II.
DIE ORDENSGEMEINSCHAFT ALS ORT, WO MAN
BRUDER UND SCHWESTER WIRD
11. Aus dem Geschenk der communio entspringt die
Aufgabe der Verwirklichung der Gemeinschaft, d.h. Bruder und Schwester zu
werden in der konkreten Gemeinschaft, mit der zu leben man berufen ist. Aus der
hochherzigen und dankbaren Annahme der Gemeinschaft mit Gott, die armen
Geschöpfen zuteil wird, erwächst die Überzeugung, dazu verpflichtet zu sein,
diese göttliche Gemeinschaft durch den Aufbau von Gemeinschaften, die "von
Freude und vom Heiligen Geist" (Apg 13,52) erfüllt sind, sichtbar zu
machen.
Auch in unserer Zeit, und für sie, ist es notwendig, dieses zugleich
"göttliche und menschliche" Werk der Bildung von brüderlichen und
schwesterlichen Gemeinschaften anzugehen, im klaren Wissen um die Besonderheiten
unserer Zeit, in der eine theologische, canonistische, soziale und strukturelle
Erneuerung das Erscheinungsbild der Ordensgemeinschaft einschneidend beeinflußt
hat.
Von einigen konkreten Gegebenheiten ausgehend wollen wir nützliche
Hinweise anbieten, mit dem Ziel, die Bemühungen um eine beständige Erneuerung
der Gemeinschaften aus dem Geist des Evangeliums zu unterstützen.
Spiritualität und gemeinsames Beten
12. Ihrem vornehmsten, mystischen Sein nach ist jede Ordensgemeinschaft
tatsächlich "in sich selbst eine übernatürliche Wirklichkeit, und als
solche Gegenstand der Kontemplation".(28) Daraus folgt, daß die
Ordensgemeinschaft in erster Linie ein Geheimnis ist, das mit dankbarem Herzen
in einer lauteren Haltung des Glaubens betrachtet und angenommen wird.
Wenn diese mystische und theologale Dimension vergessen wird, die sie
zum Kontakt mit dem Geheimnis der in der Gemeinschaft anwesenden und ihr
mitgeteilten göttlichen communio hinführt, dann vergißt man zwangsläufig auch
die tiefen Gründe für das "gemeinsame Tun" und für das geduldige
Auferbauen des brüderlichen Lebens. Dieses scheint zuweilen menschliche Kräfte
zu übersteigen, ganz abgesehen davon, daß es manchmal, besonders von sehr
aktiven und individualistisch geprägten Menschen, als unnütze Vergeudung von
Energien angesehen wird.
Derselbe Christus, der sie berufen hat, ruft täglich seine Brüder und
Schwestern zusammen, um mit ihnen zu sprechen und sie durch die Eucharistie mit
sich und untereinander zu verbinden, damit sie immer mehr zu seinem lebendigen
und sichtbaren Leib werden, der vom Geist beseelt ist und unterwegs ist zum
Vater.
Das gemeinsame Beten, das stets als das Fundament jedes
Gemeinschaftslebens betrachtet wurde, beginnt mit der Betrachtung des großen
und erhabenen Geheimnisses Gottes, mit dem Staunen vor seiner Gegenwart, die in
den großen Augenblicken unserer Ordensfamilien ebenso wirkt wie im gewöhnlichen
Alltag unserer Gemeinschaften.
13. Als Antwort auf die Aufforderung des Herrn:
"Wachet und Betet" (Lk 21,36) hat die Ordensgemeinschaft wachsam zu
sein und muß sich für die Gestaltung ihre Lebens die nötige Zeit nehmen.
Zuweilen haben die Ordensleute "keine Zeit", und ihr Alltag läuft
Gefahr, zu umtriebig und sorgenvoll zu sein und so in Müdigkeit und Leere zu
enden. Eine Ordensgemeinschaft wird richtigerweise von einem Tagesplan geführt,
der dem Gebet seine bestimmten Zeiten zuweist, und es so leichter ermöglicht,
für Gott Zeit zu haben (vacare Deo).
Das Gebet ist auch zu verstehen als eine Zeit des Verweilens beim Herrn,
damit er in uns wirke und bei allen Ablenkungen und Mühen dennoch unser Leben
durchdringe, es stärke und es leite. So kann schließlich unsere ganze Existenz
tatsächlich Ihm angehören.
14. Eine der kostbarsten, und von allen geschätzten
Errungenschaften der letzten Jahrzehnte liegt in der Wiederentdeckung des
liturgischen Gebetes durch die Ordensfamilien.
Die gemeinsame Feier des Stundengebets, oder wenigstens seiner
Teile, hat in nicht wenigen Gemeinschaften das Beten neu verlebendigt, und sie
dadurch zu einem lebendigeren Kontakt zum Wort Gottes und zum Gebet der Kirche
hingeführt.(29)
Niemand darf also in seiner Überzeugung nachlassen, daß die Gemeinschaft
sich von der Liturgie her aufbaut, besonders von der Feier der
Eucharistie(30) und von den anderen Sakramenten. Unter diesen verdient
das Bußsakrament, durch das der Herr uns wieder mit sich und unserern Brüdern
und Schwestern verbindet, eine neue Aufmerksamkeit.
Nach dem Beispiel der ersten Gemeinde von Jerusalem (vgl. Apg 2,42) sind
es das Wort, die Eucharistie, das gemeinsame Beten sowie die Treue zur Lehre
der Apostel und deren Nachfolger, die den Kontakt zu den großen Werken Gottes
herstellen, die in diesem Zusammenhang aufleuchten und Lob, Dank und Freude,
Einheit der Herzen, Beistand in den allgemeinen Nöten des täglichen
Zusammenlebens und gegenseitige Bestärkung im Glauben hervorbringen.
Leider kann mancherorts der Mangel an Priestern die tägliche Teilnahme
an der hl. Messe unmöglich machen. Dies führt zwangsläufig zu einem tieferen
Verständnis des großen Geschenkes der Eucharistie und dazu, das Geheimnis des
Leibes und Blutes Christi, das in der Gemeinschaft lebendig und gegenwärtig
ist, um sie auf dem Weg zum Vater zu kräftigen und zu beleben, zur Mitte des
Lebens zu machen. Von hierher rührt auch die Notwendigkeit, daß jedes
Ordenshaus seinen Gebetsraum habe,(31) in dem es möglich ist, die
eigene eucharistische Spiritualität durch Gebet und Anbetung zu nähren.
Um die gefeierte oder angebetete Eucharistie, "Höhepunkt und
Quelle" jeglichen Wirkens der Kirche, erbaut sich jene Einheit des
Geistes, die Voraussetzung ist für alles Wachsen in der Brüderlichkeit.
"Von ihr muß darum alle Erziehung zum Geist der Gemeinschaft ihren Anfang
nehmen".(32)
15. Das gemeinschaftliche Gebet erreicht seine ganze
Wirkkraft, wenn es zutiefst mit dem persönlichen Gebet verbunden ist.
Das gemeinschaftliche Gebet und das persönliche Gebet stehen in einer
engen Beziehung zueinander und ergänzen sich gegenseitig. Überall, besonders
aber in bestimmten Gegenden und Kulturen, muß die Betonung vermehrt auf die
Bedeutung der Innerlichkeit gelegt werden, auf das kindliche Verhältnis zum
Vater, auf den innerlichen, bräutlichen Dialog mit Christus, auf die
persönlichen Vertiefung dessen, was im gemeinsamen Gebet gefeiert und erlebt
wurde, und auch auf das innere und äußere Schweigen, das dem Wort und dem Geist
Raum gewährt, damit sie in die verborgensten Tiefen mit Leben erfüllen können. Die
gottgeweihte Person, die in einer Gemeinschaft lebt, nährt ihre Lebensweihe
durch die beständige persönliche Zwiesprache mit Gott und durch das gemeinsame
Lobpreisen und Bitten.
16. Das gemeinsame Gebet wurde in den letzten Jahren
durch verschiedene Formen des Ausdrucks und der Beteiligung bereichert.
Besonders fruchtbar waren für viele Gemeinschaften die gemeinsame
Schriftlesung und der gemeinsame Austausch über das Wort Gottes und über
die apostolischen Anliegen. Verschiedenheiten in Alter, Bildungsstand und
Charakter raten zur Klugheit, falls man sie unterschiedslos von der ganzen
Gemeinschaft erwartet: Es sei daran erinnert, daß deren Einführung nicht
überstürzt werden darf.
Dort, wo sie in Spontaneität und mit gemeinsamer Zustimmung durchgeführt
wird, dort stärkt sie Glauben und Hoffnung ebenso wie das gegenseitige
Vertrauen, sie fördert die Versöhnung und nährt die brüderliche Verbundenheit
im Gebet.
17. Die Worte des Herrn: "Betet ohne
Unterlaß!" (Lk 18,1; vgl. 1 Thes 5,17) gelten in gleicher Weise für das
persönliche wie auch für das gemeinsame Beten. Die Ordensgemeinschaft lebt in
der Tat vor dem Angesicht ihres Herrn, dessen Gegenwart ihr stets vor Augen
stehen muß. Dennoch hat das Beten in Gemeinschaft seinen (täglichen,
wöchentlichen, monatlichen oder jährlichen) Rhythmus, der im Eigenrecht eines
jeden Institutes festgelegt ist.
Das Beten in Gemeinschaft, das die treue Einhaltung einer Zeitordnung
voraussetzt, verlangt vor allem auch Beharrlichkeit: "Damit wir durch Geduld
und durch den Trost der Schrift Hoffnung haben (...) und Gott, den Vater
unseres Herrn Jesus Christus, einträchtig und mit einem Munde preisen"
(Röm 15, 4-6).
Treue und Beharrlichkeit werden auch dazu beitragen, kreativ und klug
die für einige Institute typischen Schwierigkeiten zu überwinden, wie z.B.
unterschiedliche Aufgaben und Arbeitszeiten, Streß und verschiedene Formen der
Ermüdung.
18. Das Gebet zur Jungfrau Maria, das von der Liebe
zu ihr, unserem Vorbild, beseelt ist, wird erreichen, daß ihre beispielhafte
und mütterliche Gegenwart für die tägliche Gebetstreue eine große Hilfe (vgl.
Apg 1,14) und für die Ordensgemeinschaft ein einigendes Band sein
wird.(33)
Die Mutter des Herrn wird mithelfen, die Ordensgemeinschaften nach dem
Beispiel "ihrer" Familie, der Familie von Nazareth, zu gestalten,
jenem Ort, wohin sich die Ordensgemeinschaften geistig oft hinbegeben sollten,
weil dort das Evangelium der Gemeinschaft und der Brüderlichkeit auf wunderbare
Weise vorgelebt wurde.
19. Auch der apostolische Eifer wird vom
gemeinschaftlichen Gebet gefördert und gekräftigt. Einerseits ist das Gebet
eine geheimnisvolle Kraft, die sämtliche Wirklichkeiten berührt, um die Welt zu
erlösen und ihr eine Ordnung zu geben. Andererseits wird es durch den
apostolischen Dienst angeregt: durch dessen Freuden wie auch durch dessen
alltägliche Schwierigkeiten. Diese werden so zu einer Gelegenheit, die
Gegenwart und das Wirken des Herrn zu suchen und zu finden.
20. Die apostolisch am meisten tätigen und vom
Evangelium am tiefsten beseelten Ordensgemeinschaften - seien sie nun
kontemplativ oder aktiv - sind jene, die in ihrem Gebetsleben eine reiche
Erfahrung aufweisen. In einer Zeit wie der unsrigen, in der die Suche nach dem
Transzendenten gewissermaßen neu erwacht ist, können die Ordensgemeinschaften
bevorzugte Orte sein, an denen die Wege zu Gott erfahrbar werden.
"Als im Namen des Hern vereinte Familie ist die Ordensgemeinschaft
ihrer Natur nach der Ort, wo es in besonderer Weise möglich sein muß, zur
Gotteserfahrung in ihrer ganzen Fülle zu gelangen und sie den anderen
mitzuteilen"(34): vor allen andern den Mitgliedern der eigenen
Gemeinschaft.
Die Ordensleute, Männer wie Frauen, verfehlen diesen historischen Augenblick,
wenn sie dem heutigen Menschen auf seine "Frage nach Gott" keine
Antwort geben, sondern ihn bei seiner Suche, den Hunger nach dem Absoluten zu
stillen, anderswohin verweisen, womöglich sogar auf Abwege.
Persönliche Freiheit und Verwirklichung
der Brüderlichkeit
21. "Einer trage des andern Last; so werdet ihr das Gesetz Christi
erfüllen" (Gal 6,2).
In dieser ganzen, gemeinschaftlichen Dynamik bleibt Christus in seinem
österlichen Geheimnis das Vorbild, wie die Einheit zu schaffen ist. Das Gebot
der gegenseitigen Liebe hat in ihm seinen Ursprung, sein Vorbild und sein Maß:
wir müssen einander lieben, wie er uns geliebt hat. Und er hat uns geliebt bis
zur Hingabe seines Lebens. Unser Leben ist Teilnahme an der Liebe Christ, an
seiner Liebe zum Vater und zu den Brüdern und Schwestern, die eine ganz und gar
selbstlose Liebe ist.
Doch entspricht dies alles nicht der Natur des "alten
Menschen", der zwar sehr wohl Gemeinschaft und Einheit wünscht, sich
jedoch nicht müßig fühlt, den Preis dafür durch seinen persönlichen Einsatz zu
bezahlen. Der Weg vom alten Menschen, der gerne auf sich selbst bezogen ist,
zum neuen Menschen, der sich den anderen schenkt, ist lang und beschwerlich.
Die heiligen Gründer haben ohne Illusionen auf die Schwierigkeiten und auf die
Klippen dieses Weges hingewiesen, wohl wissend, daß man eine Gemeinschaft nicht
improvisieren kann. Sie ist keine spontane Wirklichkeit und kann nicht in
kurzer Zeit bewerkstelligt werden.
Ein Leben als Brüder und Schwestern verlangt einen echten Weg innerer
Befreiung. Wie das aus Ägypten befreite Israel nach seinem langen Zug durch die
Wüste unter der Führung des Moses zum Volk Gottes wurde, so wird die in die
Kirche, in das Volk Gottes eingegliederte Gemeinschaft durch Menschen erbaut, die
von Christus freigemacht wurden und die er befähigt hat, durch das Geschenk
seiner befreienden Liebe sowie durch die aufrichtige Annahme der von ihm
eingesetzten Führer, so zu lieben, wie er selbst geliebt hat.
Die in unsere Herzen eingesenkte Liebe Christi drängt dazu, die Brüder
und Schwestern zu lieben bis zur Annahme auch ihrer Schwächen, Probleme und
Schwierigkeiten. Mit einem Wort: bis zur Hingabe unser selbst.
22. Christus schenkt den Menschen zwei grundlegende
Gewißheiten: Die Gewißheit, grenzenlos geliebt zu sein, und die Gewißheit,
selbst zur grenzenlosen Liebe fähig zu sein.
Nur das Kreuz vermag so umfassend und endgültig diese Gewißheit zu
schenken und die Freiheit, die aus dieser Gewißheit folgt. Durch sie befreit
sich der gottgeweihte Mensch schrittweise vom Bedürfnis, sich selbst in den
Mittelpunkt zu rücken und den anderen zu besitzen, und von der Furcht vor der
Selbsthingabe für die Brüder; er lernt vielmehr, zu lieben, wie Christus ihn
geliebt hat, mit jener Liebe, die jetzt in seinem Herzen wohnt und ihn fähig
macht, sich selbst zu vergessen und sich so zu verschenken, wie sein Herr es
getan hat.
Aus der Kraft dieser Liebe wächst die Gemeinschaft als ein
Zusammenschluß von freien und durch das Kreuz Christi befreiten Menschen.
23. Ein derartiger Weg der Befreiung, der zur vollen
communio und zur Freiheit der Kinder Gottes führt, verlangt jedoch den Mut zum
Verzicht seiner selbst durch die Annahme und Bejahung des anderen samt seiner
Begrenztheit, angefangen mit den Trägern von Autorität.
Wiederholt wurde bemerkt, daß hier eine der Schwachstellen in der
Erneuerungsperiode der vergangenen Jahre liegt. Man hat sich Wissen angeeignet,
man hat die unterschiedlichen Aspekte des Gemeinschaftslebens erforscht, aber man
hat weniger auf jenes asketische Bemühen gebaut, das für jede Form von
Befreiung notwendig und unverzichtbar ist, und das fähig ist, aus einer Gruppe
von Menschen eine christliche Gemeinschaft von Brüdern und Schwestern zu
machen.
Die Gemeinschaft ist eine Gabe, die zur Antwort herausfordert, zu einem
geduldigen Streben und Kämpfen, um die Launen und Schwankungen der Wünsche zu
überwinden. Das so hohe Ideal der Gemeinschaft verlangt notwendigerweise eine
Abkehr von jeglichem Verhalten, das eine wahre communio behindert.
Wenn die Gemeinschaft nicht mystisch ist, fehlt ihr die Seele; ist sie
nicht aszetisch, fehlt ihr der Leib. Es ist ein "Zusammenwirken"
(synergia) der Gabe Gottes und der persönlichen Anstrengung erforderlich, um
die konkrete Gemeinschaft zu schaffen und dadurch der Gnade und dem Geschenk
der brüderlichen Gemeinschaft Fleisch und greifbare Gestalt zu geben.
24. Man muß zugeben, daß ein solches Denken
heutzutage bei Jung und Alt Schwierigkeiten hervorruft. Oft entstammen die Jungen
einer Kultur, die die Subjektivität und Selbstverwirklichung zu hoch
einschätzt, während manchmal die Erwachsenen entweder an Strukturen der
Vergangenheit kleben oder ein gewisses Mißbehagen gegenüber der
"Versammlungssucht" der zurückliegenden Jahre empfinden, die
Unsicherheit und viele Worte gezeitigt hat.
Wenn es zutrifft, daß die communio nicht ohne den Beitrag jedes
einzelnen entsteht, dann muß man von Anfang an jene Illusionen ausräumen, die
davon ausgehen, alles müsse von den andern kommen, und man muß wieder dankbar
erkennen, was man alles schon von den anderen empfangen hat und noch empfängt.
Es ist gut, die einzelnen von Anfang an darauf vorzubereiten, daß sie
Miterbauer und nicht nur Konsumenten der Gemeinschaft sind, mitverantwortlich für
das gegenseitige Wachstum, sowie daß sie lernen, in offener Bereitschaft den
anderen und das Geschenk seiner Person anzunehmen und fähig werden, zu helfen
und sich helfen zu lassen, zu stützen und gestützt zu werden.
Das Ideal eines echten, brüderlichem Gemeinschaftslebens übt auf junge
Leute zunächst eine natürliche Faszination aus, aber das Durchhalten in den
realen Lebensumständen kann dann als eine schwere Last erscheinen. Die
Anfangsausbildung muß also stets sowohl zu einem Bewußtsein der vom Gemeinschaftsleben
geforderten Opfer hinführen und zu deren Annahme im Blick auf eine frohe und
echte brüderliche Beziehung, als auch zu allen anderen, einen innerlich freien
Menschen auszeichnenden Verhaltensweisen.(35) Denn wer sich für die
Brüder verliert, findet sich selbst.
25. Zudem bedarf es einer beständigen Erinnerung
daran, daß die Selbstverwirklichung einer gottgeweihten Person auf dem Weg der
Gemeinschaft geschieht. Wer ein von der Gemeinschaft unabhängiges Leben sucht,
befindet sich gewiß nicht auf dem sicheren Weg zu Heiligkeit seines Standes.
Während die westliche Gesellschaft die unabhängige Person feiert, die
sich selbst verwirklicht, also den selbstsicheren Individualisten, ruft das
Evangelium nach Menschen, die, wie das Weizenkorn, sich selbst sterben, damit
brüderliches Leben entstehe.(36)
So wird die Gemeinschaft zu einer "Schola Amoris" für
Jung und Alt. In dieser Schule lernt man Gott zu lieben, lernt man die Brüder
und Schwestern zu lieben, mit denen man lebt, lernt die Menschheit zu lieben,
die des Erbarmens Gottes und der brüderlichen Solidarität bedarf.
26. Das Ideal der Gemeinschaft darf jedoch nicht
vergessen machen, daß jede christliche Wirklichkeit auf der menschlichen
Schwachheit aufbaut. Die vollkommene "ideale Gemeinschaft" gibt es
noch nicht: die vollkommene Gemeinschaft der Heiligen ist unser Ziel im Himmel.
Wir leben in der Zeit des beständigen Aufbaus und Wachsens: immer ist es
möglich, besser zu werden und gemeinsam auf jene Gemeinschaft zuzugehen, die
Vergebung und Liebe in die Praxis umsetzt. In der Tat können die Gemeinschaften
nicht alle Konflikte vermeiden. Die Einheit, zu deren Verwirklichung sie
gerufen sind, ist eine Einheit, die auf Vergebung und Versöhnung
aufbaut.(37) Der Zustand der Unvollkommenheit der Gemeinschaften darf
jedoch nicht entmutigen.
Tatsächlich machen sich die Gemeinschaften Tag für Tag neu auf den Weg,
getragen von der Lehre der Apostel: "Seid herzlich zueinander in
brüderlicher Liebe, mit Achtung einander zuvorkommend" (Röm 12,10);
"Seid eines Sinnes untereinander" (Röm 12,16); "Darum nehme
einer den anderen an, wie auch Christus euch angenommen hat" (Röm 15,7);
"Ihr seid fähig, euch selbst gegenseitig zurechtzuweisen" (Röm
15,14); "Wartet aufeinander" (1 Kor 11,33); "Dient einander in
Liebe" (Gal 5,13); "Erbaut einander" (1 Thess 5,11);
"Ertragt einander in Liebe" (Eph 4,2); "Seid gütig zueinander,
barmherzig, einander verzeihend" (Eph 4,32); "... einander sich
unterordnend in der Furcht Christi" (Eph 5,21); "Betet
füreinander" (Jak 5,16); "Tretet einander in Demut gegenüber" (1
Petr 5,5); "Wir haben Gemeinschaft miteinander" (1 Joh 1,7);
"Laßt uns also nicht müde werden, Gutes zu tun an allen, vorzüglich aber
an den Glaubensgenossen" (Gal 6,9-10).
27. Um die Gemeinschaft des Geistes und der Herzen
jener zu fördern, die zum Zusammenleben in einer Gemeinschaft gerufen sind,
scheint es auch angebracht, an die Notwendigkeit jener Eigenschaften zu
erinnern, die in allen menschlichen Beziehungen gefordert sind: Höflichkeit,
Anstand, Aufrichtigkeit, Selbstbeherrschung, Humor, Bereitschaft zum Teilen.
Die Dokumente des Lehramtes dieser Jahre bieten eine Fülle von
Anregungen und verweisen auf gemeinschaftsfördernde Verhaltensweisen wie: frohe
Bescheidenheit,(38) Offenheit und Vertrauen zueinander,(39)
Dialogfähigkeit,(40) aufrichtige Bejahung einer wohltuenden
Gemeinschaftsdisziplin.(41)
28. Schließlich darf nicht vergessen werden, daß der
Friede und die Freude am Gemeinschaftsleben eines der Zeichen des Gottesreiches
sind. Inmitten der Schwierigkeiten des menschlichen und geistlichen Lebensweges
und der täglichen Eintönigkeit gehört zu jenem Reich auch eine gewisse
Lebensfreude. Diese Freude ist eine Frucht des Geistes und erhellt die
Schlichtheit des Lebens wie die Eintönigkeit des Alltags. Eine Brüderlichkeit
ohne Freude ist eine Brüderlichkeit, die am Erlöschen ist. Bald werden die
Mitglieder das, was sie in ihrer Gemeinschaft nicht finden, anderswo suchen.
Eine frohe Gemeinschaft dagegen stellt ein wirkliches Geschenk von Oben dar für
jene Brüder und Schwestern, die es zu erbitten verstehen, und die sich in
vollem Vertrauen in das Wirken des Geistes für ihre Gemeinschaft einsetzen. So
werden die Psalmworte Wirklichkeit: "Seht doch, wie gut und schön ist es,
wenn Brüder miteinander in Eintracht wohnen. Denn dort spendet der Herr Segen
und Leben in Ewigkeit" (Ps 133,1.3), "denn wenn sie brüderlich
zusammenleben, vereinigen sie sich in der Versammlung der Kirche und wissen
sich eins in der Liebe und im gemeinsamen Wollen".(42)
Ein solches Zeugnis der Freude schenkt dem Ordensleben eine starke
Anziehungskraft, es ist eine Quelle neuer Berufe und eine Hilfe zur
Beharrlichkeit. Es ist sehr wichtig, diese Freude in der Ordensgemeinschaft zu
pflegen: Überarbeitung kann sie auslöschen, Übereifer für bestimmte Dinge kann
sie in Vergessenheit geraten lassen, das unaufhörliche Infragestellen der
eigenen Identität und der eigenen Zukunftsperspektiven können sie verdunkeln.
Doch richtig miteinander feiern, sich Zeiten persönlicher und
gemeinsamer Entspannung gönnen, gelegentlich Abstand nehmen von der eigenen
Arbeit, teilnehmen an der Freude des andern, lächeln über eigene und fremde
Fehler, aufmerksam sein für die Bedürfnisse des Bruders und der Schwester, im
Apostolat ernsthaft und vertrauensvoll miteinander arbeiten, den Umständen mit
Barmherzigkeit begegnen, dem Morgen entgegengehen in der Hoffnung, immer und
überall dem Herrn zu begegnen: dies alles stärkt die Gelassenheit, den Frieden
und die Freude. Und es wird zu einer Kraft in der Arbeit des Apostolates.
Die Freude ist ein strahlendes Zeugnis dafür, daß eine
Ordensgemeinschaft dem Evangelium entspricht; die Freude ist ja das Ziel eines
nicht unbeschwerlichen, jedoch dann immer möglichen Weges, wenn er vom Gebet
begleitet wird: "Froh in der Hoffnung, in Drangsal geduldig, im Beten
beharrlich" (Röm 12,12).
Miteinander Wachsen durch
gegenseitigen Austausch
29. In der Erneuerung dieser Jahre wird deutlich, wie der gemeinsame
Austausch einer jener menschlichen Faktoren zu sein scheint, dem wachsende
Bedeutung für das Leben der Ordensgemeinschaft zukommt. Aus der tief
empfundenen Notwendigkeit einer stärkeren Pflege des gemeinschaftlichen Lebens
folgert auch das entsprechende Bedürfnis nach einem umfassenderen und
intensiveren gemeinsamen Austausch.
Um Bruder und Schwester zu werden ist es notwendig, sich zu kennen. Um
sich kennen zu lernen ist jedoch ein umfassenderer und tieferer Austausch
untereinander erforderlich. Man schenkt heute den verschiedenen Aspekten des
gegenseitigen Austauschs größere Aufmerksamkeit, auch wenn sie in den einzelnen
Instituten und Gegenden der Welt hinsichtlich Stärke und Form verschieden ist.
30. Der Austausch innerhalb der Institute erfuhr eine
starke Entwicklung. Regelmäßige Treffen der Mitglieder auf zentraler,
regionaler und provinzieller Ebene haben zugenommen; die Obern verschicken
gewöhnlich Rundbriefe und Anregungen; sie besuchen häufiger die Gemeinschaften;
der Versand von Informationen und internen Zeitschriften hat zugenommen.
Ein derart umfassender und angeregter Austausch auf den verschiedenen
Ebenen und unter Berücksichtung der Eigenheiten des Instituts schafft
gewöhnlich engere Beziehungen, nährt den Familiengeist und die Teilnahme an den
Vorgängen innerhalb des Institutes, macht sensibel für allgemeine Probleme und
bindet die Ordensleute an die gemeinsame Sendung.
31. Auch auf Gemeinschaftsebene erweisen sich die
regelmäßigen, oft wöchentlichen Treffen, auf denen die Ordensleute die Probleme
der Gemeinschaft, des Instituts, der Kirche und deren wichtigste
Verlautbarungen bespechen, als äußerst positiv. Diese Momente sind nützlich,
auch um die anderen anzuhören, eigene Gedanken mitzuteilen, den zurückgelegten
Weg zu überprüfen und auszuwerten, gemeinsam zu planen.
Das brüderliche Leben braucht diese Zeiten für sein Wachstum, besonders
in größeren Gemeinschaften. Es sind Zeiten, die von allen anderen
Verpflichtungen freigehalten werden müssen; es sind wichtige Momente der
Kommunikation untereinander auch in Bezug auf eine Einbeziehung in die
Mitverantwortung sowie für die Einordnung der eigenen Arbeit in den größeren
Zusammenhang des Ordenslebens und des Lebens der Kirche und der Welt, in die
wir gesandt sind, ganz abgesehen einmal vom Gemeinschaftsleben selbst. Dieser
Weg wird von allen Gemeinschaften beschritten, wobei Häufigkeit und Gestaltung
den Gemeinschaften und ihren Aufgaben angepaßt sind. Unter den kontemplativen
Gemeinschaften erfordert dies besondere Rücksichtnahme auf den je eigenen
Lebensstil.
32. Dies ist jedoch noch nicht alles. Vielerorts
spürt man die Notwendigkeit eines vertiefteren Austausches unter den
Mitgliedern derselben Gemeinschaft. Das Fehlen und die Armseligkeit des gegenseitigen
Austausches verursachen für gewöhnlich eine Schwächung der Brüderlichkeit, weil
man die Lebenserfahrung des Mitbruders nicht kennt, was diesen Mitbruder fremd
und die Beziehung zu ihm anonym macht und zudem echte Zustände der Isolation
und Einsamkeit schafft.
In einigen Gemeinschaften beklagt man die Unzulänglichkeit des
elementaren geistlichen Austauschs: man redet über Nebensächliches, und nur
selten teilt man sich das mit, was auf dem Weg der Lebensweihe lebensnotwendig
und von erstrangiger Bedeutung ist.
Die Folgen daraus können schmerzvoll sein, da die geistliche Erfahrung
dann ganz unbemerkt individualistische Züge annimmt. Auch eine Haltung der
Verselbständigung wird dadurch gefördert, verbunden mit einem mangelnden Gespür
für den anderen, während die wichtigen Beziehungen nach und nach außerhalb der
Gemeinschaft gesucht werden.
Dieses Problem soll ganz offen angegangen werden: einerseits mit Takt
und Aufmerksamkeit, und ohne etwas zu erzwingen; andererseits jedoch, indem mit
Mut und Kreativität nach Formen und Mitteln gesucht wird, die es allen
erlauben, schrittweise und in brüderlicher Einfachheit den gegenseitigen
Austausch der Gaben des Geistes zu erlernen, damit diese wirklich allen gehören
und der Erbauung aller dienen (vgl. 1 Kor 12,7).
Gemeinschaft entsteht gerade durch die Mitteilung der Gaben des Geistes,
durch ein Mitteilen des Glaubens und im Glauben, wobei das Band der
Brüderlichkeit um so stärker ist, je zentraler und vitaler das ist, was man
miteinander teilt.
Eine derartiger Austausch hilft auch einen Kommunikationsstil zu
erlernen, der es einem später im Apostolat ermöglicht, in schlichten und
verständlichen Worten "seinen Glauben zu bekennen", damit alle ihn
verstehen und sich an ihm erbauen.
Die Formen für den Austausch der Gaben des Geistes können
unterschiedlich sein. Neben den bereits angeführten - Miteinander Teilen des
Wortes Gottes und der Gotteserfahrung, gemeinschaftliche Beratung, gemeinsames
Planen -(43) darf auch an die brüderliche Zurechtweisung erinnert
werden, an die Revision des Lebens und an andere typische Formen der Tradition.
Es handelt sich hier um konkrete Wege, den anderen zu dienen und in der
Gemeinschaft jene überreichen Gaben zu verbreiten, die der Geist für deren
Auferbauung und für deren Sendung in der Welt spendet.
Dies alles erhält noch größere Bedeutung im gegenwärtigen Augenblick, da
in ein und derselben Gemeinschaft Ordensleute beieinander wohnen, die sich
nicht nur durch Alter, sondern auch durch Rasse, sowie durch kulturelle und
theologische Bildung unterscheiden; Ordensleute, die in den vergangenen,
bewegten und vom Pluralismus gezeichneten Jahren ganz unterschiedliche
Erfahrungen gemacht haben.
Wo Austausch und Zuhören vernachlässigt werden, dort besteht die Gefahr,
aneinander vorbei zu leben, was wirklich weit entfernt wäre vom Ideal echter
Brüderlichkeit.
33. Eine jede Form des Sich-Mitteilens birgt
Verwicklungen und besondere psychologische Schwierigkeiten in sich, denen auch
mit Hilfe der Humanwissenschaften positiv begegnet werden kann. Einige
Gemeinschaften haben z.B. mit Nutzen die Hilfe von Kommunikationsexperten und
von Fachleuten in Psychologie oder Soziologie Anspruch genommen.
Es handelt sich um außergewöhnliche Mittel, die klug ausgewählt werden
müssen und maßvoll von Gemeinschaften eingesetzt werden können, die jene Mauern
der Trennung niederreißen möchten, die zuweilen in ihrem Innern bestehen. Die
rein menschlichen Techniken erweisen sich als hilfreich, aber sie sind nicht
ausreichend. Es ist vielmehr notwendig, daß allen das Wohl des Mitbruders am
Herzen liegt, und sie vom Evangelium her jene Fähigkeit entwickeln, von den
anderen all das anzunehmen, was diese schenken und mitteilen wollen und auch
tatsächlich allein schon durch ihr Dasein mitteilen.
"Habt untereinander dasselbe Empfinden und dasselbe Herz. Seid
herzlich und menschlich. Haltet in großer Demut die anderen für besser als euch
selbst. Verfolgt die Interessen der anderen, nicht nur die eurigen. Eure
Beziehungen zueinander seien darauf gegründet, daß ihr an Jesus Christus
gebunden seid" (Phil 2,2-5).
In einem solchen Klima bringen die mit dem Ordensleben vereinbaren
Kommunikationsmethoden und -techniken jene Früchte, die einem Wachsen in der
Brüderlichkeit förderlich sind.
34. Der beachtliche Einfluß der Massenmedien auf das
Leben und die Mentalität unserer Zeitgenossen berührt auch die
Ordensgemeinschaften und bestimmt nicht selten ihren internen
Gedankenaustausch.
Angesichts deren Einflusses erzieht sich eine Gemeinschaft dahin, mit
der evangeliumsgemäßen Klarheit und inneren Freiheit dessen, der gelernt hat,
Christus zu kennen (vgl. Gal 4,17-23), diese Mittel zum persönlichen und
gemeinschaftlichen Wachstum zu nutzen. Tatsächlich setzen diese Medien eine
bestimmte Mentalität und eine Einstellung zum Leben voraus - und drängen sie
oftmals geradezu auf - die ständig mit dem Evangelium konfrontiert werden
müssen. Von vielen Seiten wird hier nach einer eingehenderen Schulung zur
kritischen und nützlichen Rezeption und Anwendung solcher Mittel gerufen. Warum
könnten diese Fragen nicht auch bei den regelmäßigen Gemeinschaftstreffen zum
Gegenstand der Bewertung, Überprüfung und Planung gemacht werden?
Besonders wenn das Fernsehen zur einzigen Form der Freizeitgestaltung
wird, behindert, und manchmal verhindert, es den Kontakt zwischen den Personen,
reduziert das brüderliche Gespräch und kann sogar dem geweihten Leben selbst
Schaden zufügen.
Ein ausgewogenes Gleichgewicht ist gefordert: der mäßige und weise
Gebrauch der Kommunikationsmittel,(44) begleitet von einer gemeinsamen
Überprüfung, kann für die Gemeinschaft von Nutzen sein, um die Komplexität der
Welt der Kultur besser zu verstehen; er kann eine überprüfte und kritische
Rezeption ermöglichen und schließlich ihren wirkungsvolleren Einsatz im Blick
auf die verschiedenen Dienste für das Evangelium erleichtern.
In Übereinstimmung mit dem von ihnen gewählten, besonderen und sich
durch eine deutlichere Trennung von der Welt auszeichnenden Lebensstand sollten
sich die kontemplativen Ordensgemeinschaften stärker zur Bewahrung einer
Atmosphäre der Sammlung verpflichtet fühlen und jene Normen ihrer
Konstitutionen einhalten, die den Gebrauch der sozialen Kommunikationsmittel
regeln.
Ordensgemeinschaft und Reifung der
Person
35. Weil sie eine "Schola Amoris" ist, die hilft, in
der Liebe zu Gott und den Brüdern zu wachsen, wird die Ordensgemeinschaft auch
zu einem Ort des menschlichen Reifens. Der Weg dahin ist anspruchsvoll,
beinhaltet er doch den Verzicht auf unbestreitbar hohe Güter;(45) er ist
jedoch nicht unmöglich, wie es die große Schar der Heiligen und jener
wunderbaren Gestalten von Ordensleuten beweist, die deutlich machten, wie die
Lebensweihe an Christus "nicht dem wahren Fortschritt der menschlichen
Person widerspricht, sondern in sich selbst eine große Hilfe dazu
darstellt".(46)
Der Weg zur menschlichen Reife, die ja Bedingung ist für ein Leben mit
evangelischer Ausstrahlung, ist ein Prozeß ohne Ende, da er eine ständige
"Bereicherung" nicht nur mit den geistlichen Werten bedeutet, sondern
auch mit jenen des psychologischen, kulturellen und sozialen Bereiches.(47)
Die starken Veränderungen in Kultur und Verhalten, die im Grunde eher
auf materielle Dinge ausgerichtet sind als auf geistige, verlangen besondere
Aufmerksamkeit in einigen Bereichen, in denen die Ordensleute heute besonders
verwundbar zu sein scheinen.
36. Die Identität
Der Reifungprozeß des Menschen vollzieht sich in der eigenen
Identifikation mit dem Berufensein von Gott. Eine unsichere Identität kann
besonders in schwierigeren Situationen zu einer falsch verstandenen
Selbstverwirklichung führen, verbunden mit einem extremen Bedürfnis nach Erfolg
und nach Anerkennung und mit einer übertriebenen Angst vor dem Scheitern, sowie
mit Depressionen im Gefolge von Mißerfolgen.
Die Identität des Gottgeweihten hängt von einem geistigen Reifungsprozeß
ab: sie ist ein Werk des Geistes, der den Betreffenden dazu drängt, Christus
gleichförmig zu werden, entsprechend jener besonderen Weise, wie sie dem
Institut durch das "Ursprungscharisma" geschenkt ist, das eine
"Vermittlung des Evangeliums an die Mitglieder eines Institutes"
darstellt.(48) Der Beistand eines geistlichen Führers, der die
Spiritualität und die Sendung eines Institutes gut kennt und sie achtet, ist
also von großer Bedeutung, um "das Wirken Gottes zu erkennen, den
Mitbruder auf den Wegen des Herrn zu begleiten und das Leben durch eine solide
Lehre und lebendiges Gebet zu nähren".(49) Eine solche Begleitung,
die besonders notwendig ist in der Phase der ersten Ausbildung, ist auch im
weiteren Leben für das "Wachsen in Christus hilfreich".
Auch der kulturelle Reifungsprozeß hilft mit, sich den Herausforderungen
der Sendung zu stellen und die dazu erforderlichen Hilfsmittel anzuwenden, um
den Weg in die Zukunft zu erkennen und um die richtigen Antworten zu
entwickeln, durch die das Evangelium ständig eine Alternative zu den Angeboten
der Welt wird, indem es die positiven Kräfte einbindet und sie von den Keimen
des Bösen reinigt.
In dieser Dynamik werden die gottgeweihte Person und die
Ordensgemeinschaft zu einer dem Evangelium entsprechenden Einladung, die die
Gegenwart Christi in der Welt offenbar macht.(50)
37. Die Affektivität
Das brüderliche Leben in Gemeinschaft verlangt von allen ein stabiles
seelisches Gleichgewicht, innerhalb dessen das affektive Leben des einzelnen
reifen kann. Wesentlicher Bestandteil dieses Reifungsprozesses ist die oben
erwähnte affektive Freiheit, aufgrund derer der gottgeweihte Mensch seine
Berufung liebt, und nach ihren Maßstäben liebt. Gerade diese Freiheit und Reife
ermöglichen es, innerhalb wie außerhalb der Gemeinschaft eine gesunde
Affektivität zu leben.
Seine eigene Berufung zu lieben, sie als gültigen Lebensbasis zu
erfahren, seine Lebensweihe als eine wahre, schöne und gute Wirklichkeit zu
verstehen, die auch die eigene Existenz wahr, schön und gut macht: dies alles
macht einen Menschen stark, autonom und selbstsicher; es bedarf keiner anderen,
auch keiner affektiven Stütze. Eine solche Haltung festigt zugleich das Band,
das den Gottgeweihten an jene bindet, die mit ihm dieselbe Berufung teilen. Vor
allem mit ihnen fühlt er sich zu lebendigen Beziehungen der Brüderlichkeit und
Freundschaft berufen.
Die Berufung lieben, das heißt, die Kirche lieben, das heißt, das eigene
Institut lieben und die Gemeinschaft wirklich als die eigene Familie zu
betrachten.
Der eigenen Berufung entsprechend zu lieben bedeutet, zu lieben im Stil
eines Menschen, der in jeder zwischenmenschlichen Beziehung ein reines Zeichen
der Liebe Gottes sein möchte, der niemanden überrumpelt und nicht in Besitz
nimmt, sondern es gut meint und das Beste des anderen sucht mit jenem
Wohlwollen, das Gott uns entgegenbringt.
Es bedarf also einer besonderen Erziehung der Affektivität, die den
menschlichen Aspekt mit dem mehr geistigen in Einklang bringt. Hier scheinen
besonders jene Hinweise von Potissimum Institutioni angebracht, die die
Prüfung "der Ausgeglichenheit der Affektivität, besonders auch im
geschlechtlichen Bereich", sowie die Prüfung der "Fähigkeit zum
Gemeinschaftsleben" betreffen.(51)
Trotzdem sind die Schwierigkeiten in diesem Bereich oft nur ein Echo von
Problemen, die anderswo ihren Ursprung haben: eine Affektivität-Sexualität, die
mit narzistisch-jugendlichem oder stark verdrängendem Verhalten gelebt wird,
kann eine Folge von negativen Erfahrungen sein, die dem Ordenseintritt
vorausgingen, aber auch ein Folge von Ungereimtheiten in der Gemeinschaft oder
im Apostolat. Wichtig ist hier also ein reiches und herzliches brüderliches
Leben, das die "Last" des verwundeten und hilfsbedürftigen Bruders
mitträgt.
Wenn also für ein Leben in Gemeinschaft eine gewisse Reife vorausgesetzt
werden muß, so ist ein herzliches, brüderliches Miteinander für die Reifung des
Ordensmitgliedes nicht minder gefordert. Wo im Mitbruder oder in der
Mitschwester eine verminderte affektive Selbständigkeit festgestellt wird,
sollte die Antwort der Gemeinschaft in Form einer reichen, menschlichen Liebe
nach dem Beispiel Jesu und vieler heiliger Ordensleute nicht ausbleiben, einer
Liebe, die Ängste und Freuden, Schwierigkeiten und Hoffnungen mit jener Wärme
teilt, die das neue Herz auszeichnet, das den ganzen Menschen anzunehmen
vermag. Eine solche besorgte, taktvolle, nicht Besitz ergreifende, selbstlose
Liebe wird dem einzelnen die Liebe des Herrn nahebringen, jene Liebe, die den
Sohn Gottes dazu führte, uns durch sein Kreuz zu sagen, daß man nicht daran
zweifeln kann, von der Ewigen Liebe geliebt zu sein.
38. Unstimmigkeiten
Das Zusammenleben mit leidenden Menschen, mit solchen, die sich in der
Gemeinschaft nicht wohlfühlen und die deshalb Ursache von Leid für die
Mitbrüder sind und das Gemeinschaftsleben stören, stellen eine besondere
Gelegenheit für das menschliche Wachsen und das christliche Reifen dar.
Vor allem ist hier zu fragen, woher solche Leiden rührt: von
charakterlichen Mängeln, von Verpflichtungen, die als zu beschwerlich empfunden
werden, von großen Lücken in der Ausbildung, von den zu raschen und zu
zahlreichen Veränderungen dieser Jahre, von zu autoritärem Leitungstil, von
Schwierigkeiten im geistlichen Leben.
Es kann gibt auch verschiedene Situationen, in denen die Autorität daran
erinnern muß, daß das Gemeinschaftsleben manchmal Opfer abverlangt und zu einer
Form von "maxima poenitentia" werden kann.
Dennoch gibt es Situationen und Fälle, in denen ein Rückgriff auf die
Humanwissenschaften erforderlich ist, besonders dann, wenn einzelne eindeutig
zu einem Leben in Gemeinschaft unfähig sind, sei es aufgrund mangelnder Reife,
psychologischer Labilität oder anderer Faktoren vorwiegend pathologischer Art.
Der Rückgriff auf solche Maßnahmen erwies sich nicht nur in der Therapie
schwererer oder leichterer psychopatischer Fälle als nützlich, sondern auch zu
deren Vorbeugung, um eine angemessene Auslese der Kandidaten zu erleichtern und
um in einigen Fällen die Ausbildungsverantwortlichen in ihrem Verhalten bei
speziellen pädagogisch-formativen Problemen zu beraten.(52)
In jedem Falle ist bei der Auswahl dieser Spezialisten ein gläubiger
Mensch und ein Kenner des Ordenslebens vorzuziehen. Noch besser ist es, wenn er
selbst ein gottgeweihter Mensch ist.
Der Gebrauch dieser Hilfsmittel wird schließlich dann wirklich hilfreich
sein, wenn sie mit einer gewissen Zurückhaltung und auf den jeweiligen Fall
bezogen angewandt werden; dies allein schon deshalb, weil sie nicht alle
Probleme lösen können und demzufolge "nicht an die Stelle einer echten
geistlichen Begleitung treten können".(53)
Vom Ich zum Wir
39. Die Achtung der Person, vom Konzil und in den nachfolgenden
Dokumenten(54) empfohlen, hat einen positiven Einfluß auf das konkrete
Gemeinschaftsleben ausgeübt.
Gleichzeitig hat sich jedoch mit geringerer oder stärkerer Intensität,
je nach den verschiedenen Erdteilen, auch der Individualismus ausgebreitet
unter den vielfältigsten Formen, wie Profiliersucht, Überbetonung des
physischen, psychischen und beruflichen Wohlbefindens, Bevorzugung einer
eigenständigen Arbeit oder einer renomierten und profilierten Tätigkeit,
absoluter Vorrang der persönlichen Interessen und des individuellen Lebensweges
ohne Rücksicht auf die anderen und ohne Beziehung zur Gemeinschaft.
Dagegen ist es jedoch dringend erforderlich, jenes rechte und nicht
immer leicht zu erzielende Gleichgewicht zu suchen zwischen der Achtung der
Person und dem Gemeinwohl, zwischen den Ansprüchen und Bedürfnissen der
einzelnen und jenen der Gemeinschaft, zwischen dem persönlichen Charisma und
dem apostolischen Entwurf der Gemeinschaft. Dies sollte fern von jedem
zerstörenden Individualismus sowie von jedem nivellierenden Kommunitarismus
geschehen. Die Ordensgemeinschaft ist der Ort, wo sich der tägliche und
geduldige Übergang vom "Ich" zum "Du", von meiner Aufgabe
zur Aufgabe der Gemeinschaft, von der Suche dessen, "was mein ist",
zur Suche dessen, "was Christi ist", vollzieht.
Dann wird die Ordensgemeinschaft der Ort, wo man täglich lernt, sich
jenes neue Denken anzueignen, das es ermöglicht, brüderliche Gemeinschaft in
der Vielfalt der unterschiedlichen Gaben zu leben, und das gleichzeitig eben
diese Gaben auf die Brüderlichkeit und die Mitverantwortung im apostolischen
Ziel hin ausrichtet.
40. Ein derartiger gemeinschaftlicher und
apostolischer "Einklang" erfordert:
a) Miteinander das gemeinsame Geschenk der Berufung und Sendung dankbar
zu feiern, ein Geschenk, das hoch über jedweden individuellen und kulturellen
Unterschieden steht. Eine kontemplative Haltung gegenüber der Weisheit Gottes
zu fördern, der gerade diese Brüder oder Schwestern in einer Gemeinschaft
zusammengeführt hat, damit sie sich gegenseitig als Geschenk geben und
annehmen. Gott zu loben für das, was jeder Bruder oder jede Schwester von der
Gegenwart und vom Wort Christi mitteilt.
b) Die Pflege jener gegenseitigen Achtung, mit der man den langsameren
Weg der Schwächeren annimmt und gleichzeitig das Wachstum reicherer
Persönlichkeiten nicht erstickt. Eine Achtung, die einerseits Kreativität
fördert, andererseits jedoch an die Mitverantwortung und Solidarität anderen
gegenüber appelliert.
c) Eine Ausrichtung auf die gemeinsame Sendung hin: ein jedes Institut
hat seine eigene Sendung, an der jeder seinen Gaben entsprechend mitarbeiten
muß. Der Weg einer gottgeweihten Person besteht gerade darin, dem Herrn
zunehmend all das darzubringen, was sie ist und was sie hat, zum Wohl der
Sendung ihrer Ordensfamilie.
d) Eine Erinnerung daran, daß die apostolische Sendung in erster Linie
der Gemeinschaft anvertraut ist, und daß sie deshalb oft den Unterhalt
gemeinschaftseigener Werke mit sich bringt. Die Hingabe an ein solches gemeinschaftliches
Apostolat läßt die gottgeweihte Person reifen und auf ihrem besonderen Weg zur
Heiligkeit wachsen.
e) Eine innere Einstellung, aus der heraus die einzelnen Ordensleute,
die im Gehorsam persönliche Aufgaben übertragen bekommen haben, sich selbst als
von der Gemeinschaft Beauftragte verstehen. Diese trage ihrerseits Sorge für
deren satzungsmäßige Erneuerung und beziehe sie in die Überprüfung der
apostolischen Verpflichtungen der Gemeinschaft mit ein.
Während der Ausbildungszeit kann es vorkommen, daß es trotz allen guten
Willens unmöglich ist, die besonderen Gaben einer gottgeweihten Person mit dem
brüderlichen Leben in Gemeinschaft und der gemeinsamen Sendung in Einklang zu
bringen. Dann ist die Frage zu stellen: "Tragen die Gaben Gottes in dieser
Person (...) zur Einheit und Vertiefung der Gemeinschaft bei? Wenn ja, dann
können sie gerne angenommen werden. Im gegenteiligen Falle sind sie nicht für
dieses bestimmte Institut geeignet, so wertvoll diese Gaben auch in sich selbst
sein und so erstrebenswert sie einigen Mitbrüdern erscheinen mögen. Es ist
wirklich nicht vernünftig, stark abweichende Entwicklungen zu dulden, die für
die Einheit im Institut kein gediegenes Fundament bieten".(55)
41. In den vergangenen Jahren wuchs die Zahl der
Gemeinschaften mit nur wenigen Mitgliedern, vor allem aus Gründen des
Apostolates. Diese Gemeinschaften können auch förderlich sein für die
Entwicklung engerer Beziehungen unter den Ordensleuten, für ein intensiveres
Gebetsleben und für eine gegenseitige und noch brüderlichere Übernahme von
Verantwortung.(56)
Keinesfalls jedoch fehlen auch fragwürdige Gründe, wie z.B. die
Übereinstimmung von Interessen und Mentalitäten. In einem solchen Falle mag es
leicht geschehen, daß eine Gemeinschaft sich abkapselt und so weit kommen kann,
ihre Mitglieder selbst auszuwählen und einen vom Obern versetzten Mitbruder
anzunehmen oder abzulehnen. Solches widerspricht der Natur der
Ordensgemeinschaft und ihrer Zeichenhaftigkeit. Eine selektive Homogenität
hindert die apostolische Beweglichkeit und schwächt außerdem die pneumatische
Wirklichkeit der Gemeinschaft, sie entzieht der sie bestimmenden geistigen
Wirklichkeit ihre Zeugniskraft.
Jenes, für heterogene Gemeinschaften so charakteristische Bemühen, sich
gegenseitig anzunehmen, wie auch die Anstrengungen zur Überwindung
diesbezüglicher Schwierigkeiten, sind ein Beweis für die Transzendenz ihres
Seinsgrundes, nämlich für "die Kraft Gottes, die sich in der Schwachheit
des Menschen offenbart" (vgl. 2 Kor 12,9-10).
In einer Gemeinschaft lebt man zusammen, nicht weil man sich gegenseitig
ausgesucht hat, sondern weil der Herr einen dazu erwählt hat.
42. Wenn die westlich geprägte Kultur zum
Individualismus neigt, der ein brüderliches Leben in Gemeinschaft erschwert, so
können andere Kulturen ihrerseits zum Kommunitarismus führen, der die
Wertschätzung der menschlichen Person schwieriger macht. Jede dieser
kulturellen Formen muß evangelisiert werden.
Die Präsenz von Ordensgemeinschaften, die auf dem Weg hin zu einem
brüderlichen Leben sind, in dem der Einzelne für die Mitbrüder verfügbar ist
oder in dem die "Gruppe" den Einzelnen fördert, ist ein Zeichen der
verändernden Kraft des Evangeliums und der Ankunft des Gottesreiches.
Die internationalen Institute, in denen Miglieder aus verschiedenen
Kulturen zusammenleben, können zu einem Austausch der Gaben beitragen, durch
die sie sich gegenseitig bereichern und korrigieren im gemeinsamen Bestreben,
immer intensiver das Evangelium der Freiheit der Person und der brüderlichen
Gemeinschaft zu leben.
Die Ordensgemeinschaft in beständiger
Weiterbildung
43. Die gemeinschaftliche Erneuerung hat aus der beständigen
Weiterbildung großen Nutzen gezogen. Sie wird in ihren Grundzügen vom Dokument Potissimum
Institutioni empfohlen und umrissen,(57) und wird von allen
Verantwortlichen der Ordensinstitute als bedeutungsvoll für das Überleben
betrachtet.
Trotz einiger Unsicherheiten (z.B. die Schwierigkeit einer Synthese
ihrer unterschiedlichen Aspekte; die Schwierigkeit, alle Mitglieder einer
Gemeinschaft für die Weiterbildung zu interessieren; die Ansprüche des
Apostolates; das rechte Gleichgewicht von Aktivität und Ausbildung) hat die
Mehrzahl der Ordensinstitute diesbezügliche Initiativen auf zentraler und
lokaler Ebene ins Leben gerufen.
Ein Ziel dieser Initiativen besteht darin, reife, evangeliumsgemäße und
brüderliche Gemeinschaften zu bilden, die fähig sind, die beständige
Weiterbildung im Alltag fortzusetzen. Die Ordensgemeinschaft ist tatsächlich
der Ort, wo die großen Orientierungen dank einer geduldigen und beharrlichen,
täglichen Vermittlung wirksam werden. Die Ordensgemeinschaft ist der Ort und
das natürliche Umfeld des Wachstumsprozesses aller, wo ein jeder für das
Wachstum des anderen mitverantwortlich wird.
Die Ordensgemeinschaft ist außerdem der Ort, wo man sich Tag für Tag
gegenseitig hilft, als gottgeweihter Mensch und als Träger desselben Charismas
auf die Bedürfnisse der Ärmsten und Letzten ebenso wie auf die
Herausforderungen der neuen Gesellschaft zu antworten. Nicht selten mögen die
Antworten auf diese Probleme unterschiedlich sein, mit deutlichen Auswirkungen
auf das gemeinschaftliche Leben. Dies führt zu der Feststellung, daß ein
besonders vordringliches Bedürfnis heute darin besteht, Menschen unterschiedlicher
Bildung und unterschiedlicher apostolischer Ausrichtung in ein und dasselbe
gemeinschaftliche Leben zu integrieren, in dem die Unterschiede nicht mehr
Anlaß zu Gegensätzen bieten, sondern Gelegenheit zur gegenseitigen
Bereicherung. In diesen veränderten und sich verändernden Umständen wird die
einigende Rolle der für die Gemeinschaft Verantwortlichen immer wichtiger;
angesichts deren Aufgabe, das brüderliche und apostolische Leben einer
Gemeinschaft zu animieren, sollte die beständige Weiterbildung für sie
besondere Hilfen vorsehen.
Aus der Erfahrung der vergangenen Jahre verdienen hier zwei
Gesichtspunkte besondere Beachtung: Die gemeinschaftsbezogene Dimension der
evangelischen Räte, und das Charisma.
Die
gemeinschaftsbezogene Dimension der evangelischen Räte
44. Die Ordensprofeß stellt einen Ausdruck der Selbsthingabe an Gott und
die Kirche dar, eine Hingabe jedoch, die innerhalb der Gemeinschaft einer
Ordensfamilie gelebt wird. Die Ordensperson ist nicht nur durch ihre individuelle
Berufung "gerufen", sondern sie ist "zusammengerufen",
ist in eine Gemeinschaft mit anderen gerufen, wo sie ihre tägliche Existenz
"mit anderen teilt".
In diesem "Ja" zu Gott liegt jene Übereinstimmung, die die
verschiedenen Ordensleute untereinander zu ein und derselben Lebensgemeinschaft
verbindet. Als gemeinsam Geweihte, als in demselben "Ja" Geeinte, als
im Heiligen Geist untereinander Verbundene entdecken die Ordensleute täglich,
daß ihre Nachfolge des "gehorsamen, armen und keuschen" Christus in
der Brüderlichkeit gelebt wird, wie es die Jünger taten, die Jesus in seinem
Wirken nachfolgten. Sie sind mit Christus verbunden, und deshalb sind sie
berufen, auch untereinander verbunden zu sein. Sie sind untereinander verbunden
durch die Sendung, sich in prophetischer Weise dem Götzenkult der Macht, des
Besitzes und des Vergnügens zu widersetzen.(58)
Auf diese Weise bindet und eint der Gehorsam das unterschiedlich
ausgerichtete Wollen innerhalb ein und derselben brüderlichen Gemeinschaft, die
in der Kirche eine besondere Sendung zu erfüllen hat.
Der Gehorsam stellt ein "Ja" zum Plan Gottes dar, der einer
Personengruppe eine besondere Aufgabe anvertraut hat. Der Gehorsam steht in
Verbindung mit der Sendung, aber auch mit der Gemeinschaft, die hier und jetzt
gemeinschaftlich ihre Sendung zu verwirklichen hat; der Gehorsam verlangt
außerdem eine durch den Glauben erleuchtete Sicht der Rolle der Obern, die
"ihre Aufgabe des Dienstes und der Führung"(59) wahrnehmen
und die Übereinstimmung von apostolischer Arbeit und Sendung zu schützen haben.
Der allein heilsstiftende Wille Gottes muß so in Gemeinschaft mit den Obern
verwirklicht werden.
Die Armut: Das Teilen des Besitzes - auch des geistlichen -
bildet von Anbeginn an das Fundament der brüderlichen Gemeinschaft. Die Armut
des einzelnen, die einen schlichten und fast herben Lebensstil mit sich bringt,
macht nicht nur von jenen Sorgen frei, die mit persönlichem Besitz verbunden
sind, sondern sie hat stets auch die Gemeinschaft bereichert, die sich dadurch
wirksamer dem Dienst an Gott und den Armen widmen konnte.
Die Armut beinhaltet auch einen wirtschaftlichen Aspekt: es verletzt und
schwächt das brüderliche Leben, wer für sich selbst oder für die eigenen
Angehörigen über Geld verfügt, als ob es das eigene wäre, und wer einen
Lebensstil pflegt, der sich zu stark von jenem der Mitbrüder und von der Armut
seines sozialen Umfeldes abhebt.
Auch die "Armut des Geistes", die Demut, die Einfachheit, das
Anerkennen der Gaben der anderen, die Hochachtung der Vorgaben des Evangeliums,
wie z.B. "ein mit Christus in Gott verborgenes Leben", die Liebe zum
Opfer im Verborgenen, die Wertschätzung der Letzten, das Aufgehen in Dingen,
die nicht belohnt oder nicht anerkannt werden ...; dies alles sind Faktoren,
die einigend auf das brüderliche Leben wirken und aus der gelobten Armut
hervorgehen.
Weil eine Gemeinschaft von "Armen" auf ganz konkrete Weise die
verändernde Kraft der Seligpreisungen vergegenwärtigt, ist sie auch imstande,
mit den Armen solidarisch zu sein und deutlich zu machen, worin das Wesen der
Evangelisierung besteht.
Die gottgeweihte Keuschheit, die auch eine hohe Reinheit des Geistes,
des Herzens und des Leibes einschließt, bringt im Hinblick auf die Gemeinschaft
eine große Freiheit zum Ausdruck, die Freiheit nämlich, Gott und alles, was
sein ist, mit ungeteilter Liebe zu lieben. Sie stellt deshalb eine
vorbehaltlose Bereitschaft dar, alle Menschen zu lieben und für sie da zu sein,
und so die Liebe Christi zu vergegenwärtigen. Eine solche Liebe, die nicht
egoistisch ist, niemanden ausschließt, niemanden in Besitz nimmt und von der
Leidenschaft nicht beherrscht wird, sondern allumfassend ist und selbstlos,
selbst frei und befreiend, und die so wesentlich ist für die Sendung, eine
solche Liebe wird durch ein brüderliches Leben in ihrem Wachsen gefördert. So
rufen alle, die in gottgeweihter Ehelosigkeit leben, "jenen wunderbaren
Ehebund in Erinnerung, den Gott begründet hat und der erst in der kommenden
Welt ganz offenbar wird, den Ehebund der Kirche mit Christus, ihrem einzigen
Bräutigam".(60)
Diese gemeinschaftsbezogene Dimension der Gelübde bedarf jener
beständigen Pflege und Vertiefung, die charakteristische Ziele der beständigen
Weiterbildung darstellen.
45. Das Charisma: Es ist das zweite Element,
das im Rahmen der beständigen Weiterbildung hinsichtlich des Wachsens des
brüderlichen Lebens hervorgehoben werden muß.
"Die Ordensweihe stiftet eine besondere Gemeinschaft zwischen Gott
und der Ordensperson und, in Ihm, zwischen den Mitgliedern ein und desselben
Instituts (...). Ihr Fundament ist jene Gemeinschaft in Christus, die im
einmaligen Ursprungs-Charisma festgelegt ist".(61)
Der Hinweis auf die eigene Gründergestalt und auf das von ihr gelebte
und weitergegebene Charisma, das durch die ganze Lebensspanne des Instituts
bewahrt und entfaltet wurde,(62) ist demnach ein grundlegendes Element
für die Einheit der Gemeinschaft.
In Gemeinschaft leben heißt also, miteinander den Willen Gottes zu
leben, gemäß jener Orientierung durch das Geschenk des Charismas, das der
Gründer von Gott empfing, und das er auf seine Schüler und Nachfahren
übertragen hat.
Indem die Erneuerung dieser Jahre die Bedeutung des Ursprungs-Charismas
auch durch eine reiche theologische Reflexion hervorgehoben hat,(63)
hat sie die Einheit der Gemeinschaft gefestigt, die als Trägerin derselben Gabe
des Geistes verstanden wurde, die sie mit den Brüdern teilen soll, und mit der
sie die Kirche beschenken kann "für das Leben der Welt". Darum sind
jene Bildungs-Programme so hilfreich, die regelmäßige Kurse für Studium und
betendes Überdenken der Gründergestalt, des Charismas und der Konstitutionen
beinhalten.
Das vertiefte Verständnis des Charismas führt zu einer klaren Sicht der
eigenen Identität, um die herum sich Einheit und Gemeinschaft leichter
verwirklichen lassen. Es ermöglicht außerdem eine kreative Anpassung an die
neuen Situationen, was einem Institut wiederum positive Zukunftsperspektiven
bietet.
Das Fehlen einer solchen Klarheit kann auch leicht Unsicherheit
bezüglich der Ziele hervorrufen sowie Verwundungen durch die Bedingungen des
Umfeldes, die kulturellen Strömungen, ja selbst die verschiedenen apostolischen
Erfordernisse, und zudem jede Anpassung und jede Erneuerung vereiteln.
46. Die charismatische Identität ist also zu fördern,
und dies nicht zuletzt, weil eine Verallgemeinerung für die Vitalität
der Ordensgemeinschaft eine echte Gefahr darstellt.
In diesem Zusammenhang wurde auch auf einige Situationen hingewiesen,
die in diesen Jahren die Ordensgemeinschaften verwundet haben und noch immer
verwunden:
die "verallgemeinernde"
Betrachtungsweise - d.h. ohne Einbeziehung des eigenen Charismas -
gewisser Richtlinien der Teilkirche oder gewisser Anregungen, die aus
anderen Spiritualitäten stammen;
eine Form von Einbindung in kirchliche
Bewegungen, die das einzelne Ordensmitglied dem fragwürdigen Phänomen
einer "doppelten Zugehörigkeit" aussetzt;
eine gewisse Anpassung an die Lebensweise der
Laien in den sicherlich notwendigen und oft fruchtbaren Beziehungen zu
ihnen, besonders zu Mitarbeitern. Und so "tarnt" man sich als
Laie, indem man ihre Urteils- und Handlungsweise annimmt und den Beitrag
der eigenen Weihe an Gott herabsetzt, anstatt das eigene religiöse Zeugnis
als ein brüderliches Geschenk anzubieten, das die Echtheit ihres
christlichen Lebens durchdringen sollte;
ein übermäßiges Nachgeben gegenüber den
Ansprüchen der Familie, den Idealen der Nation, der Rasse, des Stammes
oder der sozialen Gruppe, was das Charisma auf einseitige Positionen und
Interessen hin umzubiegen droht;
Die Verallgemeinerung, die das Ordensleben auf einen farblosen,
kleinsten gemeinsamen Nenner reduziert, führt zur Zerstörung von Schönheit und
Fruchtbarkeit jener Vielfalt von Charismen, die vom Geist ins Leben gerufen
sind.
Die Autorität im Dienste der
Brüderlichkeit
47. Allgemein besteht der Eindruck, die Entwicklung dieser Jahre habe
das brüderliche Leben in den Gemeinschaften reifer gemacht. In vielen
Gemeinschaften ist das Klima des Zusammenlebens besser geworden: man gab mehr
Raum für die aktive Beteiligung aller, man ging von einem zu stark auf
Observanz gründenden Gemeinschaftsleben über zu einem Leben, das die
Bedürfnisse des einzelnen besser berücksichtigt und aufmerksamer ist in
menschlichen Belangen. Das Bemühen, Gemeinschaften zu schaffen, die leichter
lebbar sind, weniger formalistisch, weniger autoritär, die brüderlicher und
verinnerlichter sind, wird allgemein als eine der auffallendsten Früchte der
Erneuerung der letzten Jahre angesehen.
48 Diese positive Entwicklung war manchmal in Gefahr,
durch ein Gefühl des Mißtrauens gegenüber der Autorität verfälscht zu werden.
Das Verlangen nach einer tieferen communio unter den Mitgliedern und die
verständliche Reaktion gegen Strukturen, die als zu autoritär und zu starr
empfunden wurden, führte dazu, die Rolle der Autorität in ihrer ganzen
Tragweite zu verkennen, die von einigen als schlechthin überflüssig für das
Gemeinschaftsleben bezeichnet, von anderen dagegen lediglich auf die Aufgabe
der Koordinierung der Initiativen der Mitglieder eingeschränkt wurde. Auf diese
Weise gelangten einige Gemeinschaften dahin, ohne verantwortlichen Leiter zu
leben, während andere sämtliche Entscheidungen gemeinschaftlich trafen. Dies
alles birgt die nicht nur hypothetische Gefahr eines Auseinanderbrechens des
Gemeinschaftslebens in sich, was dann unausweichlich dazu führt,
Einzelgängertum zu fördern und gleichzeitig die Rolle der Autorität zu
verdunkeln, eine Rolle, die nicht nur für den geistlichen Weg der gottgeweihten
Person notwendig ist, sondern auch für das Wachsen des brüderlichen Lebens in
Gemeinschaft.
Andererseits führen die Ergebnisse dieser Experimente schrittweise hin
zur Wiederentdeckung der Notwendigkeit und der Bedeutung einer persönlichen
Autorität, was in Kontinuität mit der ganzen Tradition des Ordenslebens steht.
Wenn das verbreitete Klima der Demokratisierung auch das Wachsen der
Mitverantwortlichkeit und der Teilnahme aller an Entscheidungsprozessen
innerhalb der Ordensgemeinschaft gefördert haben mag, so darf man doch nicht
vergessen, daß Brüderlichkeit nicht nur ein Ergebnis menschlichen Bemühens ist,
sondern auch, und ganz besonders, ein Geschenk Gottes. Sie ist ein Geschenk,
das dem Gehorsam gegenüber Gottes Wort entspringt, und im Ordensleben auch dem
Gehorsam gegenüber der Autorität, die an dieses Wort erinnert und es mit den
konkreten Situationen verbindet, ganz gemäß dem Geist des Instituts.
"Wir bitten euch aber, Brüder, anerkennt jene, die unter euch sich
mühen, die eure Vorsteher sind im Herrn und euch ermahnen. Schätzt sie
besonders hoch in Liebe, wegen ihres Wirkens" (1 Thess 5,12-13). Die
christliche Gemeinschaft ist wirklich kein anonymes Kollektiv, sondern ihr sind
von Anfang an Vorsteher geschenkt, für die der Apostel um Rücksicht, Achtung und
Liebe bittet.
In den Ordensgemeinschaften ist diese Autorität, der Aufmerksamkeit und
Respekt auch kraft des gelobten Gehorsams geschuldet wird, auch in den Dienst
der zu verwirklichenden Brüderlichkeit sowie der Erreichung ihrer geistlichen
und apostolischen Zielsetzungen gestellt.
49. Die Erneuerungsbewegung dieser Jahre hat dazu
beigetragen, das Bild der Autorität neu zu zeichnen, in der Absicht, diese
enger mit ihren evangelischen Wurzeln zu verbinden und damit mit dem Dienst für
den geistlichen Fortschritt des einzelnen und für den Aufbau des brüderlichen
Lebens in der Gemeinschaft.
Jede Gemeinschaft hat ihre eigene Sendung. Der Dienst der Autorität
richtet sich also auf eine Gemeinschaft, die eine besondere, ihr vom Institut
und dessen Charisma übertragene und umschriebene Sendung zu erfüllen hat. Aus
der Verschiedenheit der Sendungen ergeben sich unterschiedliche Formen von
Gemeinschaften, und demzufolge auch von Diensten der Autorität. Auch dies ist
ein Grund dafür, daß es innerhalb des Ordenslebens verschiedene, vom Eigenrecht
festgelegte Arten gibt, Autorität zu verstehen und auszuüben.
Immer jedoch stellt die evangeliumsgemäße Autorität einen Dienst dar.
50. Die Erneuerung dieser Jahre betont
einige Aspekte der Autorität.
a) Eine geistliche Autorität
Wenn die gottgeweihten Personen sich dem umfassenden Dienste Gottes
widmen, dann fördert und stützt die Autorität diese ihre Weihe. In gewisser
Weise kann die Autorität verstanden werden als "Dienerin der Diener
Gottes". Der Autorität kommt die vornehmliche Aufgabe zu, zusammen mit
ihren Brüdern und Schwestern "brüderliche Gemeinschaften aufzubauen, in
der Gott vor allem gesucht und geliebt wird".(64) Es ist also
erforderlich, daß sie vor allem anderen eine geistlich geprägte Person sei,
überzeugt vom Primat des Geistlichen sowohl im persönlichen Leben wie auch in
der Verwirklichung des brüderlichen Lebens, d.h. daß sie sich bewußt sei, daß
die Herzen sich desto enger untereinander verbinden, je mehr die Liebe zu Gott
in ihnen wächst.
Die vorrangige Aufgabe der Autorität wird also in der geistlichen,
gemeinschaftlichen und apostolischen Motivierung ihrer Gemeinschaft liegen.
b) Eine Autorität, die Einheit bewirkt
Eine Autorität, die Einheit bewirkt, ist jene, die sich bemüht, ein
günstiges Klima für Austausch und Mitverantwortung zu schaffen; die den Beitrag
aller hinsichtlich der gemeinsamen Interessen anregt; die die Mitbrüder zur
Übernahme von Verantwortung ermutigt und sie respektiert; die "den
Gehorsam der Mitbrüder fördert in Achtung vor der menschlichen Person";(65)
die gerne auf die Mitbrüder hört und deren einträchtiges Wirken zum Wohl des
Instituts und der Kirche fördert;(66) die den Dialog praktiziert und
angemessene Gelegenheit zur Begegnung schafft; die in schwierigen Momenten Mut
und Hoffnung zu vermitteln versteht; die nach vorne schaut, um der Sendung neue
Horizonte zu erschließen. Und weiter: eine Autorität, die die verschiedenen
Aspekte des Gemeinschaftslebens im Gleichgewicht zu halten bemüht ist: Gleichgewicht
von Gebet und Arbeit, von Apostolat und Ausbildung, von Tätigkeit und Erholung.
Die Autorität des Obern und der Oberin dient also dazu, daß das
Ordenshaus nicht einfach ein Aufenthaltsort, ein Agglomerat von Einzelgängern
sei, von denen jeder seine eigene Geschichte lebt, sondern eine
"brüderliche Gemeinschaft in Christus".(67)
c) Eine Autorität, die die letzte Entscheidung trifft und deren
Ausführung sichert.
Die gemeinsame Entscheidungsfindung ist gewiß ein nützliches
Verfahren, auch wenn es nicht leicht und nicht selbstverständlich ist, da es
menschliche Kompetenz, geistliche Weisheit und Zurücknahme der eigenen Person
erfordert. Dort, wo sie ernsthaft und gläubig praktiziert wird, schafft sie der
Autorität die besten Bedingungen für die notwendigen Entscheidungen zum Wohl
des brüderlichen Lebens und der Sendung.
Wenn dann einmal eine Entscheidung gemäß den Vorschriften des
Eigenrechtes getroffen ist, dann sind Beharrlichkeit und Kraft seitens des
Obern gefordert, damit die Beschlüsse nicht nur auf dem Papier bleiben.
51. Es ist außerdem unabdingbar, daß das Eigenrecht
möglichst präzise die verschiedenen Kompetenzen der Gemeinschaften, der Räte,
der Amtsträger und des Obern umschreibt. Unklarheiten in diesem Bereich bieten
oft Anlaß zu Konfusion und zu Konflikten.
Auch die "gemeinschaftlichen Projekte", die einer Beteiligung
am Gemeinschaftsleben und seiner unterschiedlichen Aufgaben nützen können,
sollten sorgsam darauf bedacht sein, die Aufgabe und Kompetenz der Autorität in
Übereinstimmung mit den Konstitutionen klar festzulegen.
52. Eine brüderliche und geeinte Gemeinschaft ist
immer mehr dazu berufen, ein wichtiges und zeichenhaftes Element der
Gegenkultur des Evangeliums zu sein, Salz der Erde und Licht der Welt.
So kann die Ordensgemeinschaft beispielsweise in der westlichen, vom
Individualismus beherrschten Gesellschaft, ein prophetisches Zeichen dafür
sein, daß es möglich ist, in Christus Brüderlichkeit und Solidarität zu
verwirklichen, während sie in den von Autoritarismus oder Kommunitarismus
geprägten Kulturen ein Zeichen für die Achtung und Entwicklung der menschlichen
Person und für eine, dem Willen Gottes gemäße Ausübung der Autorität sein kann.
In der Tat, während die Ordensgemeinschaft die Kultur des jeweiligen
Ortes annehmen soll, ist es gleichzeitig auch ihre Aufgabe, diese durch das
Salz und das Licht des Evangeliums zu reinigen und zu erheben, indem sie in
ihrer realen Brüdergemeinschaft eine konkrete Synthese dessen aufzeigt, was
nicht nur eine Evangelisierung der Kultur, sondern auch eine evangelisierende
Inkulturation und eine inkulturierte Evangelisierung ist.
53. Schließlich darf nicht vergessen werden, daß in
dieser ganzen, delikaten, komplexen und oft leidvollen Frage der Glaube eine entscheidende
Rolle spielt, der es ermöglicht, das Heilsgeheimnis des Gehorsams zu
begreifen.(68) So, wie durch den Ungehorsam eines Menschen die
menschliche Familie auseinanderbrach, und wie durch den Gehorsam des neuen
Menschen ihre Zusammenführung begann (vgl. Röm 5,19), ebenso wird die Haltung
des Gehorsams für jedes Leben in einer Familie immer eine unverzichtbare Kraft
darstellen.
Das Ordensleben hat immer aus dieser Glaubensüberzeugung gelebt, und
auch heute noch ist es gerufen, sie mutig zu leben, um in seinem Bemühen um
brüderliche Beziehungen nicht ins Leere zu laufen und in der Kirche und der
Gesellschaft eine dem Evangelium entsprechende, bedeutsame Wirklichkeit
darzustellen.
Die Brüderlichkeit als Zeichen
54. Besonders in den Instituten mit apostolischen Aufgaben waren die
Beziehungen zwischen brüderlichem Leben und apostolischer Tätigkeit nicht immer
geklärt und haben öfters zu Spannungen im einzelnen wie auch in der
Gemeinschaft geführt. Manch einer empfand das "auf Gemeinschaft
machen" als ein Hindernis für die Sendung, als eine Zeitverschwendung mit
Nebensächlichkeiten. Allen muß ins Gedächtnis gerufen werden, daß die
brüderliche Gemeinschaft als solche bereits ein Apostolat ist und unmittelbar
zur Evangelisierung beiträgt. Das herausragende Zeichen, das der Herr
hinterlassen hat, ist nämlich das der gelebten Brüderlichkeit: "Daran
sollen sie erkennen, daß ihr meine Jünger seid, daß ihr einander liebt"
(Joh 13,35).
Neben dem Auftrag, das Evangelium aller Kreatur zu verkünden (vgl. Mt
28, 19-20), hat der Herr seine Jünger dazu ausgesandt, als Brüder miteinander
zu leben, "damit die Welt glaubt", daß Jesus der Gesandte des Vaters
ist, und daß ihm die volle Zustimmung des Glaubens gebührt (vgl. Joh 17, 21).
Dem Zeichen der Brüderlichkeit kommt also höchste Bedeutung zu, denn es ist
jenes Zeichen, das den göttlichen Ursprung der christlichen Botschaft aufzeigt
und die Kraft besitzt, die Herzen für den Glauben zu öffnen. Darum kann auch
gesagt werden, daß "die ganze Fruchtbarkeit des Ordenslebens von der
Qualität des brüderlichen Lebens in Gemeinschaft abhängig ist".(69)
55. Je nach dem, wie die Ordensgemeinschaft das
brüderliche Leben in ihrer Mitte pflegt, vergegenwärtigt sie fortwährend und
erkennbar dieses "Zeichen", dessen die Kirche vor allem in der
Aufgabe der Neuevangelisierung bedarf.
Auch aus diesem Grunde liegt der Kirche das brüderliche Leben der
Ordensgemeinschaften am Herzen: je stärker die brüderliche Liebe ist, um so
größer ist die Glaubwürdigkeit der verkündeten Botschaft, und um so klarer wird
die Bedeutung des innersten Geheimnisses der Kirche als Sakrament und der
Verbindung der Menschen mit Gott und untereinander.(70)
Ohne bereits das "Ganze" der Sendung der Kirche sein zu
wollen, ist das brüderliche Leben doch ein wesentlicher Teil davon. Das
brüderliche Leben ist genauso wichtig wie die apostolische Tätigkeit.
Man kann sich also nicht auf die Notwendigkeiten des apostolischen
Dienstes berufen, um Mängel im Gemeinschaftsleben zuzulassen oder zu rechtfertigen.
Die Tätigkeit der Ordensleute muß eine Tätigkeit von Menschen sein, die
gemeinsam leben, die ihr Tun durch eine gemeinschaftliche Gesinnung prägen, die
den Geist der Gemeinschaft durch Wort, Tat und Beispiel verbreiten.
Besondere Umstände, die im folgenden behandelt werden, können
Anpassungen erforderlich machen, die jedoch nicht dazu führen dürfen, die
Ordensperson von der communio und dem Geist der eigenen Gemeinschaft zu
entfremden.
56. Wenn die Ordensgemeinschaft sich ihrer Verantwortung
gegenüber der großen brüderlich-schwesterlichen Gemeinschaft, die die Kirche
darstellt, bewußt ist, dann beweist sie auch, daß es möglich ist, die
christliche Brüderlichkeit zu leben, und sie zeigt den Preis, den die
Verwirklichung einer jeglichen Form von brüderlichem Leben erfordert.
Inmitten der Gesellschaften dieser Erde, die von Leidenschaften und
entgegengesetzten Interessen geprägt und zerrissen sind, die sich nach Einheit
sehnen, die jedoch unsicher sind bezüglich des Weges, der zu ihr führt,
inmitten dieser Gesellschaften stellt die Anwesenheit von Gemeinschaften, in
denen sich Menschen unterschiedlichen Alters, Sprache und Kultur als Brüder und
Schwestern begegnen und die trotz der unvermeidlichen Konflikte und
Schwierigkeiten, die das Gemeinschaftsleben mit sich bringt, untereinander
verbunden bleiben, bereits ein Zeichen dar, das auf etwas Höheres hinweist und
die Blicke nach oben richtet.
"Die Ordensgemeinschaften, die durch ihr Leben die Freude und den
menschlichen und übernatürlichen Wert der christlichen Brüderlichkeit
verkünden, bezeugen vor unserer Gesellschaft durch die Sprache der Fakten die
verändernde Kraft der Frohen Botschaft".(71)
"Über allem stehe die Liebe; sie ist das Band der
Vollkommenheit" (Kol 3,14), jene Liebe, die von Christus gelehrt und
gelebt und durch seinen Geist uns mitgeteilt worden ist. Diese Liebe ist es,
die einig macht und die dazu drängt, die Erfahrung der Gemeinschaft mit Gott
und den Brüdern auch anderen mitzuteilen. Sie macht also zu Aposteln, indem sie
die Gemeinschaften zur Sendung hindrängt, ob diese nun in der Kontemplation, in
der Verkündigung des Wortes oder in karitativem Dienst bestehe. Die Liebe
Gottes möchte in die Welt einbrechen: so wird die brüderliche Gemeinschaft zur
Missionarin für diese Liebe und zum konkreten Zeichen ihrer einigenden Kraft.
57. Die Qualität des brüderlichen Lebens hat auch
einen bedeutenden Einfluß auf die Beharrlichkeit der einzelnen Ordensperson.
So wie Mängel im brüderlichen Leben häufig als Motiv für Austritte
angegeben werden, stellt die gelebte Brüderlichkeit bis heute eine wirksame
Stütze dar für die Ausdauer vieler.
In einer wirklich brüderlichen Gemeinschaft fühlt ein jeder sich
mitverantwortlich für die Treue des anderen; jeder leistet seinen Beitrag zu
einer gelösten Atmosphäre echter Lebensgemeinschaft, die gekennzeichnet ist von
Verständnis und gegenseitiger Hilfe; jeder ist sensibel für Müdigkeit, Leid,
Einsamkeit und Mutlosigkeit des Mitbruders; jeder hilft dem durch Prüfungen und
Schwierigkeiten Bedrängten.
Auf diese Weise wird eine Ordensgemeinschaft, die die Beharrlichkeit
ihrer Mitglieder stützt, auch zum Zeichen für die fortwährende Treue Gottes,
und somit zu einer Stütze für Glauben und Treue der Christen, die in einer Welt
leben müssen, die den Wert der Treue immer weniger zu kennen scheint.
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