Auch in ganz Frankreich dehnte sich
die tiefgreifende Wirkung von Humanismus und Renaissance unter den Katholiken zu
einer nicht enden wollenden Kette von Folgeerscheinungen aus. Der
unglücklicherweise durch den Jansenismus und andere protestantische Gärstoffe
des 16. Jahrhunderts im allerchristlichsten Reiche verursachte Niedergang der
Frömmigkeit begünstigte im 18. Jahrhundert einen fast allgegenwärtigen
Sittenverfall, der mit einer brillanten, aber frivolen Denkart und der
Vergötterung des Erdenlebens einherging und so Schritt um Schritt der
Religionslosigkeit den Weg bereitete. Zweifel an der Kirche, die Leugnung der
Gottheit Christi, Deismus und beginnender Atheismus waren die Stationen auf dem
Weg zur Apostasie.
Eng verwandt mit dem Protestantismus
hat die Französische Revolution sein Erbe und das des Neuheidentums der
Renaissance aufgenommen und ein in allem der Pseudoreformation .entsprechendes
Werk geschaffen. Bevor sie mit ihrem Deismus und dem Atheismus Schiffbruch
erlitt, ging es ihr um die Gründung einer Staatskirche, die in der Kirche
Frankreichs den Geist des Protestantismus verwirklichen sollte. Und auch das
politische Werk der Französischen Revolution ist nichts anderes als die
Verwirklichung der „Reformation", wie sie von den radikaleren
protestantischen Sekten im Bereich der kirchlichen Organisation durchgeführt
worden war, auf staatlicher Ebene:
- Der Aufstand gegen den König
entspricht dem Aufstand gegen den Papst;
- der Aufstand des gemeinen Volkes
gegen die Adligen entspricht dem Aufstand des „gemeinen Volkes" in der
Kirche, das heißt der Gläubigen, gegen den „Kirchenadel", das heißt den
Klerus;
- die Errichtung der
Volkssouveränität entspricht der mehr oder weniger uneingeschränkten Leitung
gewisser Sekten durch die Gläubigen.
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