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Ioannes Paulus PP. II
Dominum et vivificantem

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3. Der Heilige Geist im inneren Konflikt des Menschen

55. Leider ergibt sich aus der Heilsgeschichte, daß jenes Nahekommen und Gegenwärtigwerden Gottes gegenüber dem Menschen und der Welt, jenes wunderbare »Sichherablassen« des Geistes in unserer menschlichen Wirklichkeit auf Widerstand und Ablehnung stößt. Wie beredt sind in dieser Hinsicht die prophetischen Worte des greisen Simeon, der in Jerusalem »vom Geist in den Tempel geführt wurde«, um vor dem neugeborenen Kind von Betlehem zu verkünden, daß dieser »dazu bestimmt ist, daß in Israel viele durch ihn zu Fall kommen und viele aufgerichtet werden, und er ein Zeichen sein wird, dem widersprochen wird«232.

Der Gegensatz zu Gott, der unsichtbarer Geist ist, ergibt sich in gewissem Maße schon auf der Ebene der grundsätzlichen Verschiedenheit der Welt von ihm, das heißt aus ihrer »Sichtbarkeit« und »Stofflichkeit« im Vergleich zu ihm, der »unsichtbar« und »absoluter Geist« ist; aus ihrer wesensmäßigen und unvermeidlichen Unvollkommenheit im Vergleich zu ihm, dem vollkommensten Sein. Der Gegensatz aber wird zum Konflikt, zur Auflehnung im ethischen Bereich, durch jene Sünde, die sich des menschlichen Herzens bemächtigt, in dem »das Begehren des Fleisches sich gegen den Geist richtet, das Begehren des Geistes aber gegen das Fleisch«233. Dieser Sünde muß der Heilige Geist »die Welt überführen«, wie wir schon gesagt haben. Der heilige Paulus ist derjenige, der die Spannung und den Kampf im menschlichen Herzen in besonders beredter Weise beschreibt. »Darum sage ich«, so lesen wir im Brief an die Galater: »Laßt euch vom Geist leiten, dann werdet ihr das Begehren des Fleisches nicht erfüllen. Denn das Begehren des Fleisches richtet sich gegen den Geist, das Begehren des Geistes aber gegen das Fleisch; beide stehen sich als Feinde gegenüber, so daß ihr nicht imstande seid, das zu tun, was ihr wollt«234. Schon im Menschen, als einem aus Geist und Körper zusammengesetztem Wesen, besteht eine gewisse Spannung, ein gewisser Richtungskampf zwischen dem »Geist« und dem Fleisch«. Dieser aber gehört in Wirklichkeit zum Erbe der Sünde; er ist deren Folge und zugleich deren Bestätigung. Er gehört zur täglichen Erfahrung. So schreibt der Apostel: »Die Werke des Fleisches sind deutlich erkennbar: Unzucht, Unsittlichkeit, ausschweifendes Leben, ... Trink-und Eßgelage und ähnliches mehr«. Es sind Sünden, die man als »fleischlich« bezeichnen könnte. Der Apostel aber fügt noch andere hinzu: »Feindschaften, Streit, Eifersucht, ... Spaltungen, Parteiungen, Neid«235. Dies alles sind »Werke des Fleisches«.

Diesen Werken, die zweifellos böse sind, stellt Paulus aber »die Frucht des Geistes« gegenüber, wie »Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung«236. Aus dem Zusammenhang ergibt sich deutlich, daß es dem Apostel nicht darum geht, den Körper zu diskriminieren und zu verurteilen, der zusammen mit der Geistseele die Natur des Menschen und seine personale Subjektivität bildet; er handelt vielmehr von den Werken oder besser von den habituellen Verhaltensweisen - Tugenden und Lastern -, die sittlich gut oder böse sind als Frucht der Unterordnung (im ersten Fall) oder des Widerstandes (im zweiten) gegen das Heilswirken des Heiligen Geistes. Deshalb schreibt der Apostel: »Wenn wir aus dem Geist leben, dann wollen wir dem Geist auch folgen«237. Und an anderer Stelle: »Denn alle, die vom Fleisch bestimmt sind, trachten nach dem, was dem Fleisch entspricht, alle, die vom Geist bestimmt sind, nach dem, was dem Geist entspricht«; »ihr aber seid... vom Geist bestimmt, da ja der Geist Gottes in euch wohnt«238. Der Gegensatz, den der heilige Paulus zwischen dem Leben »nach dem Geist« und dem Leben »nach dem Fleisch« feststellt, verursacht einen weiteren Gegensatz: den zwischen »Leben« und »Tod«. »Das Trachten des Fleisches führt zum Tod, das Trachten des Geistes aber zu Leben und Frieden«; von daher die Mahnung: »Wenn ihr nach dem Fleisch lebt, müßt ihr sterben; wenn ihr aber durch den Geist die (sündigen) Taten des Leibes tötet, werdet ihr leben«239.

Gut zu beachten ist, daß dies eine Mahnung ist, in der Wahrheit zu leben, das heißt nach den Geboten des rechten Gewissens, und zugleich ein Bekenntnis des Glaubens an den Geist der Wahrheit als den, der lebendig macht. Der Leib nämlich ist »tot aufgrund der Sünde, der Geist aber ist Leben aufgrund der Gerechtigkeit ... Wir sind also nicht dem Fleisch verpflichtet..., so daß wir nach dem Fleisch leben müßten«240. Wir sind vielmehr Christus verpflichtet, der im Ostergeheimnis unsere Rechtfertigung gewirkt hat, indem er uns den Heiligen Geist erlangt hat: »Denn um einen teuren Preis seid ihr erkauft worden«241.

In den Texten des heiligen Paulus überlagern sich - und durchdringen sich gegenseitig - die ontologische Dimension (das Fleisch und der Geist), die ethische (das sittlich Gute und Böse), die pneumatologische (das Wirken des Heiligen Geistes in der Gnadenordnung). Seine Worte (besonders im Römer-und Galaterbrief) lassen uns die Größe jener Spannung und jenes Kampfes lebendig empfinden, der im Menschen zwischen der Öffnung gegenüber dem Wirken des Heiligen Geistes und dem Widerstand und der Auflehnung gegen ihn, gegen sein Heilsangebot, stattfindet. Die entgegengesetzten Begriffe oder Pole sind von seiten des Menschen seine Begrenztheit und Sündhaftigkeit, neuralgische Punkte seiner psychologischen und ethischen Wirklichkeit; von seiten Gottes das Geheimnis des Geschenkes, jenes ununterbrochene Sichschenken des göttlichen Lebens im Heiligen Geist. Wer wird den Sieg davontragen? Derjenige, der das Geschenk anzunehmen versteht.

56. Der Widerstand gegen den Heiligen Geist, den der heilige Paulus in der inneren und subjektiven Dimension als Spannung, Kampf und Auflehnung im menschlichen Herzen unterstreicht, findet leider in den verschiedenen Geschichtsepochen und besonders in unserer modernen Zeit auch ihre äußere Dimension, indem er sich als Inhalt der Kultur und der Zivilisation, als philosophisches System, als Ideologie, als Aktions-und Bildungsprogramm für das menschliche Verhalten konkretisiert. Dieser Widerstand findet seinen höchsten Ausdruck im Materialismus, sei es in seiner theoretischen Form, als Gedankensystem, sei es in seiner praktischen Form, als Methode der Interpretation und Bewertung der Tatsachen sowie als Programm eines entsprechenden Verhaltens. Das System, das diese Denkweise, Ideologie und Praxis am meisten entwickelt und zu den äußersten praktischen Konsequenzen geführt hat, ist der dialektische und historische Materialismus, der noch immer als die Lebenssubstanz des Marxismus gilt. Grundsätzlich und de facto schließt der Materialismus die Gegenwart und das Wirken Gottes, der Geist ist, in der Welt und vor allem im Menschen aus; und zwar aus dem Hauptgrund, weil er dessen Existenz leugnet, da er von seinem Wesen und Programm her ein atheistisches System ist. Es ist das beeindruckende Phänomen unserer Zeit, dem das II. Vatikanische Konzil einige bezeichnende Seiten gewidmet hat: der Atheismus242. Wenn man auch vom Atheismus nicht auf univoke Weise sprechen noch ihn ausschließlich auf die materialistische Philosophie reduzieren kann, da es verschiedene Arten von Atheismus gibt und man vielleicht sagen kann, daß dieser Begriff oft in einem mehrdeutigen Sinn gebraucht wird, so ist doch sicher, daß ein wirklicher und echter Materialismus, verstanden als Theorie, die die Wirklichkeit erklärt, und angewandt als Grundprinzip des persönlichen und gesellschaftlichen Handelns, einen atheistischen Charakter hat. Der Horizont der Werte und Zielsetzungen des Handelns, den dieser aufweist, ist eng mit der Interpretation der Gesamtwirklichkeit als »Materie« verbunden. Wenn er auch manchmal, wie zum Beispiel im Bereich der Kultur und der Moral, von »Geist« und von »Fragen des Geistes« spricht, dann tut er das nur, insofern er gewisse Fakten als Folgeerscheinungen (Phänomene) der Materie betrachtet, die nach diesem System die einzige und ausschließliche Seinsweise darstellt. Daraus folgt, daß nach einer solchen Interpretation die Religion nur als eine »idealistische Illusion« verstanden werden kann, die es in der nach den jeweiligen Orten und geschichtlichen Umständen geeignetsten Weise und mit den jeweils brauchbarsten Mitteln zu bekämpfen gilt, um sie aus der Gesellschaft und aus dem Herzen des Menschen selbst auszureißen.

Man kann deshalb sagen, daß der Materialismus die systematische und kohärente Weiterentwicklung jenes »Widerstandes« und Gegensatzes ist, den Paulus mit den Worten aufzeigt: »Das Begehren des Fleisches richtet sich gegen den Geist«. Diese Konfliktsituation ist aber beiderseitig, wie der Apostel im zweiten Teil seiner Aussage hervorhebt: »Das Begehren des Geistes aber richtet sich gegen das Fleisch«. Wer nach dem Geist leben möchte, in der Annahme und im Einklang mit seinem Heilswirken, muß notwendig die inneren und äußeren Neigungen und Forderungen des »Fleisches«, auch in seiner ideologischen und geschichtlichen Erscheinungsform des religionsfeindlichen »Materialismus«, zurückweisen. Vor diesem Hintergrund, der für unsere Zeit so kennzeichnend ist, muß man bei den Vorbereitungen auf das große Jubiläum das »Begehren des Geistes« hervorheben als fordernde Rufe, die in der Nacht eines neuen Advents erschallen, an dessen Ende wie vor zweitausend Jahren »alle Menschen das Heil sehen, das von Gott kommt«243. Das ist eine Möglichkeit und eine Hoffnung, welche die Kirche den Menschen von heute anvertraut. Sie weiß, daß der Zusammenstoß zwischen dem »Begehren gegen den Geist«, das so viele Aspekte der modernen Zivilisation kennzeichnet, besonders in einigen Bereichen, und dem »Begehren gegen das Fleisch« mit dem Kommen Gottes, mit seiner Menschwerdung und seinem stets neuen Sichmitteilen im Heiligen Geist in vielen Fällen einen dramatischen Charakter annehmen und vielleicht zu neuen menschlichen Niederlagen führen kann. Sie glaubt aber fest, daß es sich von seiten Gottes immer um ein heilbringendes Sichmitteilen, um ein heilsames Kommen und ein erlösendes »Offenlegen der Sünde« durch das Wirken des Geistes handelt.

57. In der paulinischen Gegenüberstellung von »Geist« und »Fleisch« ist auch der Gegensatz zwischen »Leben« und »Tod« enthalten. Ein schwerwiegendes Problem, zu dem sofort zu sagen ist, daß der Materialismus als Gedankensystem in allen seinen Formen die Annahme des Todes als endgültigen Endes der menschlichen Existenz bedeutet. Alles, was materiell ist, ist vergänglich, und deswegen ist der menschliche Körper (sofern »animalisch«) sterblich. Wenn der Mensch in seinem Wesen nur »Fleisch« ist, bleibt der Tod für ihn unüberwindliche Grenze und endgültiges Ende. So kann man verstehen, wie man sagen kann, daß das menschliche Leben ausschließlich ein »Sein zum Sterben« ist. Man muß hinzufügen, daß am Horizont der heutigen Zivilisation - besonders in der technisch-wissenschaftlich am höchsten entwickelten - die Zeichen und Hinweise auf den Tod besonders häufig anzutreffen sind. Es genügt, an den Rüstungswettlauf und an die darin enthaltene Gefahr einer nuklearen Selbstzerstörung zu denken. Andererseits ist die schwierige Lage in weiten Gebieten auf unserem Planeten, die von Not und Hungertod gekennzeichnet sind, allen immer bewußter geworden. Es geht dabei nicht nur um wirtschaftliche, sondern auch und vor allem um ethische Probleme. Aber am Horizont unserer Zeit verdichten sich noch finsterere »Zeichen des Todes«: Es hat sich die Sitte verbreitet - die an einigen Orten fast eine Institution zu werden droht -, den menschlichen Wesen, noch bevor sie geboren werden oder bevor sie zur natürlichen Grenze des Todes gelangt sind, das Leben zu nehmen. Ferner sind trotz vieler ehrlicher Anstrengungen für den Frieden neue Kriege ausgebrochen und im Gange, die Hunderttausenden von Menschen das Leben oder die Gesundheit rauben. Und wie könnte man die Attentate auf das menschliche Leben von seiten des Terrorismus vergessen, der auch auf internationaler Ebene organisiert ist?

Dies ist leider nur ein partieller und unvollständiger Überblick über das Bild des Todes, das sich in unserer Epoche darbietet, während wir uns immer mehr dem Ende des zweiten christlichen Jahrtausends nähern. Steigt nicht aus den dunklen Schatten der materialistischen Zivilisation und vor allem von jenen »Zeichen des Todes«, die im soziologisch-geschichtlichen Rahmen, in dem diese sich verwirklicht, immer zahlreicher werden, vielleicht ein neuer, mehr oder weniger bewußter Ruf nach dem Geist auf, der lebendig macht? In jedem Fall bleibt auch unabhängig vom Ausmaß der menschlichen Hoffnung oder Verzweiflung sowie der Illusionen oder der Täuschungen, die sich aus der Entwicklung der materialistischen Gedanken und Lebenssysteme ergeben, die christliche Gewißheit, daß »der Geist weht, wo er will« und daß wir »die Erstlingsgabe des Geistes« besitzen. Auch wir können den Leiden der vergänglichen Zeit unterworfen werden, aber »wir seufzen in unserem Herzen und warten... auf die Erlösung unseres Leibes«244, das heißt unseres ganzen menschlichen Seins, körperlich und geistig. Wir seufzen, gewiß, aber in einer Erwartung voll unvergänglicher Hoffnung, weil sich gerade diesem menschlichen Wesen Gott genähert hat, der Geist ist. Gott Vater sandte »seinen Sohn in der Gestalt des Fleisches, das unter der Macht der Sünde steht, zur Sühne für die Sünde, um... die Sünde zu verurteilen«245. Auf dem Höhepunkt des Ostergeheimnisses ist der Sohn Gottes, der für die Sünden der Welt Mensch geworden und gekreuzigt worden ist, nach seiner Auferstehung in der Mitte seiner Apostel erschienen, hat sie angehaucht und ihnen gesagt: »Empfangt den Heiligen Geist«. Dieses »Hauchen« setzt sich für immer fort. Und siehe, »der Geist nimmt sich unserer Schwachheit an«246.

 




232 Lk 2, 27.34.



233 Gal 5, 17.



234 Gal 5, 16 f.



235 Vgl. Gal 5. 19-21.



236 Gal 5, 22 f.



237 Gal 5, 25.



238 Röm 8, 5. 9.



239 Röm 8, 6. 13.



240 Röm 8, 10. 12.



241 1 Kor 6, 20.



242 Vgl. Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute »Gaudium et spes«, 19. 20. 21.



243 Lk 3, 6; vgl. Jes 40, 5.



244 Vgl. Röm 8, 23.



245 Röm 8, 3.



246 Röm 8, 26.






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