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Ioannes Paulus PP. II
Dominum et vivificantem

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II. DER GEIST,
DER DIE WELT IHRER SÜNDE ÜBERFÜHRT

 

1. Sünde, Gerechtigkeit und Gericht

27. Als Jesus während der Abschiedsrede im Abendmahlssaal das Kommen des Heiligen Geistes um den »Preis« seines Fortgehens ankündigt und verspricht: »Wenn ich fortgehe, werde ich ihn zu euch senden«, fügt er im gleichen Zusammenhang hinzu: »Und wenn er kommt, wird er die Welt überführen (und aufdecken), was Sünde, Gerechtigkeit und Gericht ist«102. Derselbe Beistand und Geist der Wahrheit, der versprochen ist als derjenige, der »lehren« und »erinnern«, der »Zeugnis ablegen« und »in die ganze Wahrheit einführen wird«, wird mit den soeben zitierten Worten angekündigt als jener, der »die Welt überführen (und aufdecken) wird, was Sünde, Gerechtigkeit und Gericht ist«. Bedeutungsvoll erscheint auch der Kontext. Jesus verbindet diese Ankündigung des Heiligen Geistes mit den Worten, die auf sein »Fortgehen« durch das Kreuz hinweisen, und unterstreicht sogar dessen Notwendigkeit: »Es ist gut für euch, daß ich fortgehe. Denn wenn ich nicht fortgehe, wird der Beistand nicht zu euch kommen«103.

Noch wichtiger aber ist die Erklärung, die Jesus selbst zu diesen drei Worten - Sünde, Gerechtigkeit, Gericht - hinzufügt. Denn er sagt: »Er wird die Welt überführen (und aufdecken), was Sünde, Gerechtigkeit und Gericht ist; Sünde, daß sie nicht an mich glauben; Gerechtigkeit, daß ich zum Vater gehe und ihr mich nicht mehr seht; Gericht, daß der Herrscher dieser Welt gerichtet ist«104. Sünde, Gerechtigkeit und Gericht haben im Denken Jesu einen sehr bestimmten Sinn, der sich von dem unterscheidet, den einer vielleicht diesen Worten geben möchte, unabhängig von der Erklärung dessen, der hier spricht. Diese Erklärung weist auch darauf hin, wie jenes »die Welt überführen« verstanden werden soll, welches der Heilige Geist bewirkt. Hier ist sowohl die Bedeutung der einzelnen Worte wie auch die Tatsache wichtig, daß Jesus sie miteinander im selben Satz verbunden hat.

»Sünde« bezeichnet an dieser Stelle den Unglauben, den Jesus inmitten der »Seinen« angetroffen hat, angefangen von seinen Mitbürgern in Nazaret. Sie bedeutet die Ablehnung seiner Sendung, die die Menschen dazu führt, ihn zum Tod zu verurteilen. Wenn Jesus anschließend von »Gerechtigkeit« spricht, scheint er jene endgültige Gerechtigkeit vor Augen zu haben, die der Vater ihm zuteil werden läßt, wenn er ihn mit der Herrlichkeit der Auferstehung und der Himmelfahrt bekleidet: »Ich gehe zum Vater«. Im Zusammenhang der so verstandenen »Sünde« und »Gerechtigkeit« bedeutet »Gericht« sodann, daß der Geist der Wahrheit die Schuld der »Welt« an der Verurteilung Jesu zum Tod am Kreuz aufzeigen wird. Doch ist Christus nicht nur in die Welt gekommen, um sie zu richten und zu verurteilen: Er ist gekommen, um sie zu retten105. Die Welt der Sünde und der Gerechtigkeit zu überführen, hat ihre Rettung zum Ziel, das Heil der Menschen. Genau diese Wahrheit scheint durch die Feststellung betont zu werden, daß das »Gericht« nur den »Herrscher dieser Welt«, das heißt Satan, betrifft, der von Anfang an das Werk der Schöpfung gegen das Heil, gegen den Bund und die Einheit des Menschen mit Gott mißbraucht: Er ist von Anfang an »schon gerichtet«. Wenn der Geist, der Beistand, die Welt gerade dem Gericht überführen soll, so geschieht dies, um das Heilswerk Christi fortzusetzen.

28. Wir wollen hier unsere Aufmerksamkeit hauptsächlich auf diese Sendung des Heiligen Geistes richten, die die »Welt der Sünde überführen« soll, dabei aber zugleich auf den allgemeinen Kontext der Worte Jesu beim Abendmahl achten. Der Heilige Geist, der vom Sohn das Werk der Erlösung der Welt übernimmt, übernimmt eben damit die Aufgabe, »der Sünde zu überführen«, um zu heilen. Dieses Überführen steht in ständiger Beziehung zur »Gerechtigkeit«, das heißt zum endgültigen Heil in Gott, zur Vollendung der Heilsökonomie, deren Mitte der gekreuzigte und verherrlichte Christus ist. Diese Heilsökonomie Gottes entzieht den Menschen gewissermaßen dem »Gericht«, der Verdammung, von der die Sünde Satans, des »Herrschers dieser Welt«, betroffen ist, der aufgrund seiner Sünde »Beherrscher dieser finsteren Welt«106 geworden ist. Durch einen solchen Bezug zum »Gericht« eröffnet sich ein weiter Horizont für das Verständnis von »Sünde« und auch von »Gerechtigkeit«. Indem der Heilige Geist vor dem Hintergrund des Kreuzes Christi die Sünde in der Heilsökonomie (sozusagen »die erlöste Sünde«) aufzeigt, läßt er uns zugleich verstehen, wie es auch zu seiner Sendung gehört, jener Sünde zu »überführen«, die schon endgültig verurteilt ist (»die verurteilte Sünde«).

29. Alle Worte, die vom Erlöser im Abendmahlssaal vor seinem Leiden gesprochen wurden, prägen sich der Zeit der Kirche ein: vor allem jene über den Heiligen Geist als Beistand und Geist der Wahrheit. Sie prägen sich ihr in immer neuer Weise ein, in jeder Generation, in jeder Epoche. Soweit es unser Jahrhundert betrifft, wird dies von der gesamten Lehre des II. Vatikanischen Konzils, besonders aber von der Pastoralkonstitution »Gaudium et spes«, bestätigt. Viele Abschnitte dieses Dokumentes zeigen deutlich, daß sich das Konzil, indem es sich dem Licht des Geistes der Wahrheit öffnet, als der wahre Hort der Ankündigungen und Verheißungen versteht, die Christus den Aposteln und der Kirche in seiner Abschiedsrede gemacht hat: in Besonderer Weise jener Ankündigung, nach welcher der Heilige Geist die Welt überführen (und aufdecken) soll, »was Sünde, Gerechtigkeit und Gericht ist«.

Das zeigt schon der Text, in welchem das Konzil erklärt, wie es »die Welt« versteht: »Vor seinen (des Konzils) Augen steht also die Welt der Menschen, das heißt die ganze Menschheitsfamilie mit der Gesamtheit der Wirklichkeiten, in denen sie lebt; die Welt, der Schauplatz der Geschichte der Menschheit, von ihren Unternehmungen, Niederlagen und Siegen geprägt; die Welt, die nach dem Glauben der Christen durch die Liebe des Schöpfers begründet ist und erhalten wird; die unter die Knechtschaft der Sünde geraten, von Christus aber, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, durch Brechung der Herrschaft des Bösen befreit wurde; bestimmt, umgestaltet zu werden nach Gottes Heilsratschluß und zur Vollendung zu kommen«107. In bezug auf diese kurz zusammenfassende Beschreibung sind alle anderen Abschnitte in dieser Pastoralkonstitution zu lesen, die mit ganzem Glaubensrealismus die Situation der Sünde in der gegenwärtigen Welt aufzuzeigen und auch ihr Wesen von verschiedenen Seiten her zu erklären suchen108. Wenn Jesus am Vorabend des Osterfestes vom Heiligen Geist als jenem spricht, der »die Welt der Sünde überführen wird«, muß man seiner Aussage einerseits den größtmöglichen Umfang beimessen, insofern sie die Gesamtheit der Sünden in der Geschichte der Menschheit umfaßt.

Wenn Jesus andererseits jedoch erklärt, daß diese Sünde darin besteht, daß »sie nicht an ihn glauben«, so scheint dieser Umfang sich auf diejenigen zu beschränken die die messianische Sendung des Menschensohnes verworfen und ihn zum Kreuzestod verurteilt haben. Aber es ist offenkundig, daß dieser mehr »eingeschränkte« und geschichtlich festgelegte Umfang der Bedeutung von Sünde schließlich universale Ausmaße annimmt aufgrund der Universalität der Erlösung, die durch das Kreuz vollbracht worden ist. Die Offenbarung des Geheimnisses der Erlösung eröffnet den Weg zu einem Verständnis, in dem jede Sünde, wo und wann auch immer sie begangen wurde, auf das Kreuz Christi bezogen wird - und so indirekt auch auf die Sünde jener, die »nicht an ihn geglaubt haben«, indem sie Jesus Christus zum Tod am Kreuz verurteilt haben.

Von diesem Gesichtspunkt her müssen wir noch einmal zum Pfingstereignis zurückkehren.

 




102 Vgl. Joh 16, 7 f.



103 Joh 16, 7.



104 Joh 16, 8-11.



105 Vgl. Joh 3, 17; 12, 47.



106 Vgl. Eph 6,12.



107 Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute »Gaudium et spes«, 2.



108 Vgl. ebd. 10. 13. 27. 37. 63. 73. 79. 80.






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