebung
seitens des Herrn den Vorsatz fassen, ihr Verhalten zu überdenken und zu
korrigieren. Die Rückfälligkeit in die Sünden der
Empfängnisverhütung ist an sich kein Grund, die Absolution zu
verweigern; diese kann jedoch nicht erteilt werden, wenn es an ausreichender
Reue oder am Vorsatz, nicht erneut zu sündigen, fehlt. 40
6.
Ein Pönitent, der regelmäbig
bei demselben Priester beichtet, erwartet oft mehr als die blobe Lossprechung.
In diesem Fall soll sich der Beichtvater darum bemühen, dem
Pönitenten Orientierungshilfen zu geben, um ihn in seinem Bemühen zu
unterstützen, in allen christlichen Tugenden und folglich auch in der
Heiligung des Ehelebens voranzuschreiten. Diese Aufgabe wird dort umso leichter
gelingen, wo ein Verhältnis echter geistlicher Leitung besteht, wenn sie
auch nicht ausdrücklich als solche bezeichnet wird. 41
7.
Das Sakrament der Vergebung verlangt
seitens des Pönitenten aufrichtige Reue, das formal vollständige
Bekenntnis aller Todsünden und den Vorsatz, mit der Hilfe Gottes nicht mehr
in die Sünde zurückzufallen. Im allgemeinen besteht keine
Notwendigkeit, dab der Beichtvater eingehendere Fragen bezüglich all jener
Sünden stellt, die aufgrund von unüberwindlicher Unkenntnis ihrer
moralischen Sündhaftigkeit oder aufgrund eines schuldfreien Fehlurteils
begangen worden sind. Obwohl allerdings derartige Sünden moralisch nicht
anrechenbar sind, so stellen sie doch ein Übel und eine Unordnung dar. Das
gilt auch für die objektive moralische Sündhaftigkeit der
Empfängnisverhütung: diese führt in das Eheleben der Gatten
eine schlechte Gewohnheit ein. Es ist daher nötig, sich auf möglichst
geeignete Weise dafür einzusetzen, das moralische Gewissen von diesen
Irrtümern42 zu befreien, die im Widerspruch zur Natur der Ganzhingabe
des Ehelebens stehen.
Wiewohl man sich der Tatsache bewubt sein
mub, dab die Gewissensbildung vor allem in der Katechese — sei es in der
allgemeinen, sei es in der speziell für Eheleute bestimmten — ihren Platz
hat, so besteht doch immer die Notwendigkeit, die Eheleute auch im Sakrament
der Versöhnung anzuleiten, sich in bezug auf die spezifischen Pflichten
des Ehelebens zu prüfen. Falls sich der Beichtvater verpflichtet sieht,
den Pönitenten zu befragen, so möge er dies mit Diskretion und Respekt
tun.
8.
Zweifelsohne ist auch in bezug auf die
eheliche Keuschheit jenes Prinzip immer als gültig anzusehen, demzufolge
es vorzuziehen ist, den Pönitenten in gutem Glauben zu belassen, falls ein
auf subjektiv unüberwindliche Unwissenheit zurückzuführender Irrtum
vorliegt, und es abzusehen ist, dab der Pönitent, wenngleich unterwiesen,
ein Leben des Glaubens zu führen, sein Verhalten nicht ändern
würde, sondern vielmehr auch in formaler Hinsicht sündigen
würde. Jedoch hat auch in solchen Fällen der Beichtvater sich darum
zu bemühen, die Beichtenden immer mehr dahingehend zu fördern, dab
sie in ihrem Leben den Plan Gottes annehmen, auch was die Forderungen der
ehelichen Keuschheit angeht. Zu diesem Zweck kann der Beichtvater dem
Pönitenten das Gebet empfehlen, ihn zur Gewissensbildung auffordern oder
ihm eine gründlichere Kenntnis der kirchlichen Lehre anraten.
9.
Das »Gesetz der Gradualität« darf
in der pastoralen Tätigkeit nicht mit einer »Gradualität des
Gesetzes« verwechselt werden, welche darauf aus ist, dessen Anforderungen zu
mindern. Es besteht vielmehr in der Forderung nach einer entschiedenen
Abwendung von der Sünde und einem stetigen Voranschreiten in
Richtung auf die vollständige Vereinigung mit dem Willen Gottes und dessen
liebenswerten Geboten. 43
10.
Dagegen ist es unzulässig, die
eigene Schwäche zum Kriterium für die sittliche Wahrheit zu machen.
Seit der ersten Verkündigung des Wortes Jesu ist sich der Christ des
»Mibverhältnisses« zwischen dem Moralgesetz — dem natürlichen wie dem
des Evangeliums — und der menschlichen Fähigkeit bewubt. Zugleich begreift
er, dab der notwendige und sichere Weg, die Pforten der göttlichen
Barmherzigkeit zu öffnen, über die Erkenntnis der eigenen Schwäche
führt. 44
11.
Dem Büber, der nach einem schweren
Verstob gegen die eheliche Keuschheit Reue zeigt und ungeachtet der
Rückfälle gewillt ist, in Zukunft gegen die Sünde zu
kämpfen, werde die sakramentale Lossprechung nicht verweigert. Der Beichtvater
soll es vermeiden, mangelndes Vertrauen in die Gnade Gottes oder in die
Bereitwilligkeit des Pönitenten zu bekunden, und wird es daher
unterlassen, absolute Garantien über das zukünftige untadelige
Verhalten45 zu fordern, zumal diese nicht menschenmöglich sind;
dies entspricht der anerkannten Lehre und der von den heiligen Kirchenlehrern
und Beichtvätern gepflogenen Praxis bei habituellen Sündern.
12.
Läbt der Pönitent die
Bereitschaft erkennen, die Sittenlehre der Kirche anzunehmen — besonders dann,
wenn er regelmäbig das Bubsakrament empfängt und Vertrauen in dessen
geistliche Hilfe zeigt —, so ist es von Nutzen, in ihm das Vertrauen in die
Vorsehung zu wecken und ihm dabei zu helfen, sich in ehrlicher Weise vor Gottes
Angesicht zu prüfen. Zu diesem Zweck empfiehlt es sich, sowohl die
Gründe für das Einschränken der Vater- bzw. Mutterschaft als
auch die Zulässigkeit der zur Familienplanung verwendeten Mittel zu
überprüfen.
13.
Eine besondere Schwierigkeit ergibt sich
bei Fällen von Beihilfe zur Sünde des Ehegatten, wenn jener
willentlichdie Unfruchtbarkeit der ehelichen Vereinigung herbeiführt. Hier
gilt es zunächst, zwischen Beihilfe im eigentlichen Sinn und
Gewaltanwendung bzw. ungerechter Nötigung zu unterscheiden, denen sich der
andere Ehepartner faktisch nicht widersetzen kann. 46, 561).] Eine derartige Beihilfe kann zulässig
sein, wenn die drei folgenden Bedingungen zugleich gegeben sind:
Das Tun des Beihilfe leistenden Gatten darf nicht an sich moralisch
unerlaubt sein. 47
Es müssen entsprechend schwerwiegende Gründe für die
Beihilfe zur Sünde des Gatten vorliegen.
Es mub das Bestreben vorhanden sein, dem Gatten dahingehend zu
helfen, dab er von seinem Verhalten abläbt (auf geduldige Weise, mittels
des Gebets, der Liebe und des Gesprächs; nicht notwendigerweise im
Moment der Tat selbst und auch nicht bei jedem Anlab).
14. Eine derartige Beihilfe ist nicht gestattet, wenn
Mittel mit abtreibender Wirkung zur Anwendung gelangen. Darüber hinaus ist
die Mitwirkung zum Bösen entsprechend zu beurteilen, wenn Mittel verwendet
werden, die eine mögliche abtreibende Wirkung haben. 48
15. Die christlichen Eheleute sind Zeugen der Liebe
Gottes in der Welt. Sie müssen daher Dank des Glaubens auch entgegen der
Erfahrung menschlicher Schwäche davon überzeugt sein, dab es mit
Hilfe der Gnade Gottes möglich ist, den Willen des Herrn im Eheleben zu
befolgen. Die häufige und beständige Zuflucht zum Gebet, zur
Eucharistie und zur Beichte sind für das Erlangen der Selbstbeherrschung
unabdingbar. 49
16. Von den Priestern wird erwartet, dab sie — in
vollständiger Treue zum Lehramt der Kirche — in der Katechese und in der
Ehevorbereitung sowohl bei der Unterweisung als auch bei der Spendung des
Sakraments der Versöhnung, einheitliche Kriterien über die moralische
Sündhaftigkeit der Empfängnisverhütung zur Anwendung bringen.
Die
Bischöfe mögen diesbezüglich besondere Sorge walten lassen;
nicht selten erregt ein derartiger Mangel an Einheit in der Katechese und bei
der Spendung des Sakraments der Versöhnung bei den Gläubigen Anstob. 50
17. Eine solche Pastoral der
Beichte ist dann umso wirkungsvoller, wenn sie mit einer beständigen und
flächendeckenden Katechese einhergeht, welche die christliche Berufung zur
ehelichen Liebe und deren Dimensionen von Freude und Anforderung, Gnade und
persönlicher Verpflichtung zum Thema hat; 51 und wenn geeignete
Berater und Zentren zur Verfügung stehen, die der Beichtvater dem
Pönitenten zur korrekten Information über die natürlichen
Methoden empfehlen kann.
18. Um die praktische Anwendung der sittlichen Gebote
hinsichtlich der verantwortlichen Elternschaft zu ermöglichen, mub die
unschätzbare Tätigkeit der Beichtväter durch die Katechese
vervollständigt werden. Dazu gehört eine gründliche
Aufklärung über die Schwere der Sünde der Abtreibung. 52
19. Was die Lossprechung von der Sünde der Abtreibung
betrifft, so besteht immer die Verpflichtung zur Berücksichtigung der
kanonischen Richtlinien. Im Falle aufrichtiger Reue und wenn es schwierig sein
sollte, den Pönitenten an die zuständige Autorität zu verweisen,
der die Aufhebung der Zensur vorbehalten ist, kann jeder Beichtvater gemäb
Can. 1357 die Absolution erteilen, eine entsprechende Bube auferlegen und den
Pönitenten auf die Rekurspflicht hinweisen, eventuell verbunden mit dem
Angebot, dieser selbst nachzukommen bzw. den Rekurs weiterzuleiten. 53
[ETML/S/RM:parte.Shluss]
SCHLUSSBEMERKUNG
Die
Kirche sieht es gerade in der Welt von heute als eine ihrer vorrangigen
Aufgaben an, das Geheimnis der Barmherzigkeit, welches sich am deutlichsten in
der Person Jesu Christi offenbart hat, zu verkünden und in das Leben des
einzelnen zu integrieren. 54
Der
Ort schlechthin für diese Verkündigung und die Erfüllung der
Barmherzigkeit ist die Feier des Sakraments der Vergebung.
Gerade
dieses erste Jahr des Trienniums zur Vorbereitung auf das Dritte Jahrtausend,
das Jesus Christus, dem alleinigen Retter der Welt, gestern, heute und in
Ewigkeit (vgl. Hebr 13,8) gewidmet ist, kann eine grobartige
Gelegenheit für die pastorale Eingliederung dieser Lehre in die heutige
Zeit und deren katechetische Vertiefung in den Diözesen sowie speziell an
den Wallfahrtsorten bieten, wo sich viele Pilger versammeln, und wo das
Sakrament der Versöhnung wegen der zahlreich vorhandenen Beichtväter
in besonders reichem Mabe gespendet wird.
Die
Priester seien stets vollständig für diesen Dienst verfügbar,
von dem sowohl die ewige Seligkeit der Ehegatten als auch zum groben Teil ihr
Glück im jetzigen Leben abhängt; mögen die Priester ihnen
wahrhaft lebendige Zeugen der Barmherzigkeit des Vaters sein!
Vatikanstadt,
den 12. Februar 1997.
Alfonso Kardinal López Trujillo
Präsident des Päpstlichen Rates
für die Familie
+ Francisco Gil Hellín
Sekretär
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