Für viele Zeitgenossen, die es
gewohnt sind, Tageszeitungen zu lesen, die zur banalen Mehrheit der
auflagenstarken Medien gehören, nimmt heutzutage das im System der repräsentativen
Demokratie verkörperte politische Ideal im Denken und im Handeln die allererste
Stelle ein.
Tatsächlich bestand einer der
wichtigsten Unterschiede zwischen der Welt diesseits und jenseits des jetzt
niedergerissenen Eisernen Vorhangs gerade darin, daß in der einen die
politische Demokratie vorherrschte, während sie in der anderen völlig fehlte.
Und einer der von der internationalen Presse am häufigsten angeführten Gründe
für die Freude, mit der die Öffentlichkeit im Westen und wahrscheinlich auch
der größte Teil der Öffentlichkeit im Osten die schrittweise von Gorbatschow in
der sowjetischen Welt eingeführten Veränderungen feierte, bestand darin, daß
diese nun nach Meinung vieler Anlaß zur Hoffnung geben, die Reformen in denen
viele im derzeitigen Zustand den Beginn der Demokratisierung sehen - werden
schließlich nach und nach die volle Effektivität des repräsentativen
demokratischen Systems erreichen.
Es geht hier nicht darum, die
objektiven Voraussetzungen für solcherlei Erwartungen zu überprüfen. Wir haben
sie lediglich erwähnt, weil wir damit deutlich machen wollten, daß die
repräsentative Demokratie von vielen unserer Zeitgenossen als der gemeinsame
politische Nenner angesehen wird, dem alle mit Freude entgegenstreben.
Wenn eine zukünftige Weltordnung
alle oder auch nur einen Teil der Früchte bringen soll, die so viele Menschen
von ihr erwarten, ist es unumgänglich, daß die auf derzeit auf ihrem Höhepunkt
angelangte politische Demokratie sowohl von denen, die ihr Beifall zollen, als
auch von denen, die zwar nicht ganz so weit gehen, sie aber dennoch mit
wohlwollender Sympathie betrachten, auch wirklich ernst genommen wird.
So haben nähere und entferntere
Vertreter der repräsentativen Demokratie das Recht und sogar die Pflicht, von
den Medien ständig und unnachgiebig zu verlangen, daß sie dem Volke gemäß der
prägnanten, anerkannten Formel stets „die Wahrheit, die ganze Wahrheit und
nichts als die Wahrheit" sagen. Damit die Sachlichkeit keinen Schaden
nehme, ist diese Wahrheit dem Volk ohne „Ausschmückungen" und natürlich
auch ohne nicht weniger „verschönernde" Auslassungen zur Kenntnis zu
bringen. Denn wenn die Entscheidung beim Volke liegen soll, dann muß dieses
auch die Tatsachen, nach denen es seine Entscheidung zu treffen hat, in ihrer
ganzen Klarheit und ihrem vollen Umfang kennen, da die politische Demokratie
sonst zum Schwindel wird. Der gemeinsame Nenner, auf dem sich Ost und West zu
treffen gedenken, wäre dann nichts als eine grobe Lüge. Das aber würde
bedeuten, daß Ost und West auf eine Utopie, auf das Nichts, auf eine
Weltkatastrophe zusteuern.
Die vielen Politiker, Denker und
Schriftsteller, die das Recht oder gar die Pflicht zu haben glauben, der
Öffentlichkeit durch „behutsames", uneigennütziges Verschweigen den einen
oder anderen Teil der politischen Wirklichkeit in der Absicht vorzuenthalten,
den weltweiten Annäherungsprozeß auf dem Gebiet demokratischer Konvergenz nicht
zu verzögern, scheinen nicht zu merken, daß sie damit den Weg zu dieser selben
Konvergenz aushöhlen. Sie haben nicht erkannt, daß die Massen sehr wohl und
instinktiv den hohlen Klang unter ihren Schritten vernehmen, wenn sie den Boden
zurechtgemachter oder unvollständiger Auskünfte beschreiten. Die Folge ist, daß
sie nach und nach das Interesse an dem wirklichkeitsfremden politischen
Panorama verlieren, das ihnen die Medien vorgegaukelt haben, und Verdrossenheit
breitet sich im politischen Bereich aus. Unmerklich erfaßt die Wählermassen der
Zweifel. Die Politiker verlieren ihre Repräsentativität und beginnen, sich um ihre
eigene Achse, ihre eigenen Mythen, „Geheimnisse" und Interessen zu drehen.
Niemand fühlt sich von ihnen angezogen oder beeinflußt. Und auch sie selbst
interessieren sich für niemanden mehr. So werden sie zu einem Baum mit
vertrockneten Wurzeln. Ihr Ende nähert sich. Der Hauch eines wilden Sturmes,
das heißt einer großen Krise in Denken und Kultur oder aber in Gesellschaft und
Wirtschaft, wirft sie nieder, und mit ihr die von ihr verkörperte Demokratie.
Oder aber es geschieht dies durch den starken Arm eines Holzfällers, mit
anderen Worten, eines nach Allmacht strebenden Demagogen.
Wehe aber der durchdemokratisierten
Welt von morgen, wenn diese universelle Demokratie zu Fall kommen sollte und
ihre unerbittliche Alternative, der Despotismus der Massen oder der Omniarchen,
das Haupt erhebt!
Es ist also sehr wichtig - und zwar
für die Demokraten mehr als für andere -, daß in dieser Zeit, die von der
weitaus größten Mehrheit der Medien als nachkommunistische Zeit bezeichnet
wird, mit allem Nachdruck die Einführung systematischer Verschönerungen und
Auslassungen vermieden wird und daß dem Volk - allen Völkern - „die Wahrheit,
die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit" aufgetischt wird.
Dieser Gedanke hat den Verfasser
dieses jetzt auch in Österreich zur Veröffentlichung kommenden Werkes - es
handelt sich um Professor Plinio Corrêa de Oliveira, eine prominente, in Süd-,
Mittelund Nordamerika sowie in verschiedenen Ländern Europas bereits bekannte
Persönlichkeit - dazu veranlaßt, sich folgenden Problemen zu stellen:
1. Nehmen wir einmal an, daß die
kommunistischen Regierungen, Parteien, Linien und Gruppierungen wirklich unter
dieser Bezeichnung vom Erdboden verschwinden. Diese Möglichkeit ist für viele
bereits Gewißheit, während ihr andere noch skeptisch gegenüberstehen. Auf jeden
Fall bildet der internationale Kommunismus, egal ob mit dieser oder ohne diese
Etikettierung, auch heute noch eine ungeheure Macht, denn zu seinem
Einflußbereich gehören nach wie vor die Weiten Chinas und der Gelben Welt auf
dem asiatischen Erdteil; er verfügt noch über Reste an Macht im wankenden
politischen Gebilde Sowjetrußlands; Theoretiker und Praktiker überleben in den
Wirren der „ehemals kommunistischen" Länder; fast überall auf der Welt
gibt es weiterhin Einigkeit und Disziplin an den Tag legende kommunistische
Parteien.
2. Auf einem beträchtlichen Teil
unserer Erde gilt es nicht einmal als sicher, daß die Reformen Gorbatschows
auch wirklich von allen Kommunisten gutgeheißen wurden. Gegen sie sträubt sich
zum Beispiel der kubanische Diktator Fidel Castro, wenn er behauptet, daß er
die kommunistische Orthodoxie verteidigen werde, selbst wenn es „auf der Welt
sonst keiner mehr tut" (O Estado de S. Paulo, 31.10.89). Dieser Diktator
übt auf katholische Kreise in Brasilien immer noch einen großen Einfluß aus; so
nannte ihn der KardinalErzbischof von Sao Paulo, Paulo Evaristo Arns, in einem
Brief zum Weihnachtsfest 1988 „Geliebtester Fidel" und hatte für sein
offiziell gegen die „Perestroika" gerichtetes Regime folgende Worte übrig:
„Heute darf sich Kuba rühmen, auf unserem durch die Auslandsschuld verarmten
Kontinent ein Modellfür soziale Gerechtigkeit zu sein " (O Estado de S.
Paulo, 19.1.89).
So besteht der Kommunismus weiter
und zwar als eine beträchtliche Macht, selbst wenn die Reformen Gorbatschows
keine kommunistische Zielsetzung haben und sie tatsächlich zu Ende kommen
sollten - auch dies sind ja nichts als zwei weitere Hypothesen.
Unter diesen Voraussetzungen stellt
das vorliegende Werk, dem es um eine Untersuchung dieser zwar angeschlagenen
aber immer noch starken Macht geht, die Frage, ob den bereits leidlich
bekannten Aspekten neue hinzuzufügen wären, die sich etwa aus der Analyse der
ungeschminkten kommunistischen Wirklichkeit ergeben, welche im Verlauf dieser
Tage der Hoffnung und Unsicherheit infolge der von Gorbatschow eingeführten
Änderungen vor den Augen einer erschrockenen Welt aufgetaucht sind.
Professor Plinio Corrêa de Oliveira
antwortet auf diese Fragestellung mit einer Klarheit, die manchen vielleicht
unangebracht scheinen mag, denn es wäre ihnen lieber, daß der Finger nicht auf
gewisse Wunden gelegt würde. Die Antwort des Vorsitzenden des Nationalrates der
brasilianischen TFP bleibt jedoch unverändert gleich: Nichts wäre gerade in
diesem Augenblick unangebrachter als eine auf Verschönerung und Auslassung
gestützte Publizität und die sich daraus ergebende Verfälschung der
repräsentativen politischen Demokratie, denn überall auf der Welt wird sie ja
heute als die große Errungenschaft angepriesen, die der Westen zwar schon
längst zu eigen hatte, von den Ländern des Ostens aber nun erst langsam im Zuge
einer weltweit konvergierenden Bewegung erobert zu werden beginnt.
Die vorliegende Studie wurde
ursprünglich zur Verbreitung in Brasilien verfaßt. Nach dem Erscheinen des Textes
in seiner Heimat werden an den Autor immer wieder Bitten aus den
verschiedensten Ländern Amerikas und Europas herangetragen, er möge doch auch
der Übersetzung in die jeweilige Landessprache zustimmen. Diesen Bitten ist er
bisher gern nachgekommen.
Mit ganz besonderer Genugtuung hat
er denn auch einem entsprechenden Ersuchen der Österreichischen
Gesellschaft zum Schutz von Tradition, Familie und Privateigentum
stattgegeben, gilt doch diesem Land infolge des tiefen, förderlichen
Einflusses, den die deutsche Kultur auf seine Bildung ausgeübt hat, seine
besondere Bewunderung.
Er hält es allerdings für
angebracht, daß der österreichische Leser vorweg zwei Überlegungen zur Kenntnis
nimmt:
1. Gewisse Themen und Tatsachen, auf
die im Text näher eingegangen wird, wie zum Beispiel die Agrarreform und die
aufsehenerregenden Pressekampagnen (in der dreißigjährigen dynamischen
Geschichte der brasilianischen TFP waren es immerhin 12), mögen vielleicht
einem mit der brasilianischen Wirklichkeit weniger vertrauten Leser fremd und
unverständlich erscheinen. Diese sind deshalb aus einem gesonderten
brasilianischen Blickwinkel zu betrachten.
2. Wenn im Text von politischen
Fehlern der Westmächte bei ihren Hilfeleistungen gegenüber Ländern hinter dem
heute zerstörten Eisernen Vorhang und ähnlichen Themen die Rede ist, so bestand
nicht die Absicht, auch die Bundesrepublik Deutschland in diese Beurteilung
einzubeziehen, denn diese sah sich ja nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in
eine Lage versetzt, die keinen Vergleich mit anderen Ländern zuläßt. Dazu
gehörte sicherlich auch die Pflicht, dem östlichen Deutschland Hilfe und
Beistand zu leisten, mit dem zusammen sie moralisch gesehen weiterhin ein
einziges Vaterland bildete. Im Hinblick auf die Thematik dieser Abhandlung müssen
demnach die beiden deutschen Teilstaaten politisch und wirtschaftlich in einem
völlig anderen Licht gesehen werden als die Gesamtheit der Beziehungen des
Westens zur kommunistischen Welt.
Österreichische Gesellschaft zum
Schutz von Tradition Familie un Privateigentum
Wien 1994
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