EINLEITUNG
"Congregavit
nos in unum Christi amor"
1. Die Liebe Christi hat eine
große Zahl von Jüngern zusammengeführt, damit sie untereinander eins seien, und
damit sie, wie Er und durch Ihn, im Geist, über die Jahrhunderte hin eine
Antwort auf die Liebe des Vaters geben, indem sie "aus ganzem Herzen, aus
ganzer Seele und mit allen ihren Kräften" (vgl. Dt 6,5) Ihn lieben, und
den Nächsten "wie sich selbst" (vgl. Mt 22,39).
Unter diesen Jüngern stellen
jene, die in den Ordensgemeinschaften zusammenleben, Männer und Frauen
"aus allen Sprachen, Rassen, Völkern und Stämmen" (vgl. Offb. 7,9),
bis heute einen besonders aussagekräftigen Ausdruck dieser großen, grenzenlosen
Liebe dar. Nicht "aus dem Willen des Fleisches oder Blutes", nicht
aus persönlicher Sympathie oder aus menschlichen Motiven, sondern "von
Gott" (vgl. Joh 1,13), von einer göttlichen Berufung angezogen, sind die
Ordensgemeinschaften ein lebendiges Zeichen für den Vorrang der Liebe Gottes,
der Wunderbares wirkt, und für die Liebe zu Gott und den Brüdern und
Schwestern, so wie Christus sie aufgezeigt und vorgelebt hat.
Angesichts ihrer Bedeutung für
das Leben und für die Heiligkeit der Kirche ist es wichtig, das Leben der
konkreten Ordensgemeinschaften zu überprüfen, seien sie monastisch und
kontemplativ oder apostolisch tätig, und zwar unter Berücksichtigung ihrer
jeweiligen Eigenart. Was hier über die Ordensgemeinschaften gesagt wird, gilt
gleicherweise auch für die Gemeinschaften der Gesellschaften des apostolischen
Lebens, immer unter Berücksichtigung ihrer Eigenart und Rechtsordnung.
a) Das Thema dieses Dokumentes
geht von einer Tatsache aus: In vielen Ländern hat sich das Erscheinungsbild
des "brüderlichen, gemeinsamen Lebens", im Vergleich zur
Vergangenheit, in vielem verändert. Diese Veränderungen wie auch die Hoffnungen
und Enttäuschungen, die bis heute diesen Wandlungsprozeß begleiten, rufen nach
einer Neubesinnung im Lichte des II. Vatikanischen Konzils. Sie haben zu positiven,
aber auch zu umstrittenen Ergebnissen geführt. Sie haben nicht wenige Werte des
Evangeliums neu ins Licht gerückt und den Ordensgemeinschaften neue Vitalität
geschenkt. Sie haben jedoch auch Fragen geweckt, weil sie einige der typischen
Elemente des brüderlichen Lebens in Gemeinschaft verdunkelt haben. In einigen
Gegenden scheint die Ordensgemeinschaft sogar in den Augen der Ordensmänner und
Ordensfrauen an Bedeutung verloren zu haben und womöglich nicht mehr ein
erstrebenswertes Ideal zu sein.
Mit der Gelassenheit und Unruhe
dessen, der den Willen Gottes sucht, wollten viele Ordensgemeinschaften diesen
Wandlungsprozeß auswerten, um der eigenen Berufung im Gottesvolk besser zu
entsprechen.
b) Viele Faktoren haben diese
Veränderungen mitbestimmt, und dies vor unseren Augen: - Die "ständige
Rückkehr zu den Quellen jedes christlichen Lebens und zum
Geist des Ursprungs der einzelnen
Institute",(1) oder anders gesagt, die tiefere und umfassendere
Begegnung mit dem Evangelium und mit dem ersten Aufbrechen des
Gründungscharismas war ein kraftvoller Anstoß zur Aneignung des wahren Geistes
der Brüderlichkeit, und zu jenen Strukturen und Verhaltensweisen, die ihn
überzeugend ausdrücken sollen. Dort, wo die Begegnung mit diesen Quellen und
mit der ursprünglichen Inspiration nur unvollständig oder mit halbem Herzen
geschah, war das brüderliche Leben vielfach gefährdet und verblaßte.
- Dieser Prozeß hat sich jedoch
auch innerhalb allgemeinerer Entwicklungen abgespielt, die den größeren Rahmen
dazu bilden, und deren Einflüssen sich das Ordensleben nicht entziehen
konnte.(2)
Das Ordensleben ist ein
lebendiger Teil der Kirche, und es lebt in der Welt. Die Werte und Gegenwerte,
die in einer Epoche oder in einem Kulturkreis gären, und die gesellschaftlichen
Strukturen, die sie offenlegen, bedrängen das Leben aller, einschließlich das
der Kirche und ihrer Ordensgemeinschaften. Letztere werden entweder ein
evangelischer Sauerteig in der Gesellschaft sein, Verkündigung der Frohen
Botschaft inmitten der Welt, Ankündigung des himmlischen Jerusalems in der
Zeit, oder sie werden in einer längeren oder kürzeren Agonie erliegen, einfach
deshalb, weil sie sich der Welt angeglichen haben. Darum müssen das Nachdenken
und die neuen Vorschläge bezüglich des "brüderlichen Lebens in
Gemeinschaft" diese äußeren Rahmenbedingungen berücksichtigen.
- Aber auch die eigene
Entwicklung der Kirche hat tief auf die Ordensgemeinschaften eingewirkt. Das
II. Vatikanische Konzil, das ein Ereignis der Gnade und einen höchsten Ausdruck
der pastoralen Führung der Kirche in diesem Jahrhundert darstellt, hatte einen
entscheidenden Einfluß auf das Ordensleben; nicht nur durch das Dekret Perfectae
Caritatis, das ihm gewidmet ist, sondern auch durch die konziliare
Ekklesiologie und durch ein jedes seiner Dokumente.
Aus den genannten Gründen beginnt
das vorliegende Dokument, bevor es zur Sache kommt, mit einem kurzen Blick auf
die Veränderungen in jenen Bereichen, die unmittelbarer die Qualität des
brüderlichen Lebens und der Formen seiner Verwirklichung in den verschiedenen
Ordensgemeinschaften beeinflusst haben.
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