Neben den Hochmut als Erzeuger jeder
Art von Egalitarismus ist die Sinnlichkeit im weitesten Wortsinne als Ursache des
Liberalismus zu stellen. In diesen trostlosen Tiefen laufen die Fäden der
beiden wichtigsten metaphysischen Prinzipien der Revolution zusammen, nämlich
der Gleichheit und der Freiheit, die sich ansonsten jedoch unter so vielen
Gesichtspunkten widersprechen.
* a. Die Hierarchie in der Seele:
Gott, der aller Schöpfung, der sichtbaren wie der unsichtbaren, eine
hierarchische Prägung gab, schloß auch die menschliche Seele in dieses Schema
ein. Die Ver nunft hat den Willen zu führen und dieser die Gefühle. Als Folge
der Erbsünde kommt es im Innern des Menschen zu unaufhörlichen Reibungen
zwischen den sinnlichen Trieben und dem von der Vernunft geleiteten Willen:
„Ich sehe ein Gesetz von anderer Art in meinen Gliedern, das dem Gesetz meiner
Vernunft widerstreitet"31.
Der Wille aber, der, gleich einem
König, sich in die undankbare Lage versetzt sieht, Untergebene zu führen, die
andauernd gegen ihn aufbegehren, verfügt über Mittel, die es ihm erlauben,
immer siegreich zu bleiben ... sofern er sich nicht der Gnade Gottes widersetzt
32.
* b. Der Egalitarismus in der Seele: Der revolutionäre Prozeß, obwohl
um generelle Gleichmachung bemüht, ist häufig nichts anderes als die Ursupation
der Führungsrolle durch Elemente, denen es zukommt, zu gehorchen. Auf die Ebene
der Psyche übertragen, führt dies zu einer beklagenswerten Tyrannei
ungezügelter Leidenschaften über einen kraftlosen, bankrotten Willen und eine
getrübte Vernunft. Vor allem aber wird eine glühende Sinnlichkeit die
Herrschaft über alle Gefühle des Anstandes und der Scham an sich reißen.
Wenn die Revolution die vollkommene
Freiheit als das höchste metaphysische Prinzip hinstellt, so tut sie dies nur,
um damit den freien Lauf der schlimmsten Leidenschaften und der ärgsten
Irrtümer zu rechtfertigen.
* c. Egalitarismus und
Liberalismus: Die Umkehrung, von der wir gesprochen haben, das heißt das
Recht, all das zu denken, zu fühlen und zu tun, was die zügellosen Leidenschaften
verlangen, stellt das Wesen des Liberalismus dar. Dies kommt deutlich in den
übersteigerten Formen der liberalen Lehre zum Ausdruck. Wenn man sich diese
einmal näher anschaut, stellt man sogleich fest, daß dem Liberalismus wenig an
der Freiheit zum Guten gelegen ist. Ihn interessiert ganz allein die Freiheit
zum Bösen. Ist er erst einmal an der Macht, so nimmt er dem Guten ohne
weiteres, ja sogar mit Vergnügen möglichst jede Freiheit weg. Die Freiheit zum
Bösen aber genießt seinen Schutz, sie wird auf vielerlei Weise gefördert und
hochgehalten. Hierin zeigt sich der Gegensatz zur katholischen Lehre, die dem
Guten alle Unterstützung und Freiheit zukommen läßt, das Böse aber möglichst
einzuschränken versucht.
Nun, gerade diese Freiheit zum Bösen
ist es, die der Mensch als „Revolutionär" in seinem Innern braucht, wenn
er der Tyrannei der Leidenschaften über seine Vernunft und seinen Willen
zustimmt.
Somit ist
der Liberalismus eine Frucht desselben Baumes, der auch den Egalitarismus
getragen hat.
Der Hochmut,
der ja den Haß gegen jede Art von Autorität zeugt 33, führt übrigens zu
einer eindeutig liberalen Haltung und ist deshalb als ein aktiver Faktor des
Liberalismus anzusehen. Als jedoch die Revolution merkte, daß die Freiheit, hat
sie erst einmal die von ihren Fähigkeiten und ihrem Fleiß her ungleichen
Menschen frei gemacht, zur Ungleichheit führt, beschloß sie jene aus lauter Haß
gegen letztere zu opfern. Damit ging sie in die sozialistische Phase über. Doch
auch diese Phase ist nur eine vorübergehende Etappe. Am Ende hofft die
Revolution einen Zustand zu erreichen, in dem vollkommene Freiheit und völlige
Gleichheit nebeneinander bestehen werden.
So gesehen, ist die sozialistische
Bewegung historisch nichts anderes als eine Verschärfung der liberalen
Bewegung. Was einen echten Liberalen dazu bewegt, den Sozialismus zu
akzeptieren, ist gerade die Tatsache, daß dieser zwar auf tyrannische Weise
tausend gute, oder doch unschuldige Dinge verbietet, sonst aber methodisch die
Befriedigung der übelsten und heftigsten Leidenschaften wie Neid, Faulheit und
Unzucht begünstigt, wenn auch manchmal unter dem Schein der Strenge.
Andererseits erkennt der Liberale, daß die Stärkung der Autorität im
sozialistischen Regime gemäß der inneren Logik des Systems nur ein Mittel ist,
um am Ende zu der heißersehnten Anarchie zu gelangen.
Die Zusammenstöße zwischen einer
bestimmten Art von naiven oder zurückgebliebenen Liberalen und den Sozialisten
sind daher nichts als oberflächliche Streitigkeiten im Verlaufe des
revolutionären Prozesses, unbedeutende Auseinandersetzungen, die keineswegs
imstande sind, die tiefere Logik der Revolution und ihren unerbittlichen Marsch
auf ein Ziel hin zu stören, das bei genauerem Betrachten gleichzeitig
sozialistisch und liberal ist.
* d. Die Rock and Roll-Generation:
Der Revolutionsprozeß, der sich, wie oben beschrieben, in den Seelen der
Menschen abspielt, hat bei den jüngeren Generationen, vor allem aber unter den
heutigen Jugendlichen, die sich vom Rock and Roll in den Bann ziehen lassen,
eine von der Spontaneität der Elementarreaktionen geprägte Geisteshaltung
hervorgerufen, die keine Kontrolle durch die Vernunft und keine effektive
Beteiligung des Willens mehr kennt. Phantasien und „Erlebnisse" sind ihnen
wichtiger als die methodische Analyse der Wirklichkeit. Dies alles ist zum
großen Teil das Ergebnis einer Pädagogik, in der Logik und wahre Willensbildung
kaum noch eine Rolle spielen.
e. Egalitarismus, Liberalismus und
Anarchismus: Wie
wir in den vorausgegangenen Punkten (a. bis d.) gesehen haben, weckt das
Aufwallen ungezügelter Leidenschaften einerseits den Haß gegen jede Art von
Einschränkung und Gesetz, andererseits aber auch den Haß gegen jede Art von
Ungleichheit. So führt diese Gärung zur utopischen Konzeption des marxistischen
„Anarchismus", wonach eine entwickeltere Menschheit in einer klassenlosen
Gesellschaft ohne Regierung in vollkommener Ordnung und völliger Freiheit leben
könne, ohne daß es deshalb zu Ungleichheiten kommen müsse. Man sieht also, daß
es hier gleichzeitig um das liberalste und gleichmacherischste Ideal geht, das
man sich vorstellen kann.
Tatsächlich ist die anarchische
Utopie des Marxismus ein Zustand, in dem der Mensch einen so hohen Grad an
Fortschritt erreicht haben soll, daß er sich in einer Gesellschaft ohne Staat
und Regierung frei entwickeln kann.
In dieser Gesellschaft, die zwar
ohne Regierung, aber in vollkommener Ordnung leben werde, gebe es eine gut
entwickelte wirtschaftliche Produktion und der Unterschied zwischen geistiger
und körperlicher Arbeit werde überwunden sein. Ein nicht näher definierter
Auswahlprozeß werde die Leitung der Wirtschaft den Fähigsten in die Hände
legen, ohne daß sich daraus eine Klassenbildung ergeben werde.
Dies aber seien die einzigen,
unbedeutenden Überbleibsel der Ungleichheit. Da diese anarchische
kommunistische Gesellschaft jedoch noch nicht das Ende der Geschichte bedeutet,
kann man durchaus annehmen, daß auch diese Überbleibsel im Laufe der weiteren
Evolution noch abgeschafft werden.
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