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Ioannes Paulus PP. II
Dominum et vivificantem

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2. Grund für das Jubiläum: Die Gnade ist erschienen

52. Im Geheimnis der Menschwerdung erreicht das Wirken des Geistes, »der lebendig macht«, seinen Höhepunkt. Das Leben, das Gott in Fülle besitzt, kann nur mitgeteilt werden, wenn es zum Leben eines Menschen wird, wie es Christus in seiner Menschennatur ist, die durch das »Ewige Wort« in der hypostatischen Union zur Person wird. Zugleich öffnet sich im Geheimnis der Menschwerdung auf neue Weise die Quelle jenes göttlichen Lebens in der Geschichte der Menschheit: der Heilige Geist. Das Wort, »der Erstgeborene der ganzen Schöpfung«, wird zum »Erstgeborenen von vielen Brüdern«210; und so wird es auch zum Haupt des Leibes, der die Kirche ist, welche am Kreuz geboren und am Pfingsttag offenbar wird - und durch die Kirche zum Haupt der Menschheit: der Menschen aller Völker und Rassen, aller Länder und Kulturen, Sprachen und Kontinente, die alle zum Heil berufen sind. »Das Wort ist Fleisch geworden, (jenes Wort, in dem) das Leben war, und das Leben war das Licht der Menschen ... Allen aber, die es aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden«211. All dies geschah und geschieht ständig »durch das Wirken des Heiligen Geistes«.

»Söhne Gottes« sind nach der Lehre des Apostels »alle, die sich vom Geist Gottes leiten lassen«212. Die Sohnschaft durch göttliche Annahme an Kindes Statt entsteht in den Menschen aus dem Geheimnis der Menschwerdung, also wegen Christus, dem ewigen Sohn. Die Geburt oder Wiedergeburt aber erfolgt, wenn Gott »den Geist seines Sohnes in unser Herz sendet«213. Denn dann »empfangen wir den Geist, der uns zu Söhnen macht, den Geist, in dem wir rufen: Abba, Vater!«214. Darum ist diese Sohnschaft Gottes, die der menschlichen Seele durch die heiligmachende Gnade eingestiftet wird, das Werk des Heiligen Geistes. »So bezeugt der Geist selber unserem Geist, daß wir Kinder Gottes sind. Sind wir aber Kinder, dann auch Erben; wir sind Erben Gottes und Miterben Christi«215. Die heiligmachende Gnade ist im Menschen Ursprung und Quelle des neuen Lebens: des göttlichen, übernatürlichen Lebens.

Die Verleihung dieses neuen Lebens ist wie eine endgültige Antwort auf das Gebet des Psalmisten, in welchem gleichsam die Stimme aller Geschöpfe widerhallt: »Du sendest deinen Geist aus, so werden sie alle erschaffen, und du erneuerst das Antlitz der Erde«216. Derjenige, der im Schöpfungsgeheimnis dem Menschen und dem Kosmos das Leben gibt in seinen vielfältigen sichtbaren und unsichtbaren Formen, erneuert es durch das Geheimnis der Menschwerdung. So wird die Schöpfung durch die Menschwerdung vervollkommnet und seither von den Kräften der Erlösung durchdrungen, die die Menschheit und alles Geschaffene erfassen. So sagt es uns der heilige Paulus, dessen kosmisch-theologische Vision die Stimme des alten Psalmes aufzunehmen scheint: Die ganze Schöpfung »wartet sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes«217, derjenigen nämlich, die er »im voraus erkannt hat« und so auch »dazu bestimmt, an Wesen und Gestalt seines Sohnes teilzuhaben«218. So ergibt sich für die Menschen eine übernatürliche »Annahme an Sohnes Statt«, deren Ursprung der Heilige Geist ist, als göttliche Liebe und Gabe. Als solcher wird er den Menschen geschenkt. Und in der Überfülle der ungeschaffenen Gabe hat im Herzen jedes Menschen jene besondere geschaffene Gabe ihren Anfang, durch welche die Menschen »an der göttlichen Natur Anteil erhalten«219. So wird das Leben des Menschen durch Teilhabe vom göttlichen Leben durchwirkt und erhält dadurch auch selbst eine göttliche, übernatürliche Dimension. In diesem neuen Leben als Teilhabe am Geheimnis der Menschwerdung »haben die Menschen... im Heiligen Geist Zugang zum Vater«220. Es gibt also eine enge Beziehung zwischen dem Heiligen Geist, der lebendig macht, und der heiligmachenden Gnade sowie der daraus folgenden übernatürlichen Lebenskraft im Menschen: zwischen dem ungeschaffenen Geist und dem geschaffenen menschlichen Geist.

53. Dies alles, so kann man sagen, gehört in den Rahmen des erwähnten großen Jubiläums. Man muß also die geschichtliche Dimension des nur oberflächlich betrachteten Geschehens überschreiten. Es gilt vielmehr, im christologischen Gehalt dieses Geschehens die pneumatologische Dimension zu erfassen, indem man das zweitausendjährige Wirken des Geistes der Wahrheit mit den Augen des Glaubens betrachtet; dieser Geist hat durch die Jahrhunderte hin aus dem Schatz der Erlösung Christi geschöpft, indem er den Menschen das neue Leben gibt, in ihnen die Annahme als Söhne Gottes im eingeborenen Sohn wirkt und sie heiligt, so daß sie in das Wort des heiligen Paulus einstimmen können: Wir haben den Geist Gottes empfangen«221.

Wenn man diesem Motiv des Jubiläums folgt, kann man sich jedoch nicht nur auf die 2000 Jahre seit Christi Geburt beschränken. Man muß weiter zurückgehen und das ganze Wirken des Heiligen Geistes vor Christus in den Blick nehmen - sein Wirken von Anfang an, in der ganzen Welt und vor allem in der Heilsordnung des Alten Bundes. Dieses Wirken an jedem Ort und in jeder Zeit, ja in jedem Menschen geschah nämlich nach dem ewigen Heilsplan, durch den es mit dem Geheimnis der Menschwerdung und Erlösung eng verbunden ist, das sich aber schon auf jene ausgewirkt hat, die an den kommenden Christus glaubten. Das ist in besonderer Weise im Brief an die Epheser bezeugt222. Die Gnade hat daher einen christologischen und zugleich pneumatologischen Charakter, der sich vor allem in jenen bewahrheitet, die sich ausdrücklich zu Christus bekennen: »Durch ihn (in Christus) habt ihr das Siegel des verheißenen Heiligen Geistes empfangen... Der Geist ist der erste Anteil des Erbes, das wir erhalten sollen, der Erlösung, durch die wir Gottes Eigentum werden«223.

Im Blick auf das große Jubiläum müssen wir sodann noch weiter ausholen, weil wir wissen, daß »der Wind weht, wo er will«, wie Jesus im Gespräch mit Nikodemus224 anschaulich sagt. Das II. Vatikanische Konzil, das sich vor allem auf das Thema der Kirche konzentriert hat, erinnert uns an das Wirken des Heiligen Geistes »auch außerhalb« des sichtbaren Leibes der Kirche. Das Konzil spricht ausdrücklich von »allen Menschen guten Willens, in deren Herzen die Gnade unsichtbar wirkt. Da nämlich Christus für alle gestorben ist und da es in Wahrheit nur eine letzte Berufung des Menschen gibt, die göttliche, müssen wir festhalten, daß der Heilige Geist allen die Möglichkeit anbietet, diesem österlichen Geheimnis in einer Gott bekannten Weise verbunden zu sein«225.

54. »Gott ist Geist, und alle, die ihn anbeten, müssen im Geist und in der Wahrheit anbeten«226. Diese Worte stammen aus einem anderen Gespräch Jesu, bei der Begegnung mit der Frau aus Samaria. Das große Jubiläum, das am Ende dieses Jahrtausends und am Beginn des nächsten gefeiert wird, muß ein machtvoller Aufruf an alle werden, die »Gott im Geist und in der Wahrheit anbeten«. Es muß für alle zu einem besonderen Anlaß werden, sich auf das Geheimnis des dreieinigen Gottes zu besinnen, der als solcher die Welt, besonders die sichtbare Welt, völlig übersteigt: ist er doch absoluter Geist - »Gott ist Geist«227. Zugleich ist er aber auf wunderbare Weise dieser Welt nicht nur nahe, sondern in ihr gegenwärtig und ihr in gewissem Sinne immanent; er durchdringt und belebt sie von innen her. Das gilt vor allem für den Menschen: Gott ist im Innersten seines Seins gegenwärtig, in seinem Denken, Gewissen und Herzen; eine psychologische und ontologische Wirklichkeit, bei deren Betrachtung der heilige Augustinus von Gott sagt: »Interior intimo meo« - »Mir näher als mein Innerstes selbst«228. Diese Worte helfen uns, die Antwort Jesu an die Samariterin besser zu verstehen: »Gott ist Geist«. Nur der Geist kann mir innerlicher sein, als ich mir selbst bin, sowohl seinsmässig wie auch in der geistlichen Erfahrung; nur der Geist kann derart dem Menschen und der Welt immanent sein, ohne jegliche Beeinträchtigung oder Veränderung seiner absoluten Transzendenz.

Auf neue und sichtbare Weise hat sich die göttliche Gegenwart in der Welt und im Menschen aber in Jesus Christus offenbart. In ihm ist wahrhaft »die Gnade Gottes erschienen«229. Die Liebe Gottes, des Vaters, göttliche Gabe, unbegrenzte Gnade, Ursprung des Lebens, ist in Christus offenbar geworden und ist nun in seiner Menschheit »Teil« des Alls, des Menschengeschlechtes und der Geschichte. Dieses »Erscheinen« der Gnade durch Jesus Christus in der Geschichte des Menschen vollzog sich durch das Wirken des Heiligen Geistes, welcher der Ursprung jeglichen Heilshandelns Gottes in der Welt ist; er, der »verborgene Gott«230, der als Liebe und Gabe »den Erdkreis erfüllt«231. Das ganze Leben der Kirche, das sich in der Feier des großen Jubiläums bezeugen wird, bedeutet, dem verborgenen Gott entgegenzugehen, bedeutet, dem Geist zu begegnen, der lebendig macht.

 




210 Röm 8, 29.



211 Vgl. Joh 1, 14. 4. 12 f.



212 Vgl. Röm 8, 14.



213 Vgl. Gal 4, 6; Röm 5, 5; 2 Kor 1, 22.



214 Röm 8, 15.



215 Röm 8, 16 f.



216 Vgl. Ps 104, 30.



217 Röm 8, 19.



218 Röm 8, 29.



219 Vgl. 2 Petr 1, 4.



220 Vgl. Eph 2, 18 und Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung »Dei Verbum«, 2.



221 Vgl. 1 Kor 2, 12.



222 Vgl. Eph 1, 3-14.



223 Eph 1, 13 f.



224 Vgl. Joh 3, 8.



225 Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute »Gaudium et spes«, 22; vgl. Dogmatische Konstitution über die Kirche »Lumen gentium«, 16.



226 Joh 4, 24.



227 Ebd.



228 Vgl. AUGUSTINUS, »Confess.« III, 6, 11: CCL 27, 33.



229 Vgl. Tit 2, 11.



230 Vgl. Jes 45, 15.



231 Vgl. Weish 1, 7.






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